Umwelt | Lueg-Brücke

„Es wird keinen Tunnel geben!“

Die neue Lueg-Brücke wird gebaut – ob nun mit dem Einverständnis von Bürgermeister Karl Mühlsteiger oder gegen dessen Willen. Die Frage lautet nur: wann?
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Foto: ASFINAG
„Wir sind seit 2005 in Kenntnis davon, dass die Lueg-Brücke erneuert werden muss“, erklärt Stefan Siegele, Geschäftsführer der ASFINAG Alpenstraßen GmbH. Die technischen Untersuchungen haben dabei ergeben, dass die zwischen 1966 und 1968 erbaute Brücke im Jahr 2020 ihr Lebensende erreicht haben wird. Im Jahr 2010 wurde mit den Studien zu verschiedenen Varianten begonnen. Wie der ASFINAG-Geschäftsführer erklärt, habe man dabei mehrere Lösungen untersucht, wie beispielsweise eine vollkommene Untertunnelung oder auch eine teilweise Untertunnelung, sprich eine Brücken-Variante für die Nord-Spur und eine Tunnel-Lösung für die Süd-Spur. „Alle Experten haben uns erklärt, dass die Brückenvariante die bestmögliche Lösung ist“, so Siegele. Doch welches sind die Gründe, die gegen die Tunnel-Lösung sprechen? Erstens und vor allem geht es dabei um den Sicherheitsaspekt. Der steile Anstieg auf den Brenner stellt erhebliche Anforderungen an die Fahrzeuge, weshalb es entlang dieser Strecke immer wieder zu Fahrzeugbränden kommt. Solche und ähnliche Situationen in einem Tunnel sollen jedoch auf alle Fälle vermieden werden. Ebenfalls aus Sicherheitsgründen darf es in einem Tunnel zu keinem Stau kommen. Um dies zu vermeiden, müsste bei hohem Verkehrsaufkommen eine Blockabfertigung eingeführt werden.
 
 
 
 
 
Auch bei Sanierungsmaßnahmen, die in bestimmten Zeitabständen durchgeführt werden müssten, habe ein Tunnel Nachteile, denn dieser müsste während dieser Arbeiten gesperrt werden. Zwar werde von der Gegenseite, sprich vom Bürgermeister der Gemeinde Gries am Brenner, Karl Mühlsteiger, und dem Planungsverband Wipptal, immer wieder ins Feld geführt, dass die Tunnel-Variante dem Schutz der Bevölkerung diene, doch dies sei laut Siegele kein stichhaltiges Argument. Unabhängig davon, ob ein Tunnel oder eine Brücke gebaut wird, wird dies keinen Einfluss auf das Verkehrsaufkommen haben, die Tunnel-Variante als Transit-Lösung zu propagieren, sei somit abwegig. Auch das Argument der Lärmbelästigung lässt Siegele mit Verweis auf die landschaftlichen Gegebenheiten nicht gelten. Zum einen sei der Bereich rund um die Lueg-Brücke nur dünn besiedelt und zudem breite sich der Schall in die Höhe aus und nicht in die Tallagen. „An dieser Position macht ein Tunnel einfach keinen Sinn“, betont der ASFINAG-Geschäftsführer, die zahlreichen Experten-Gutachten würden dies auch bestätigen.
 
 
An dieser Position macht ein Tunnel einfach keinen Sinn.
 
