Kultur | Salto Afternoon

Übersteigt die Vorstellungskraft

Stabile Verhältnisse, statt Pillen „stupefacente“ und eine PK bei der man sich berauschen lässt von 120 Produktionen im kommenden Spielzeitnetz. Wo bleiben die Stücke?
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Foto: Tot le Pera/Teatro Stabile di Bolzano
Die kritischen Aspekte dieses Textes sollen keine Programmkritik sein, sondern eine der Spielzeitvorstellung. Klar, dass eine Spielzeit auch inszeniert werden will, dass es Sponsoren braucht, dass Partnerschaften und Synergien wichtig sind und ihren Bühnenraum haben sollen. Es muss aber die Mischung stimmen, was bei der gestrigen, knapp einstündigen Präsentation nicht der Fall war. In der Regel ist es so, dass bei Programmvorstellungen meist zumindest die „wichtigsten“ (im Einzelnen lässt sich dann über Auswahlkriterien trefflich streiten) einen Satz und Nebensatz erhalten, die darauf hinweisen, was einen Othello vom anderen unterscheidet. Oft wird dann noch eine Produktion mit einer oder einem vor Ort anwesenden Mitwirkender oder Mitwirkenden oberflächlich vertieft. Zeit ist, wie gesagt, eine knappe Ressource und auch umgekehrt proportional mit der Aufmerksamkeit des interessierten Publikums.
Bei der gestrigen Vorstellung neun stabile Gefährten, denen allen einmal das Wort erteilt werden soll und die Werbung für die eigene Sache machen, auch für das Stabile selbst, welches zur vergangenen Saison als „integratore esistenziale“ eine erfolgreiche Bilanz in Zahlen ziehen kann: 120.000 Besucher, 445 Aufführungen und 400 Künstlerverträge. Zur kommenden Saison werden 11 Eigenproduktionen das Staatsgebiet bespielen, 13 Produktionen im Stadttheater Bozen.
Vier neue Eigen- oder Co-Produktionen stehen am Plan: „L’Ispettore Generale“, von Nikolaj Gogol unter der Regie Leo Muscatos, interpretiert durch Rocco Papaleo (Stadttheater Bozen, 26. bis 29. Oktober); „De Gasperi: L’Europa brucia“, von Angela Demattè unter der Regie Carmelo Rificis, interpretiert durch Paolo Pierbono (Stadttheater Bozen, 15. bis 18. Februar); „La Buona Novella“ nach Fabrizio de Andrés Konzeptalbum von 1970 unter der Regie Giorgio Galliones unter der musikalischen Leitung von Paolo Silvestri, u. a. mit Rosanna Nadeo (Stadttheater Bozen, 1. bis 4. Februar); „Antonio e Cleopatra“ von William Shakespeare als Aufführung von und mit Valter Malosti, sowie u.a Anna Della Rosa (Stadttheater Bozen, 8. bis 11. Februar).
 
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"stupefacente": Die neue Saison des Stabile will noch einmal größer und vielfältiger aufspielen, bei der Präsentation kamen die Stücke recht kurz. | Foto: Rosario Multari/Teatro Stabile di Bolzano
 
Neben einem hohen Anteil an Gastspielen setzt man im italienischen Theaterbetrieb auch sehr stark auf Vernetzung, die Abonnenten des Stabile können auch in anderen Städtetheatern Eintritt begehren und erhalten ihn. Ob das den gewünschten Effekt in Sachen Kulturtourismus hat, bleibt abzuwarten, vor allem weil sich dann Theaterbesucher:innen zu mehreren Städtetheatern informieren müssen. Plausibler scheint mir, dass einige Personen, welche ohnehin in der Region sind im Rahmen von „Abbonati in tournée“ mit ihren Abos dann etwa das Bozner Stadttheater (oder dessen Entsprechung in einer anderen Provinz) besuchen. Mehr Auswahl ist dabei immer ein Plus, auch was eine symbiotischere Zusammenarbeit mit dem Teatro Cristallo anbelangt, von welchem viele Produktionen nach Brixen, Meran und Sterzing weiterreisen und außerhalb Bozens (sprich: außerhalb des Cristallo im Abo inbegriffen sind). Den „über 100 Abonnenten“ in Bruneck bietet man für diese Spielzeit, da das Michael-Pacher-Haus derzeit geschlossen bleibt einen kostenlosen Shuttledienst nach Brixen und Bozen an. Man schreibt zur Situation der Brunecker Spielstätte in der Presseaussendung folgendes: „Der Bozner Theaterbetrieb wird Gespräche mit der Gemeindeverwaltung und den Architekten des neuen Kolpinghauses in Bruneck über dessen strukturelle Ausstattung führen, um in dem neuen Gebäude wichtige bühnentechnische Voraussetzungen für Gastspiele großer und bedeutender TSB-Produktionen zu gewährleisten.“
Eine weitere Neuerung ist, da man seit Jahren eine Partnerschaft mit dem Trienter Centro servizi culturali S. Chiara pflegt, die erstmalige Aufnahme von zwei Tanzproduktionen in das Spielzeit-Programm auch am Standort Bozen. Das ist zum einen „Sonoma“ der spanischen Kompanie „La Veronal“ unter der Leitung Marcos Moraus (7. bis 10. Dezember), zum anderen „Un Jour Nouveau | Birthday Party“ der Kompanie Aterballetto des Bozentreuen Choreographen Rachid Ouramdane in Zusammenarbeit mit Angelin Preljocaj (21. bis 24. März).
 
 

 
Es ist eher unstimmig auf der einen Seite das eigene, andauernde Bestreben zu bekunden auch die Zuseher abholen zu wollen, die „sonst eher nicht ins Theater gehen“ und gleichzeitig zu glauben, ein Stück sei ausreichend präsentiert wenn sein Titel, der Regisseur und vielleicht der eines in der Theaterwelt bekannten Schauspielers genannt sind. Die Programmschiene „Officina Teatro“, die Kinderangebote und Theaterworkshops für junge Erwachsene (18 bis 25) beinhaltet, wurde auf eine eigene PK ausgegliedert.
„Leggete attentamente il programma.“, meint Walter Zambaldi, bevor er sein Publikum ans Buffet verabschiedet. Dazwischen Szenenfotos und Musik von den Ramones für Stücke im Schnellfeuermodus in einem 6-minütigen Trailer. Das Programmbuch, 140 Seiten stark (etwas Werbung mitgezählt) fühlt sich ein wenig nach den Hausaufgaben an, die eine Lehrperson ihren Schüler:innen gibt, weil sie mit dem Stoff der Stunde nicht durchgekommen ist. Das Theater und alle, die daran mitwirken zu feiern ist gut, dabei auf die Stücke zu vergessen, weniger.