Politik | Projekt Ernährungssicherheit

Ein Manifest allein reicht nicht

Manifeste – wörtlich etwas „Handgreifliches“ – bringen Kritik, Vorschläge und Forderungen auf einen Punkt und formulieren oft einen politischen Appell.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Am 30. Oktober haben die Promotoren der landesweiten Kampagne „Mahlzeit – Coltiviamo la vita“ ihr „Südtiroler Manifest zur Ernährungssicherheit“ offiziell dem Vize-LH R. Theiner überreicht. Zehn Aktionsbereiche für umweltfreundliche, faire und regionale Produktion und Konsum von Lebensmitteln sind darin detailliert aufgeschlüsselt. Während das Abschlussdokument der EXPO 2015, die „Carta di Milano“, eine Reihe eher allgemeiner Verpflichtungen enthält, bringt das Südtiroler Manifest schon sehr konkrete Handlungsmaximen, bricht die Mailänder Charta sozusagen auf die Landesebene herunter. Dennoch sind solche Chartas und Manifeste noch zu wenig, viele werden einige Male zitiert und dann archiviert und vergessen. Wer spricht z.B. heute noch vom „Manifest für Südtirol“, das Michl Laimer bei der SVP-Ortsobleutekonferenz in Eppan am 15. Oktober 2011 präsentiert hat?

Wie Verena Gschnell von der OEW und Chiara Rabini vom Landesamt für EZA bei der Übergabe des Manifests am Bozner Waltherplatz betonten, soll die Landesregierung in seinem Sinn tätig werden, gar ihre Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik danach ausrichten. „Ein wichtiges Zeichen“, antwortete LR Theiner, „weil es daran erinnert, dass jenseits der globalen Ebene jeder von uns einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten kann…Auf politischer Ebene ist dies ein Auftrag, sich in interdisziplinärer Weise mit der Ernährungssicherheit auseinanderzusetzen, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Menschen ihren guten Willen umsetzen können.“ Gut formuliert und fein heraußen. Denn so kann auch der Landwirtschaftslandesrat den Geist des Manifestes begrüßen und zum Tagesgeschäft übergehen. Die vielen „man soll…“ bleiben auf dem Papier und Politik wird nicht "handgreiflich" (manifest).

Einige Beispiele: Laut Manifest soll die biologische Landwirtschaft gefördert werden. Doch in Südtirol gibt es keine spezielle Förderung der Biobauern und der chemiefreien Landwirtschaft. Die Zahl der biologisch wirtschaftenden Betriebe stagniert bei rund 700, der Anteil der biologisch bewirtschafteten Fläche nimmt laut Agrarbericht 2014 in den letzten Jahren sogar ab. Beim quantitativ wichtigsten Bereich, dem Kernobstbau, beträgt der Anteil der Bio-Fläche magere 7,4%. Der Grund dafür liegt auch im stockenden Absatz aufgrund höherer Preise der Bio-Lebensmittel. Dieser Nachteil könnte durch eine stärkere öffentliche Förderung zum Teil ausgeglichen werden. Diese erfolgt nicht, obwohl die Landwirtschaft allgemein den Löwenanteil der Landessubventionen einstreicht. Keine Spur davon im langen Förderungsregister des Landwirtschaftsassessorats.

Beispiel chemisch-synthetischer Pflanzenschutz. Es soll einen möglichst geringen Einsatz solcher Substanzen geben, will das Manifest. Doch ist die Ablehnung der überzogenen Ausbringung von Pestiziden durch die Malser Bevölkerung von der Landesregierung überhaupt nicht begrüßt worden, man hat nichts Wesentliches verändert, sondern nur einige Verbesserungen im technischen Verfahren der Ausbringung verfügt. Das AGRIOS-System wird als besonders schonender Ansatz gepriesen, unhaltbare These.

Weiteres Beispiel der Bodenschutz, wie vom Manifest angemahnt. Jedes Jahr genehmigen die Südtiroler Gemeinden die Rodung von fast 100 Ha Wald in Tal- und Gunstlagen, vor allem für die Umwandlung in intensive Landwirtschaft. Damit wird nicht nur die Landschaft weiter ausgeräumt, es geht auch wertvolle Artenvielfalt verloren. Auch auf unsere Verantwortung für die Ernährungssicherheit im globalen Süden wird im Manifest hingewiesen. Doch an die 50% des in Südtirols Milchwirtschaft verfütterten Kraftfutters stammt von auswärts, wie z.B. Soja aus Südamerika, und verdrängt dort zwecks Milch- und Fleischproduktion im Norden den Anbau von Getreide für die Einheimischen.

