Bühne | Musik/Literatur

„Dafür braucht es sicher beide Seiten“

Interview mit Tausendsassa Elisabeth Kanettis, die heute Abend in der Brixner Dekadenz zu Gast sein wird. Es lockt ein Abend mit Literatur, Musik und vielen Verbindungen. Aus „Me Too“ entwächst eine giftige Blume, die Kanettis und Co. an der Wurzel packen.
Elisabeth Kanettis
Foto: Johanna Lietha
  • SALTO: Frau Kanettis, wenn man sich den Trailer von “Poisonflower oder Die Wurzel allen Übels“ anschaut, dann hat man den Eindruck, dass hier viel Männer über Frauen sprechen. War das eine bewusste Entscheidung bei der Textauswahl?

     

    Elisabeth Kanettis: Nein, das war keine bewusste Entscheidung, so wie das ganze Stück eigentlich keine solche war. Es ist in einem Kreationsprozess entstanden. Ich habe geschrieben und Cristina Basili, die Cellistin, hat komponiert. Zu diesem Zeitpunkt waren die Themen um „Me Too“ wahnsinnig präsent und der Abend war für mich eine Art, ganz persönlich mit diesen Themen umzugehen und die für mich bestmöglichen Lösungsansätze und Denkmuster zu finden. Das Stück ist in erster Linie eine Reihe von Lösungsversuchen an denen wir immer wieder scheitern, wenn wir uns weiter mit dem Thema beschäftigen.

     

    Man könnte da vielleicht auch einen „männlichen Blick“ erkennen, mit dem Sie sich befasst haben. Haben Sie da irgendwann versucht, diese Perspektive einzunehmen?

     

    Auf jeden Fall, ja. Weil es mir eben auch bei diesen ganzen Themen stark darum geht, dass Gleichstellung wünschenswert wäre. Dafür braucht es sicher beide Seiten, oder im besten Fall alle Geschlechter, weswegen wir versuchen sollten, die andere Perspektive einzunehmen. Das war jedenfalls ein Versuch meinerseits.

  • Florist:innen: Flankiert wird die Schauspielerin mit Südtiroler Wurzeln links von Reinhard Maximilian Gantner, rechts von Cellistin Cristina Basili. Foto: Kanettis/Dekadenz

    Sie haben es angesprochen, dass das Stück aus dem Kontext um „Me Too“ entstanden ist. „Me Too“ ist ein Ausdruck, den man dann und wann noch hört, aber die große Hashtag-Bewegung ist ins Stocken gekommen. Würden Sie mir da beipflichten?

     

    Das stimmt. Der Begriff ist auf jeden Fall nicht mehr so präsent. Das Stück ist damals entstanden, als das sehr präsent war. Für mich ist wahnsinnig wichtig, dass der Diskurs fortgeführt wird. Ich finde den Diskurs an sich eigentlich auch wichtiger als das „Me Too"-Phänomen, weil das Phänomen führt eben dazu, dass es nicht mehr um den Inhalt geht, sondern um festgefahrene Positionen, die einfach eingenommen werden. Da versuche ich, das Stück lebendig zu gestalten und aufzubrechen, um den Diskurs lebendig zu halten.

     

    Zusätzlich zu doch eher literarischen Texten kommt auch „Tokio Hotel“ vor. Warum genau diese Wahl? Sehen Sie Bill Kaulitz als Gegenvorschlag für eine andere Männlichkeit?

     

    Das hat tatsächlich weniger inhaltliche als einfach künstlerische Gründe. Es geht in dem Stück nicht nur um die Mann-Frau-Geschlechter-Thematik, sondern auch um die Beziehung zwischen Mensch und Natur und damit auch um unseren Konsum. Da kam mir die simple, lyrische Idee, das Reimschema von „Monsun“ und „Konsum“ zu nutzen. Im Text, den ich ansonsten gleich belassen habe, habe ich nur das Wort „Monsun“ durch „Konsum“ ersetzt. Das hat gut gepasst, auch wenn es nicht die ganze Nummer des Abends ist.

     

    Eine Stimme, die Sie einholen, fragt, ob das Problem vielleicht schon in der Natur liegt. Wenn wir jetzt in dieser zu unseren nächsten Verwandten schauen, zu Schimpansen und Bonobos, dann sehen wir dort zwei Modelle des Zusammenlebens, das Matriarchat und Patriarchat. Kann man „Me too“ damit eher auf diese Strukturen zurückführen?

     

    Das kann man auf jeden Fall. Im Stück geht es viel um die Verbundenheit von allem. Das ist eine Ansicht, die ich selbst vertrete. In diesem Sinn, ob es jetzt ums Matriarchat, Patriarchat oder die Beziehung zwischen Mensch und Natur geht, kommen wir mit dieser gegenseitigen Schuldzuweisung nicht weiter. Die Schuld von der eigenen Position ganz wegzuschieben, sei es auf die Natur oder auf das Patriarchat, das wird uns in der Problematik nicht weiter bringen.

     

    Zum Thema Tanz und Reiten: Sie sind auch dort vielseitig begabt über Schauspiel und Musik hinaus. Waren das persönliche Interessen oder war das schon so, dass sich diese Skills gut als Punkte in Ihrer Vita machen, für Film und Bühne?

