Gesellschaft | Salto-Serie
Stimmen aus dem Lockdown

Foto: upi
Mich hat interessiert, wie SüdtirolerInnen mit dem Lockdown umgehen, wie sie sich beschäftigen, was sie für Körper und Seele machen, wie sie mit dem Eingesperrtsein zurechtkommen, wer oder was ihnen hilft, wenn ihre Stimmung im Keller ist. So habe ich eine Umfrage gestartet.
50 Antworten sind eingetroffen, über WhatsApp, im Dialekt, in Hochsprache, über E-Mail, in Stichworten, über Sprachnachrichten oder einfach nur Antworten übers Telefon.
Es war überraschend zu sehen, wie individuell Menschen mit Frustrationen umgehen. Manche Antworten waren berührend, manche zum Schmunzeln, und manche haben nachdenklich gestimmt. Die Umfrage ist nicht repräsentativ, da die meisten Befragten auf dem Land wohnen,
Ich habe nur die Rechtschreibung korrigiert und Namen verändert, damit die Anonymität gewährleistet ist.
Die Umfrage hat mir große Freude gemacht, und ich danke nochmals ganz herzlich allen die mitgemacht haben!
Beginnen möchte ich mit meinen eigenen Erfahrungen.
Lockdown 1969 bis 1973
Mein erster Lockdown begann, als ich 14 war. Weil ich die Lehrerbildungsanstalt in Meran besuchen wollte, musste ich in ein Klosterheim.
Wir hatten nicht nur nächtliche Ausgangssperre, auch untertags durften wir nicht raus. Sportliche Betätigung hatten wir keine. Um 21 Uhr war Nachtruhe und lautes Sprechen verboten, um 22 Uhr wurde das Licht gelöscht. Nur am Wochenende durften wir in Begleitung einer Schwester 2 Stunden auf der Promenade spazieren gehen. Begegneten wir „naioni“, Männern die den Militärdienst machten, sagte die Klosterfrau: „Senket die Blicke, die Gefahr naht!“
Ich schrieb Namen und Adresse mit der Bitte um Rückantwort auf ein Briefpapier. Zuhause warf ich es in einer Flasche in die Ahr, in der Hoffnung, dass sie ein Junge an Eisack, Etsch, Rienz oder gar am Meer finden möge.
Aus den Fenstern schauen war verboten.
Um in diesem Eingesperrtsein einen Freund kennenzulernen, griff ich zu einer Notlösung, die ich in einem Roman gelesen hatte, zur „Flaschenpost“. Ich schrieb Namen und Adresse mit der Bitte um Rückantwort auf ein Briefpapier. Zuhause warf ich es in einer Flasche in die Ahr, in der Hoffnung, dass sie ein Junge an Eisack, Etsch, Rienz oder gar am Meer finden möge. Leider hat sie keiner gefunden.
Was ich in diesem Lockdown immer zur Verfügung hatte war üppiges, kalorienreiches Essen, Briefpapier, Hefte. Dort hinein schrieb oder zeichnete ich meine Vorhaben, meine Reisen, meinen Traummann, mein Traumhaus, meinen Beruf, meine Gitarre, die Stoffe meiner Kleider, die ich einmal nähen würde und mein Radio, das ich mir sehr wünschte, um Nachrichten und Musik zu hören, was verboten war. Mein Lockdown, der in den Sommerferien jeweils durch harte Arbeit unterbrochen wurde, endete vier Jahre später, als ich 18 war, 1973.
Folgeschäden habe ich keine davongetragen!
Lockdown 2020
Um morgens in Schwung zu kommen, mache ich Körperbürsten von unten nach oben und sage mir positive Glaubenssätze vor. Während ich die Wohnung lüfte, flüchte ich ins Bad zur Morgenhygiene.
Danach genieße ich ein ausgiebiges, leckeres Frühstück, für das ich mir alle Zeit der Welt nehme. Ich mache auch Qi Gong. Hinterher richte ich mir einen Smoothie und einen Espresso. Nun hab ich bereits soviel Kraft getankt, dass der Tag gerettet ist. Bei den Hausarbeiten begleitet mich Musik.
Weil mein Mann sehr gerne kocht, wechseln wir uns ab, wenn seine systemrelevante Teilzeitarbeit es zulässt.
Ich gehe selten auf Facebook. Nachrichten hole ich mir aus dem öffentlich rechtlichen Radio RAI Südtirol, und abends die Tagesschau aus dem Fernsehen.
Meine Freundschaften pflege ich telefonisch und digital.
Wenn ich allein bin, habe ich Lust laut zu singen, zu seufzen, zu „juchazn“ oder mit den Lippen zu wiehern, wenn mich etwas ärgert.
Wenn ich allein bin, habe ich Lust laut zu singen, zu seufzen, zu „juchazn“ oder mit den Lippen zu wiehern, wenn mich etwas ärgert, mich zu loben, mir auf die Schulter zu klopfen oder mir vor den Spiegel Komplimente zu machen, die mir sonst niemand macht. Die Freiheit zu diesen Selbstaufmunterungen nehme ich mir während des Lockdowns einfach heraus! Und weil das so gut tut, werde ich es beibehalten.
Im Vergleich zum Lockdown meiner Jugend hab ich jetzt alles was ich brauche.
Den Lockdown sehe ich als Schutz vor dem Virus, so wie ich eine rote Ampel als Schutz vor Unfällen sehe.
Lesen Sie morgen: Folge 2.
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