Das „Manifest für Ernährungssicherheit“ geht in 10 Kapiteln sehr präzise auf die heutigen globalen Herausforderungen und die lokalen Handlungsmöglichkeiten ein, z.B. mit dem Schlagwort „regionale Kreislaufwirtschaft“. Das ist ökologisch gut begründet, doch die Südtiroler Realität ist weit davon entfernt: es ist eine hochspezialisierte Erzeugung und Verarbeitung relativ weniger Produkte mit intensivem Einsatz importierter Vorprodukte, steigendem Futtermittel und Pestizideinsatz, steigendem Energieverbrauch, Beeinträchtigung der Landschaft bei völliger Abhängigkeit von außen bei den meisten anderen Lebensmitteln. Als die WHO vor zwei Wochen auf die Problematik des Fleischkonsums hinwies, reagierten Politik, Wirtschaftsverbände und Medien fast unisono mit Beschwichtigung.

Fazit: ein solches Manifest ist eine wichtige Botschaft und ein löblicher Appell an die Politik, doch für konkrete Schritte in der Politik braucht es mehr. Direkte Bürgerbeteiligung von unten wäre gefragt von Petitionen über Volksbegehren bis hin zu Volksinitiativen. Seit 10 Jahren können 13.000 BürgerInnen ein Landesgesetz zur Abstimmung vorschlagen, warum wagt das niemand mehr?

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Klemens Kössler Sa., 07.11.2015 - 18:36

Herr Benedikter, wie kann man so viel Unwahrheit in einen einzigen Artikel reinkriegen?
Das Manifest ist ein Papier wie viele andere und wird in den Händen Theiners sicher bald zur Seite gelegt, da bin ich Ihrer Meinung aber was sollte man damit sonst machen?
Vieles in diesem Manifest wird als Forderung und Ziel niedergeschrieben und ist doch bereits schon längst in Angriff genommen. Die Förderung des Bioanbaues in Südtirol findet statt, auf der anderen Seite wird aber gleich der Vorwurf erhoben die Landwirtschaft bekommt zu viel Förderung.
Es ist wahr der Anteil von Bio im Kernobstanbau beträgt ca. 7 bis 8% dies mag Ihnen zu klein sein diese Menge macht aber 40% in der EU Bioapfelproduktion aus während di "normale" Menge nur 10 bis 12% der EU Produktion aus macht.
Es genügt nicht dass Bio gefordert und gefördert wird es muss auch gekauft werden und das trifft all die Konsumenten welche sobald sie ein paar Cent mehr ausgeben darauf verweisen dass sie an der Armutsgrenze leben und sich Bio nicht leisten können.
100 ha Wald zu Gunsten der Landwirtschaft? wo nehmen Sie diese Fantasiezahl her. Fakt ist dass die Landwirtschaft in Südtirol mehr als 100 ha an Fläche an Siedlungsgebiet und Infrastrukturen verliert und der Boden versiegelt wird.
Das Bild das Sie dem Bericht angefügt haben zeigt Bodenbearbeitungen und Terrassierungen ich kenne das betreffende Grundstück es bereits im selben Jahr dieser Aufnahme war es wieder grün, wird landwirtschaftlich genutzt trägt zum Bruttosozialprodukt unseres Landes bei und wird von mehr Wildtieren durchstreift wie Sie kennen.
Der Artikel ist schlichtweg schlecht recherchiert auf Vorurteilen aufgebaut und dient nur dazu um die Südtiroler Landwirtschaft an zu klagen und in ein schlechtes Licht zu stellen.

Sa., 07.11.2015 - 18:36 Permalink
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Klemens Kössler Mo., 09.11.2015 - 09:48

Herr Benedikter, ich warte auf Ihre Antwort. Allerdings muss ich zugeben dass meine Frage zu wenig direkt gestellt wurde, also nochmals:
Wo bitte entnehmen Sie die Fakten zur Aussage :
"Jedes Jahr genehmigen die Südtiroler Gemeinden die Rodung von fast 100 Ha Wald in Tal- und Gunstlagen, vor allem für die Umwandlung in intensive Landwirtschaft."
Ich bitte Sie detaillierte Fakten an zu führen, ansonsten gilt Ihre Aussage schlichtweg als FALSCH, und dient populistischer Stimmungsmache.