     

    Nein, das war alles schon vorher da. Das sind wirklich persönliche Interessen und Ausbildungen und Leidenschaften, denen ich nachgehe, seit ich klein bin. Als ich dann relativ spät, eigentlich erst mit 22, die Entscheidung getroffen habe, Schauspielerin sein zu wollen, hat sich irgendwie herauskristallisiert, dass ich das alles ganz wunderbar brauchen kann, was ich bis zu dem Zeitpunkt studiert und gelernt hatte.

     

    Im Stück kommen mehrere lyrische Texte vor, unter anderem Hinweise auf Baudelaires Le Fleur du Mal. Was macht es mit Lyrik, wenn man Lyrics draus macht? Wie verändert es die Qualität eines lyrischen Textes, wenn er zur Musik gesetzt wird?

     

    Das ist einer der Hauptgründe, warum ich mich überhaupt an dieses Stück gemacht habe. Weil ich finde, dass sich das unglaublich verändert und auch gegenseitig bereichert, auch umgekehrt, wenn man Lyrics zu Lyrik macht. Ich finde generell, dass durch Verschränkung und Vermischung der Gattungen ein unglaublicher Mehrwert entsteht, weil man den Inhalt neu wahrnehmen kann: Man kann den Inhalt auch sinnlich neu erfahren.

  • Stilblüten: Animationen im Hintergrund, (Song-)Texte im Zentrum, unter anderem von Billie Holiday, Vivaldi, George Gershwin und am Ende geht's auch noch „durch den Konsum“. Foto: Kanettis/Dekadenz

    Die Formation, in der Sie auftreten mit Christina Basili am Cello und der Animation von Reinhard Maximilian Gandner als Ergänzungen, bezeichnen Sie als Bühnencousinen. Wie sehr braucht es ein familiäres Verhältnis auf der Bühne?

     

    Wir struggeln mit unserem Namen. Ehrlich gesagt sind wir uns nach wie vor nicht sicher, ob das ein guter Name ist oder nicht. Aber er ist noch öffentlich, das stimmt. Das hat sich ergeben, weil Christina meine Cousine ist. Wir haben uns nicht gesagt, wir wollen das gemeinsam machen, weil wir verwandt sind, das war ein Bonus, der uns natürlich Freude bereitet. Wir sind beide Einzelkinder und haben keine Geschwister. Das ist eine künstlerische Arbeit, die eine andere Dynamik hat, wenn man auch ein familiäres, persönliches Näheverhältnis hat. Es bringt Schwierigkeiten, aber auch sehr viel Positives mit sich.

     

    Wenn Sie einen Punkt auf beiden Seiten nennen müssten, was wäre der größte Nachteil, was der größte Vorteil?

     

    Da bräuchten wir jetzt am besten auch Christina dazu. Vielleicht ist der größte Nachteil, dass sich Arbeit und Freizeit komplett vermischen, weil man sich fast nie trifft, ohne über die Arbeit zu sprechen. Das ist im Künstlerberuf, vor allem wenn man freischaffend ist, generell ein Problem, dass die Grenzen verschwimmen, dass man eigentlich nie mehr nicht arbeitet. Ein Vorteil, der damit zusammenhängt, ist die Möglichkeit einer Arbeit an einem für einen selbst sehr nahem Thema. Es sind meistens Projekte, die uns sehr am Herzen liegen. Deswegen möchte man da am liebsten mehr reinstecken, als man eigentlich schaffen kann.

     

    Mit den Filmen „Hill of Vision“, „Hochwald“ und „Nazis und Goldmund“ haben Sie Ihre letzthin prominentesten Produktionen immer wieder mal nach Südtirol geführt - kommen Sie gern hierher zurück oder ist es so, dass Sie doch lieber woanders gebucht würden?

     

    Nein, ich komme sehr gern. Ich betrachte Südtirol nach wie vor als eine meiner Top-Heimaten, obwohl ich viele habe. Ich habe meine Kindheit dort verbracht und es ist mir wahnsinnig nahe. Deswegen ist die Freude sehr groß, dass wir jetzt „Poisonflower“ zum ersten Mal in Südtirol spielen können. Und zum Film: Ja, auf jeden Fall, wenn was reinkommt. Ich lebe in Wien, bin aber bei einer internationalen Agentur. Mein Wunsch ist es, so gut wie möglich bei Co-Produktionen zu arbeiten, im besten Fall auch mehrsprachig. Ich bin da auf jeden Fall sehr offen, wenn wieder mal eine Co-Produktion in Südtirol oder Italien stattfindet.

     

    Haben sie als geborene Südtirolerin in Wien immer wieder auch mit Südtiroler Kolleginnen und Kollegen zu tun? Stimmt das Klischee der Südtiroler Community in Wien, die immer unter sich ist?

     

    Es stimmt, dass es sie gibt. Ich finde meine Kontakte dazu sind für meinen Geschmack leider noch zu wenige. Ich würde mich gerne ein bisschen mehr in einem Südtiroler Netzwerk wiederfinden. Ich kenne natürlich ein paar Personen aus Südtirol und freue mich immer sehr sie zu sehen. aber den Kontakt müsste ich, glaube ich, ein bisschen aktiver pflegen.

  • Poisonflower oder Die Wurzel allen Übels

    Für die Vorstellung heute Abend, 20 Uhr in der Brixner Dekadenz sind noch Karten verfügbar. Die „Bühnencousinen“ Elisabeth Kanettis (Stimme, Piano, Cajon) und Cristina Basili (Cello, singende Säge) unterstützt der Kollege Reinhard Maximilian Gantner von ensembleArt mit Animationen.

    Das Vorspiel in der Dekadenz kommt heute Abend von Bianca Giacomoni.