 
Die Ergebnisse der Studien und Untersuchungen wurden erstmals 2016 Bürgermeister Karl Mühlsteiger und dem Wipptaler Planungsverband mitgeteilt, ein Jahr später wurde die finale Dokumentation präsentiert. Im Zuge dessen haben die Vertreter der Wipptaler Gemeinden wiederum eine Tunnel-Variante gefordert, doch habe man aufzeigen können, dass für die Wipptaler Bevölkerung die Tunnel-Lösung die schlechtere Variante sei. „Aus unserer Sicht wurde das dann auch so akzeptiert“, so Siegele, der berichtet, dass im Jahr 2017 ein Forderungskatalog vonseiten der Gemeinde Gries an die ASFINAG herangetragen worden sei, der eindeutig mit einem Neubau der Brücke zusammenhängt. Im Jahr 2019 wurde eine Informationsveranstaltung organisiert, auf welcher die Pläne des Autobahnbetreibers der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Bei dieser Veranstaltung habe es sich um einen regelrechten Aufmarsch gehandelt – begleitet von großer medialer Präsenz – , in deren Rahmen die Vertreter der Wipptaler Gemeinden erklärt haben, dass sie einer Brückenvariante niemals zustimmen werden. Nach mehreren Gesprächen mit dem Planungsverband und dem Land Tirol habe man sich darauf verständigt, einen unabhängigen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen. Der Auftrag wurde an Konrad Bergmeister vergeben, der mit seinem Team unter Einbeziehung der Themen wie Verkehrssicherheit, Lärm- und Schadstoffbelastung oder Nachhaltigkeit die verschiedenen Lösungen evaluieren sollte. Auch in dieser Expertise war man zum Schluss gekommen, dass in der Gesamtbetrachtung der Ersatzneubau der Brücke im Vergleich zum Tunnel die beste Verkehrslösung für diesen Bereich der Brennerautobahn ist. Doch auch dieses Gutachten hat die Befürworter der Tunnel-Variante nicht umgestimmt.
 
 
 
 
„Wir haben in Gesprächen versucht, auf die Vor- und Nachteile hinzuweisen bzw. darauf, welche Maßnahmen zum Schutz des Wipptaler Talbodens ergriffen werden können“, so Siegele. Gleichzeitig wurde bereits damit begonnen, die Behördenverfahren für den Neubau der Brücke einzuleiten. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten wie beispielsweise Italien haben in Österreich die betroffenen Gemeinden, in denen Großprojekte geplant sind, weitreichendere Einspruchsmöglichkeiten. Nachdem Bürgermeister Mühlsteiger seinen Widerstand gegen das Brückenprojekt angekündigt hat, hat die Gemeindeverwaltung zwei Mal Einspruch gegen die Feststellung der Behörde eingelegt, die erklärt hat, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig sei. Schlussendlich habe man Recht bekommen, doch sei viel Zeit verloren gegangen, erklärt der ASFINAG-Geschäftsführer. Auch beim sogenannten Einreichverfahren, das laut Bundesstraßengesetz vorgesehen ist, hat die Gemeinde Gries wiederum eine negative Stellungnahme abgegeben. Diese liegt derzeit beim zuständigen Ministerium, welches entscheiden muss, ob den Vorwürfen der Gemeinde in den Planungsunterlagen ausreichend Rechnung getragen wurde oder ob zusätzliche Gutachten notwendig sind, zur Überprüfung auf. „Der nächste Schritt wäre dann der Bescheid für den Neubau der Brücke. Sollte es wieder einen Einspruch seitens der Gemeinde Gries geben, müssen wir sicherlich mit einem weiteren Jahr Verzögerung rechnen. Minimum. Wiederum“, so Siegele. Angesprochen auf ein mögliches Enteignungsverfahren, erklärt der ASFINAG-Geschäftsführer, dass dies Teil eines weiteren Verfahrens sei. „Damit wir mit dem Neubau der Brücke beginnen können, benötigen wir Grund von der Gemeinde, um vor allem den sogenannten Begleitweg realisieren zu können. Der Großteil der Grundfläche stammt von Privat-Eigentümern, ein Teil der Fläche gehört jedoch der Gemeinde wie auch der Asfinag. Wenn die Zustimmung für den Verkauf nicht erteilt wird, bleibt nur noch die Einleitung eines Enteignungsverfahrens, welches die Asfinag beantragen muss.“
 
 
Wenn die Zustimmung für den Verkauf nicht erteilt wird, bleibt nur noch die Einleitung eines Enteignungsverfahrens, welches die Asfinag beantragen muss.
 