Mo., 09.11.2015 - 09:48 Permalink
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Thomas Benedikter Mo., 09.11.2015 - 12:12

So schlecht recherchiert, wie Sie das bezeichnen, Herr Kössler, ist dieser Beitrag sicher nicht, denn die genehmigten Kulturänderungen sind amtlich verfügt und einsehbar, systematisch zusammengetragen hat sie der Forstwirt Johann Öttl aus Algund, der in einer entspr. Studie "Sturm auf den Wald" und einem Appell auf diese Felentwicklung in der Südtiroler Landwirtschaft und Raumordnung hingewiesen hat. Diese detaillierte Studie ist von Markus Larcher in einem Artikel der FF n.35/2013 verarbeitet worden, hat aber viel zu wenig Beachtung gefunden, denn in der Tendenz ist die Umwidmung von Wald weiter angestiegen. 2007-2013 (Daten für 2014 liegen leider noch nicht vor) sind folgende Flächen umgewidmet worden:
2007: 74,23 ha (effektiv in Landwirtschaftsgebiet umgewidmet: 51,22 ha)
2008: 98,02 ha (effektiv in Landwirtschaftsgebiet umgewidmet: 72,53 ha)
2009: 97,37 ha (effektiv in Landwirtschaftsgebiet umgewidmet: 72,05 ha)
2010: 113,49 ha (effektiv in Landwirtschaftsgebiet umgewidmet: 81,71 ha)
2011: 133,57 ha (effektiv in Landwirtschaftsgebiet umgewidmet: 105, 52ha)
2012: 232,58 ha (effektiv in Landwirtschaftsgebiet umgewidmet: 186,06 ha)
2013: 90,64 ha
Die Landwirtschaft verwandelt pro Tag, so Larcher, 5000 Quadratmeter in Wiesen, und das meist in Gunstlagen im Talgrund.
Vergeblich sucht man eine Darstellung dieser massiven Eingriffe in die Kulturlandschaft im Agrarbericht.
Der Bio-Anteil im Kernobst macht in Südtirol 2014 7,4% aus, stagniert aber und ist in der Grünlandwirtschaft sogar rückläufig. Weil Südtirol 10-11% der EU-Apfelproduktion stellt, mag das mengenmäßig schon etwas ausmachen, aber den Bio-Anteil muss man eben an vergleichbaren Regionen und Anbaugebieten messen (liegt z.B. im Bundesland Salzburg bei 50%).
Ich gebe Herrn Kössler recht bezüglich der Förderungsmöglichkeiten von Biobauern, die tatsächlich existieren. Sieht man sich aber das Ausmaß an Beiträgen an, ist der Unterschied pro Hektar gegenüber den AGRIOS-Betrieben schon minimal (100-150 Euro pro Hektar mehr für Bio). Zudem ist die Kontrollkostenrückerstattung durch das Land (jährliche Bio-Zertifizierung) unverständlicherweise heuer gestrichen worden. Es gibt allerdings im Rahmen von EU-Programmen einige wenige spezielle Beihilfen für Umstellungsbetriebe. Diese haben allerdings auch nicht den Anreiz geschaffen, verstärkt auf Bio umzusteigen, denn derzeit ist bei den Milchbauern das Gegenteil der Fall.
Zwar findet eine sehr begrenzte Förderung der Biolandwirtschaft statt, da hat Herr Kössler recht, doch liegt das Problem auch weniger in der finanziellen Förderung. Vielmehr ist es der fehlende politische und öffentliche Rückhalt für die Biolandwirtschaft und die aktive Förderung mit der ganzen Palette an möglichen Maßnahmen sowohl in der Politik wie im großen Verband, der die durchaus mögliche und sinnvolle Stärkung des ökologischen Landbaus in Südtirol zur Zeit verhindert (wie sie vom Manifest für Ernährungssicherheit eingefordert wird).

Mo., 09.11.2015 - 12:12 Permalink
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Klemens Kössler Di., 10.11.2015 - 13:22

