Kultur | Bibliophile Fragen

„Die schönste Erzählung“

Der Literaturwissenschaftler Alessandro Costazza hat ein Buch zu Claus Gatterers "Schöne Welt, böse Leut" geschrieben. Und er hat die immer gleichen Fragen beantwortet.
Alessandro Costazza
Foto: Seehauserfoto.com
  • SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?

    Alessandro Costazza: Vielleicht Die Ermittlung, von Peter Weiss, das ich aber nicht in meiner Kindheit, sondern im ersten Jahr am Lyzeum gelesen habe. Erst viel später habe ich mich dann wieder mit diesem Buch und allgemein mit der literarischen Rezeption der Shoah wissenschaftlich beschäftigt.

    Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?

    Es handelt sich nicht um einen Roman, sondern um die Erzählung Lenz, von Georg Büchner, die ich für die schönste Erzählung der deutschen Literatur halte. Nachdem der unglückliche Freund Goethes mehrere Ausbrüche des Wahnsinns erlebt hat, wird er nach Straßburg in eine Anstalt gebracht: „ Am folgenden Morgen bei trübem regnerischem Wetter traf er in Straßburg ein. Er schien ganz vernünftig, sprach mit den Leuten; er that Alles wie es die Andern thaten, es war aber eine entsetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Verlangen; sein Dasein war ihm eine nothwendige Last. – – So lebte er hin.“
     

    Lokalkrimis, als Filme im Fernsehen oder als Bücher, stellen eine regelrechte Pandemie dar.

  • "Schöne Welt, böse Leut": Eine neue Untersuchung zu Claus Gatterers "Schöne Welt, böse Leut" zeigt, dass das Werk eng mit den historischen Arbeiten des Autors zusammenhängt und bestimmte narrativistische Tendenzen der modernen Geschichtsschreibung und insbesondere der Mikrogeschichte vorwegnimmt, indem es wichtige soziologische, anthropologische und linguistische Analysen liefert. Der Sonderband 7 der Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs mit dem Titel "Der Bildungsroman eines Historikers - Il romanzo di formazione di uno storico" wurde am 7. November zum Tag der Zeitgeschichte von Literaturwissenschaftler Alessandro Costazza in Bozen vorgestellt. Foto: SALTO

    Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?

    Z.B. Er ist wieder da, von Timur Vermes: eine hochgepriesene und auch verfilmte aber ziemlich flache Satire der gegenwärtigen Gefahr des Nationalsozialismus.

    Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?

    Lokalkrimis, als Filme im Fernsehen oder als Bücher, stellen eine regelrechte Pandemie dar. Die Leute mögen darin das Prickeln der (mäßigen) Angst und die (beschränkte) intellektuelle Herausforderung, die durch das Bekannte und Heimatliche irgendwie aufgewogen werden. Diese Art von Krimis versöhnen uns mit der Welt: Eine anfängliche Unordnung (meistens ein Mord) wird durch die Rationalität des jeweiligen Detektivs erklärt, d.h. als Ausnahme in die allgemeine Sinnhaftigkeit des Ganzen zurückgeführt.

    Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?

    Den Rezensionen in der Zeit, in der Zürcher-Zeitung, in der Süddeutschen Zeitung, vor allem aber den Tipps von ein paar – wirklich nur wenigen – Freunden.

    Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?

    Stella, von Takis Würger: Aus einer spannenden weil höchst zweideutigen wahren Geschichte hat der Autor einen sowohl sprachlich als auch inhaltlich gekünstelten Roman gemacht.

    Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?

    Le nozze di Cadmo und Armonia, von Roberto Calasso, habe ich zwar auch als E-Book gelesen, um manche Stellen hervorheben zu können … Aber ich nehme dann doch lieber die bebilderte Großausgabe zur Hand, um sie genussvoll durchzublättern …

    Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?

    Diese Frage ist für mich besonders schwierig, weil ich mich mit vielen guten Büchern über Südtirol bzw. von Autoren/innen aus Südtirol beschäftigt habe. Um mich auf zwei Titel zu beschränken, nenne ich einerseits Claus Gatterers Schöne Welt, böse Leut, andererseits Francesca Melandris Eva dorme.