Die fabelhafte Welt des Arnaldo

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„Das Buch ist Leben, es ist ein Instrument der Kultur und der Kommunikation. Es ist ein treuer Freund. Du stellst es in ein Regal, und es wartet“, erzählte mir Arnaldo Loner (1934-2025) bei einem Besuch vor wenigen Jahren in seiner mit Büchern gerammelt voll bestückten Wohnung hoch über dem alten Kurort Gries. Mit dem Aufzug waren wir aus dem Talgrund und durch steiniges Gelände in sein schmuckes Anwesen gelangt, wo der begnadete Sammler unzählige Bücher hortete. „Ich bin ein Sammler in der Provinz, in einer kleinen Stadt, in meiner kleinen Welt“, berichtete er freudig, „ich hatte das Glück, immer wieder mit Umberto Eco auf Reisen zu sein und einige der wichtigsten Bibliotheken der Welt zu besuchen.“
Seine Bibliothek ist ein unglaublicher Kulturschatz mit besonderen Raritäten und seltenen antiken Werken.
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Weitsicht auf Landschaft und Kultur: Lohnender Blick aus Loners Wohnung. Auf Bozen, Gries und den Rosengarten. Foto: SALTO
Von Umberto Eco (1932–2016) erzählte Loner gerne folgende Anekdote: Der bekannte Intellektuelle habe einmal gesagt: „Die Bibliophilen sind alle verrückt, denn einer, der sein Leben mit dem Sammeln tausender Bücher verbringt, muss verrückt sein. Aber es ist auf jeden Fall besser, Verrückte mit Büchern zu haben als Verrückte ohne Bücher.“ Noch vor wenigen Monaten wurde ein Buch über Arnaldo Loner vorgestellt. Herausgegeben von Giuseppe Mendicino und Annalina Molteni erzählt die Biografie LONER. Un ponte fra due culture die Lebensgeschichte der besonderen Persönlichkeit. Die Erinnerungen beschränken sich nicht auf Loners beruflichen und zivilgesellschaftlichen Einsatz, sondern beleuchten ihn auch als Mann der Kultur, der Gerechtigkeit und des sozialen Engagements, berichtete SALTO Kollegin Ginevra Tarascio, die bei der Buchvorstellung anwesend war. Klar, Ehrenpreisträger Arnaldo Loner ist vor allem wegen eines wichtigen Rechtsstreits bekannt, der zur Verurteilung des Nazischlächters Michael "Mischa" Seifert führte. Im Jahr 2000 brachte er als Nebenkläger im Auftrag der Stadt Bozen die Wahrheit über das Lager von Bozen ans Licht. Dank seines Engagements wurde Seifert verhaftet, vor Gericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt.
Unermüdlich sein Kultur-Aktivismus, der die Geschichte weit über Bozens Lokalgrenzen mitprägte, gerade in Zeiten, in denen historische Fakten zunehmend durch Lügen, Sensationsjournalismus und billigen Populismus verdrängt werden. Ein weiterer Aspekt seines zivilgesellschaftlichen Engagements war sein Einsatz für Frauenrechte, soziale Gerechtigkeit und die Suche nach Wahrheit. Einfache, schuldzuweisende Erklärungen gegenüber Opfern lehnte er konsequent ab.
Abseits seiner juristischen Tätigkeit war Arnaldo Loner ein leidenschaftlicher Förderer der Kultur gewesen. Seine Bibliothek ist ein unglaublicher Kulturschatz mit besonderen Raritäten und seltenen antiken Werken. Eines der wertvollsten Stücke ist die Hypnerotomachia Poliphili aus dem Jahr 1499. Auch in zahlreichen Ausstellungen waren Loners Buchschätze vertreten, so auch in einer von Eva Gratl kuratierten Schau im Waltherhaus zum Thema Kunst und Buch. „Eingestimmt auf die künstlerische Welt des Buches werden die Besucher durch eine besondere Rarität“, erklärte sie im Rahmen der Ausstellung, „es ist ein Exemplar des Theuerdank aus dem Jahr 1543. Es entführt in die Welt der frühen Buchdruckzeit. Das von Kaiser Maximilian in Auftrag gegebene Versepos beschreibt die fiktive Brautwerbungsfahrt des Kaisers zu seiner zukünftigen Frau Maria von Burgund.“ Das besondere Buch zeige, „wie nahtlos die kunstvolle und handwerkliche Gestaltung von Buchseiten, also Geschichte und Gegenwart, ineinanderfließen können.“
Die Höhlenmalereien in der Sahara oder in Altamira zeigen, dass Zeichnung und Malerei als Ausdrucksformen älter sind als die Schrift.
Der Sammler hatte aber auch eine Vorliebe für die Zeichnung. Vor fast genau zehn Jahren gelang es Loner, bei einer Auktion ein Konvolut mit einer Mappe von Zeichnungen zu ersteigern, die im Konzentrationslager Buchenwald entstanden waren. Die Urheber waren Auguste Favier und Pierre Mania, zwei politische Dissidenten, die sich in Frankreich dem Nationalsozialismus widersetzt hatten. Beide waren im Block 34 untergebracht. Es gelang ihnen – trotz strengster Strafen durch die SS – Zeichnungen anzufertigen, denn die Nationalsozialisten wollten auf keinen Fall eine historische Erinnerung an ihre Vernichtungslager zulassen.Sobald er im Besitz der Mappen war, organisierte Loner eine Ausstellung und nahm Kontakt zu einem Bekannten bei einem Verlag in Verona auf, der stark mit den Themen des Widerstands verbunden ist. Gemeinsam wurde beschlossen, ein illustriertes Buch zu veröffentlichen, um die Werke von Favier und Mania zugänglich zu machen. Sie waren, abgesehen von einer ersten Druckausgabe aus dem Jahr 1946 (Buchenwald: Scènes prises sur le vif des horreurs nazistes), unveröffentlicht geblieben.
„Sie sind ein großer Sammler von Illustrationen. Wo liegt Ihrer Meinung nach die Stärke dieses Ausdrucksmittels?“ fragte ihn 2017 der ebenfalls bereits verstorbene SALTO-Kollege Paolo Zucconi.
„Man sagt, eine Illustration sage mehr als tausend Worte – und dass eine Zeichnung wie ein Röntgenbild die wahre Beschaffenheit von Dingen und Geschehnissen offenbaren kann“, antwortete Loner. „Etwas Ähnliches geschah im Fall von Buchenwald 1943–1945: Die Zeichnungen ermöglichten uns einen Einblick in das Lagerleben von innen heraus. Die Höhlenmalereien in der Sahara oder in Altamira zeigen, dass Zeichnung und Malerei als Ausdrucksformen älter sind als die Schrift.“Ein weiterer bedeutender Teil seiner Bibliothek umfasst Kinderbücher, die zwischen 1900 und 1940 entstanden sind. Wie Arnoldo Loner mit den leuchtenden Augen eines kleines Kindes im Körper eines alten Herrn erzählte, finden sich darunter „viele hervorragende Illustratorinnen und Illustratoren – vor allem Frauen, die wirklich spannende Werke geschaffen haben.“
Seine Stimme ist nun verstummt – aber in seinen Büchern spricht er weiter.Weitere Artikel zum Thema
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