Antwort auf von Thomas Benedikter

Da Haben Sie ja wirklich interessante Daten, könnten Sie mir bitte die Quelle genauer angeben? (möchte mir selbst ein Bild machen).
"Die Landwirtschaft verwandelt pro Tag, so Larcher, 5000 Quadratmeter in Wiesen, und das meist in Gunstlagen im Talgrund." Larcher bezieht sich auf die höchste Jahresumwandlung um zu beeindrucken ist das natürlich journalistisch wichtig.
Bei tauchen dazu Fragen auf zum Ausdruck "Talgrund" kann natürlich auch im hintersten Tal auf 1800 m Höhe sein,
Die Umwandlung kann natürlich ein seit langer Zeit genutztes Stück Weide sein das bei der Überarbeitung des Gemeindeplanes richtiggestellt wurde und von der Bezeichnung Wald in Landwirtschaftliches Gebiet kam, dies ist natürlich nur meine Meinung soll aber heißen was im ersten Moment ganz klar klingt ist im zweiten Moment gar nichts.
Gunstlage im Talgrund, sprich im Gebiet Etschtal, Salurn bis Meran kann ich mir nur schwer vorstellen.
Zum Manifest Ernährungssicherheit.
Unsere Lebensmittel waren wohl noch nie so sicher wie Heutzutage, auch die Sicherheit dass Lebensmittel ausreichend vorhanden sind ( eines der obersten Ziele der EU) war in unseren Breiten noch nie so groß, die soziale Absicherung der Landwirtschaftlichen Bevölkerung scheint bei uns manchem Mitbürger sogar zu hoch zu sein. Wenn es um die soziale Stellung der Landbevölkerung in der südlichen Welt geht da sollen sich alle Zusatzrentenfondbesitzer mal genauer erkundigen wo ihre Absicherung herkommt, all zu schnell ist man dann mit dabei den Regenwald zu zerstören. aber es ist natürlich gemütlicher sich über den benachbarten Bauer auf zu regen und ihm eine Mitschuld an zu drehen.
Ethicalbanking wird da schnell zum Feigenblatt, die Renditen kommen anderswo her vielleicht auch vom Palmöl.
Die immerwährende Forderung gewisser "ökosozialer" (welch tolles Mischwort) Mitmenschen nach BIO wird meist auf eine Art vorgetragen als würde es an den Landwirten liegen dass BIO nicht stärker ist.
BIO muss gekauft werden und nicht gefordert dann kann die Landwirtschaft sich umstellen, wenn manche Bauern von Bio wieder zurück zu anderen Anbauformen kommen dann deshalb weil sie Ihre Ware nicht verkaufen konnten weil diese nicht gekauft wurde und nicht weil ihn der Verband nicht lässt.
Es liegt mir fern Bio oder nicht Bio zu bewerten dazu habe ich als Produzent meine Meinung. Mich ärgert aber dieses immer währende Fordern.
Lieber Konsument wenn due Bio haben willst so kaufe das Angebot ist da.
Lieber Konsument Bio ist meist etwas bis etwas mehr teurer, weil die von dir gewollte Produktionsmethode aufwendiger, risikoreicher und Ertragsmindernder ist, also gib für Bio aus was es dir wert ist es gibt Bio genug.
Kein Bauernverband keine Genossenschaft verhindert Bio, im Gegenteil die sind alle dafür aber du Konsument willst den Biobauern nichts geben damit er leben kann wie du.
Wer Bio will soll kaufen und nicht lärmen.

Di., 10.11.2015 - 13:22 Permalink
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Profil für Benutzer Thomas Benedikter
Thomas Benedikter Di., 10.11.2015 - 22:12

Geschätzter Herr Kössler, die besagte Studie "Sturm auf den Wald" ist leider nie veröffentlicht worden. Bevor ich sie Ihnen zukommen lasse, muss ich deshalb vom Autor die Genehmigung einholen (kann in wenigen Tagen geschehen). Weiters benötige ich eine Kontaktadresse. Ich hoffe, dass diese Auswertung der Daten zur Umwandlung von Wald in anderweitig genutzte Fläche zu Lasten unserer Umwelt und Landschaft fortgesetzt wird.
Zur mangelnden Förderung der Biolandwirtschaft ließe sich noch viel sagen. Jedenfalls liegt mir daran, darauf aufmerksam zu machen, dass die Biolandwirtschaft in Südtirol zu wenig gefördert wird im Vergleich mit anderen Regionen und Ländern. Biolandwirtschaft produziert kostenintensiver, aber weniger umweltbelastend und produziert nachweislich gesündere Lebensmittel. Allein dieser Umstand rechtfertigt schon eine intensivere Förderung, gerade um den erheblichen Kostennachteil etwas auszugleichen. Der Markt allein kann das nicht richten, obwohl z.B. in Deutschland der Bio-Anteil am Lebensmittelmarkt kontinuierlich steigt. Viele Verbraucher würden gerne auf Bio umsteigen, können es sich aber nicht leisten. Hier muss die Politik einspringen und den gesamtökologischen Mehrwert der Biolandwirtschaft entsprechend fördern (z.B. durch Umschichtung von Mitteln aus jeder Menge unsinniger Flächen-bezogener Förderung der Agro-Industrie). Das ist das Problem. Südtirol ist von Agroindustrie nicht so betroffen, da haben Sie recht, aber auch beim Obstbau kann man sich noch viel einfallen lassen.

Di., 10.11.2015 - 22:12 Permalink