 
Solche Enteignungsverfahren seien keineswegs unüblich und im Falle der Lueg-Brücke bereits erfolgt. Um notwendige Sicherungsarbeiten am Brückenlager durchführen zu können, habe man mit dem Einverständnis der zuständigen Abteilung des Landes Tirols eine temporäre Genehmigung für die Nutzung des Begleitweges erhalten. Diese Genehmigung gelte jedoch nur für die Sicherungsarbeiten, nicht für die Wiederrichtung der Luegbrücke. Wenn alle Genehmigungsverfahren zum Neubau abgeschlossen sind, dann muss erneut der Kontakt mit der Gemeinde Gries gesucht und entsprechende Gutachten über den Wert der betroffenen Grundstücke erstellt werden. „Dann stellt sich die Frage, ob die Gemeindeverwaltung verkauft oder sich weigert. Sollte letzteres der Fall sein, dann würde der nächste Schritt auf ein Enteignungsverfahren hinauslaufen“, so Siegele, der erklärt, dass ohne weiteren Beeinspruchungen im Herbst 2024 mit den Bauarbeiten – die vorgesehene Bauzeit beträgt rund dreieinhalb Jahre – begonnen werden könnte. Sollte die Gemeinde Gries, wie in jüngster Zeit des Öfteren angekündigt, Einspruch gegen die Bescheide erheben, sei der Zeitrahmen nicht abzuschätzen, da die Entscheidungen immer über mehrere Instanzen geklärt werden müssten.
 
 
 
 
Das Problem dabei ist, dass die Zeit drängt, und zwar sehr. Der Zustand der Brücke verschlechtert sich zusehends und die Szenarien reichen dabei von einer einspurigen Verkehrsführung bis – sollte sich der Verfahrensprozess in ungeahnte Längen ziehen – zu einer Totalsperre. In den verschiedenen Medienberichten wird das Schreckgespenst einer langandauernden einspurigen Befahrbarkeit heraufbeschworen, dagegen gibt es widersprüchliche Aussagen, wonach auch eine zweispurige Befahrbarkeit gegeben sei, wenn Lkw und Pkw die Fahrspuren wechseln, sprich wenn das Hauptgewicht in die Brückenmitte verlagert wird. Darauf angesprochen erklärt ASFINAG-Geschäftsführer Siegele: „Auch dieses Szenario wird rechtlich und hinsichtlich der technischen Umsetzbarkeit derzeit geprüft.“ Obwohl dieses Szenario die Möglichkeit eröffnen würde, die zweispurige Befahrbarkeit länger aufrecht zu erhalten, sei es vor allem aufgrund der Verkehrssicherheit eine Herausforderung, technische Lösungen für die Kreuzungsbereiche zu erarbeiten.
Wie Siegele erklärt, mache man sich allerdings weniger Sorgen wegen des Güterverkehrs als vielmehr wegen des Reiseverkehrs während der Urlaubs-Hochsaison. Die stärkste Belastung der Brennerstrecke sei nämlich an Samstagen und Sonntagen im Sommer und an den klassischen Reisewochenenden wie Pfingsten zu verzeichnen. Durchschnittlich 40.000 Fahrzeuge passieren an starken Reisetagen die Brennerstrecke – in einer Richtung.
 
 
So sieht ein Szenario beispielsweise vor, an starken Reisetagen ein komplettes Lkw-Fahrverbot zu erlassen, um beide Fahrspuren für die Pkw öffnen zu können.
 
