Kultur | Salto Weekend
Knappe Stunde
Foto: Privat
Im Theater in der Altstadt in Meran verjodelten und versangen Knapp (Wortführerin) und Clementi (Tonleiterin) vier Fallstudien von Mensch:innen, welche am ersten Schritt scheiterten, aus verschiedenen Gründen. Vorlage war, ohne die neu eingeführte weibliche Form für unsere Spezies - die kam auf der Bühne hinzu - „Mut und Drachenglut“, eine von sieben Erzählungen aus Brigitte Knapps zweitem Sammelband für Kurzprosa-Experimente. „Fischer am Berg“ ist vor kurzem bei laurin erschienen. Die knapp zehn Seiten der Geschichte lesen sich bereits in Teilen, wie sich die Gesangs- und Jodelpartituren auf der Bühne anhörten, kennzeichnen Stimme und Gegenstimme, und setzen den inneren Dialog der zaudernden Figuren zum Teil ins Schriftbild um. Auch rhythmisiert ist diese Prosa, die an der Schwelle zur Lyrik kratzt, zum Teil.
Das eigentümliche Instrumentarium im Bühnenraum kommt neu dazu: In chronologischer Reihenfolge wird in kleine Aperitivo-Fläschchen mit Wasser gepustet, ein Glockenspiel hilft immer wieder bei der Tonfindung, eine leere Pringles-Dose wird zur Handtrommel, ein Mini-Megaphon tat recht wenig, eine Kolbenflöte markiert Stürze humoristisch und gegen Ende zeigt man, dass sich alpenländisches Jodeln und „Zwoagsong“ wunderbar mit einem Shruti-Koffer zu Korsischen Schlafliedern aufmachen können.
Zuvor noch etwas zur Sprache, welche Knapp hier verjodelte und welche den Hauptprogrammpunkt des Abends charakterisierte. Ein bisschen erinnert das an Slam Poetry, im Guten, wie auch im zumindest Zweifelhaften. In ihren rhythmisch wiederkehrenden Formeln zeigt sich Knapp als Autorin hier durchaus stilsicher, weiß wo sie mit ihren Worten hinwill und streicht sprachliche Feinheiten heraus, führt „Mut“ oder „Muat“ auf die „Muatter“ zurück, oder legt Anachronie offen, wenn das Nachdenken der Handlung zuvor kommt: „Vor jeglichem Vorgang dachte er nachdrücklich nach.“ Auf der Kehrseite gibt es allerdings auch einige schräge Metaphern, für die, welche sich, wie ich, an so etwas stören. So wird der Siegfrieds-Mythos als Bild gestreift und Knapp verfehlt etwas. Ein besonders verletzlicher Zauderer hat dann kein Lindenblatt, wo doch dieses eigentlich zur Schwachstelle des Drachentöters führte und, weil Knapp ihren Drachen lieber zähmt, schöpft sie „aus dem Brunnenschacht, das Blut das unverletzbar macht“. Keine Drachen wurden verletzt, beim Schreiben dieses Buches.
Musikalisch war der Abend abwechslungsreich, schön und in besonderer Weise menschlich. Da war wenig Distanz zwischen den jodelnden Freundinnen und den Jodelfreunden im Publikum. Immer wieder war es auch der Humor, der mehr als die Musik im Mittelpunkt stand, etwa als Brigitte Knapp von der Erfahrung ihren Söhnen „Nein“ sagen zu müssen, berichtete. Der folgende „Wortwechsel“ war schon wie fürs Jodeln gemacht, denn auf „Ma dai Mamma“ folgt ein „Ma dai Buiben“. Schön auch, dass ein Gedicht aus der Straßenzeitung Zebra zu schiefen Bäumen in Jodel-Repertoire Eingang fand und dass man sich zwischendurch auch noch Zeit für Schönheit nahm.
Konstantin Weckers „Tropferl im Meer“ machte man sich ebenso zu eigen wie das bereits angedeutete „Mille Stelle“. Dieses war auch im Standarditalienisch so schön, dass man es, nach Startschwierigkeiten als Ohrwurm hatte. Der Shruti-Koffer, ein indisches Instrument, welches einen einzelnen durchgehenden Ton spielt und gerade bei der Meditation eingesetzt wird, gab erst den falschen Ton an, dann öffnete man eine andere Klappe und lachte über sich selbst. Klanglich ist das irgendwo zwischen Akkordeon und Drehleier und war für die Cross-Over-Musikalität der beiden Frauen ein geglückter Kunstgriff, der nachhallte.
Bitte anmelden um zu kommentieren