 
So sieht ein Szenario beispielsweise vor, an starken Reisetagen ein komplettes Lkw-Fahrverbot zu erlassen, um beide Fahrspuren für die Pkw öffnen zu können. „Unser Ziel ist es natürlich, die Brücke und diesen Bereich so lange wie nur irgend möglich mit zwei Fahrstreifen offen zu halten“, so Siegele. Verständlicherweise macht man sich nicht nur im nördlichen Wipptal, sondern auch in Südtirol und in Bayern Sorgen, welche Auswirkungen die verschiedenen Szenarien auf die Nachbarländer haben können. „Wir stehen im Austausch mit den Kollegen der Brennerautobahngesellschaft und jenen aus Bayern. Sie sind über die Problematik informiert“, so Siegele, der erklärt, dass man im Wesentlichen zwei mögliche Varianten unterscheiden müsse. Bei der ersten gehe man von einem Problem an der Brücke bzw. von einem Versagen aus, was eine Komplettsperre zur Folge hätte, die kurzfristig, sprich einige wenige Tage bis zu einigen Wochen dauern könnte. „Dieses Szenario wurde bereits ausgearbeitet. Wir haben einen Einsatzplan erstellt, der den Kollegen aus Italien und Deutschland bereits vorgestellt wurde“, erklärt der ASFINAG-Geschäftsführer, der die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario eintritt, allerdings für sehr gering hält. Das zweite Szenario geht von einer einspurigen Verkehrsregelung aus – auch hier stehe man im Austausch mit der A22-Gesellschaft und den bayerischen Vertretern. Die entsprechenden Gutachten seien in Auftrag gegeben worden und man sei gerade dabei, Konzepte zu erarbeiten. „Zurzeit haben wir allerdings noch kein fertiges Papier vorliegen“, so Siegele. Dieses bzw. das Konzept wird voraussichtlich im Sommer vorliegen.
 
 
 
 
Derzeit könne man jedoch bereits sagen, dass eine einspurige Befahrbarkeit nicht für die gesamte Zeit bis zur Fertigstellung der neuen Brücke  gelten wird, sondern nur für bestimmte Zeiträume, an denen das Verkehrsaufkommen besonders hoch ist. Hier gibt es Überlegungen, den Gütertransport auf den Ziel- und Quellverkehr einzuschränken. Das bedeutet beispielsweise, dass Lkw aus dem hohen Norden, die Richtung Italien unterwegs sind, eine andere Route nehmen müssen. Viel schwieriger, wie bereits erwähnt, gestaltet sich eine Lösung für den Urlauber-Verkehr. Wie Siegele erklärt, gebe es rund 70 verschiedene Möglichkeiten, in das Bundesland Tirol einzureisen. Man könne nicht sämtliche Verkehrswege kontrollieren oder Verbote aussprechen, sondern diese Herausforderung müsse über den Kommunikationsweg gelöst werden. „Die Auswirkungen wird man jedoch spüren, auf den Staatsstraßen wie auch auf dem Reschenpass und allen anderen Routen“, so der ASFINAG-Geschäftsführer, der unmissverständlich erklärt, dass es zu Beeinträchtigungen kommen wird. Zudem stehe die Gefahr im Raum, dass – sollte sich der Baubeginn noch weiter verzögern und sich der Zustand der bestehenden Brücke weiterhin verschlechtern – die Lueg-Brücke überhaupt nur mehr einspurig befahrbar sein wird. Das Worst-Case-Szenario geht von einer Totalsperre aus, „soweit sind wir allerdings noch nicht“, so Siegele, der genauso unmissverständlich klarstellt, dass es keinen Tunnel geben und die Brücke gebaut wird – ob mit dem Einverständnis oder gegen den Willen von Bürgermeister Mühlsteiger.
„Wir waren immer gesprächsbereit und sind es weiterhin. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir nur miteinander zu einer guten Lösung kommen werden, aber wir müssen mit dem Bau der Brücke so schnell wie möglich beginnen. Weitere Verzögerungen führen nur zu noch größeren Problemen“, so Siegele abschließend.

 

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Josef Fulterer Do., 09.03.2023 - 06:08

Das Undenkbare wird passieren.
Wenn wegen den Reparatur-Arbeiten auf der Lueg-Brücke das Durchkommen ziemlich schwierig wird, bekommen die Transit-Gegner die geforderte Beruhigung. Die SchwerTransporte und die Touristen-Ströme werden sich zum Überdruss der dortigen Anrainer, durch die teureren Alpenübergänge quälen.
Die zu erwartende Überholung der Viadukte im Aisacktal, könnte für die Anlieger der Brenner-Achse die nächste Hoffnung sein, für eine längere Zeit Verkehrs-beruhigt zu leben.

Do., 09.03.2023 - 06:08 Permalink