Gesellschaft | Interview

“Schützen sind auch ohne Waffe Schützen”

Der Generalvikar der Diözese, Eugen Runggaldier, äußert sich zum Gewehr- und Salvenverbot für die Schützen.
Eugen Runggaldier
Foto: Salto.bz

salto.bz: Herr Runggaldier, im Pustertal hat ein Pfarrgemeinderat beschlossen, dass die Schützen ihre Gewehre nicht mehr in die Kirche mitnehmen dürfen. Ist das in Südtirol eine Ausnahme oder die Regel?

Eugen Runggaldier: Die Frage, ob die Schützen mit Waffen in die Kirche dürfen oder nicht, stand erst ab dem Jahr 2000 im Raum. Zuvor haben die Schützen jahrzehntelang keine Waffen getragen, es war ihnen verboten. Daher hat sich diese Frage bei uns in Südtirol nicht gestellt. Ab 2000 war es wieder möglich, die historischen Waffen zu tragen, und man fragte sich, wie das nun geregelt wird. Es gab auch eine entsprechende Anfrage der Schützen an die Diözese.

Für welche Regelung hat sich die Kirche entschieden?

Damals hat die Diözesanleitung die Meinung vertreten, es sei schwierig zu sagen sei, man darf mit den Waffen überall hineingehen oder man darf nirgends. Denn es hat sich herausgestellt, dass die Sensibilität und die Emotionen zu dieser Thematik sehr unterschiedlich und nicht überall dieselben sind. Daher wäre es schwierig gewesen, eine einheitliche diözesane Regelung zu erlassen. Und so hat die Diözesanleitung beschlossen, nach unten zu delegieren und gesagt, die Entscheidung soll vor Ort, vom Pfarrgemeinderat getroffen werden. Heute gibt es manche, die damit nicht zufrieden sind – man riskiere damit, den Streit vor Ort zu haben – und sagen, es wäre hilfreicher, wenn es eine einheitliche diözesane Regelung geben würde. Damals hat man so entschieden, weil man der Meinung war, dass man damit der Sache am besten gerecht wird.

Wir verkünden eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung – und es gibt einfach Symbole, die für das Gegenteil stehen.

Nun hat ein Pfarrgemeinderat jüngst von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht – und ein Gewehr- und Salvenverbot über die Schützen verhängt.

In diesem konkreten Fall ist es folgendermaßen: Im Hochpustertal gibt es sieben Pfarreien, vier unterstehen dem Pfarrer von Toblach, drei dem Dekan von Innichen. Die beiden Priester arbeiten eng zusammen und sind auch in der jeweils anderen Pfarrei aktiv. Derzeit ist man dabei, eine einzige Seelsorgeeinheit zu schaffen und im Zuge dessen hat man festgestellt, dass es in den sieben Pfarreien ganz unterschiedliche Regelungen gibt. In einer Pfarrei war es so, dass die Waffen mit in die Kirche getragen wurden, in den anderen Pfarreien nicht. Daher hat man gesagt, weil eine Einheit auch eine einheitliche Regelung in der Causa haben sollte, müssen wir uns an einen Tisch setzen, reden und eine gemeinsame Lösung finden. Und die bekanntermaßen so ausgefallen: Man geht in die Kirchen nicht mit den Waffen.

Was sollten Kirchenvertreter etwas dagegen haben, dass Schützen mit ihren Waffen in die Kirche gehen?

Wir verkünden in der Kirche drin das Evangelium – und die Botschaft dort ist eine ganz andere. So heißt es zum Beispiel im Alten Testament, im Buch Jesaja, “aus den Schwertern werden sie Pflugscharen machen”. Wir verkünden eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung – und es gibt einfach Symbole, die für das Gegenteil stehen.

Sie sagen, dass auch historische, entschärfte Gewehre, wie sie die Schützen mitführen, für Gewalt und Krieg stehen?

Ja.

80 Jahre lang waren die Schützen ohne Waffen. Insofern relativiert sich das mit der Tradition im Süden Tirols auch ein wenig.

Die Schützen sagen, dass es sich beim Mitführen der Waffen um eine Tradition, einen Brauch handelt, und man sich – um es mit den Worten des neuen Landeskommandanten zu sagen – von “einigen übereifrigen Kirchenmännern nicht maßregeln lassen” will. Wäre es Ihrer Meinung nach im Jahr 2019 angebracht bzw. an der Zeit, Bräuche zu überdenken? Sind solche Bräuche noch zeitgemäß?

Zum Thema Brauchtum muss man dazu sagen, dass die Schützen bei uns nach dem Ersten Weltkrieg die Waffen verloren haben, sie wurden eingezogen. Bis zum Jahr 2000, als sie sie wieder tragen durften, sind also 80 Jahre vergangen. 80 Jahre lang waren die Schützen ohne Waffen. Insofern relativiert sich das mit der Tradition im Süden Tirols auch ein wenig – weil 80 Jahre auch schon fast eine Tradition sind. Und in dieser Zeit waren die Schützen auch Schützen. Sie waren nicht weniger Schützen, nur weil sie keine Gewehre oder keine Säbel hatten. Aber ganz so einfach ist es jetzt dennoch nicht. Die ganze Sache ist viel komplexer…

Inwiefern?

Nehmen wir die Bischofsweihe. Laut Protokoll gibt es dabei eine Ehrenwache der Carabinieri. Zwei von ihnen stehen vorne in ihrer Festtagsuniform – und beide tragen ihr Schwert. Somit könnte man sagen, ja wenn die Carabinieri mit ihren Schwertern in die Kirche dürfen, warum dürfen es die anderen dann mit ihren Waffen nicht? Anderes Beispiel: Wenn ein Staatsoberhaupt oder ein Minister zu Besuch kommt und zu einer Messfeier in die Kirche geht, dann hat er eine Leibwache mit, die natürlich bewaffnet ist. Da könnte man auch sagen, die dürfen nicht in die Kirche bzw. müssen ihre Waffen draußen lassen. Dort aber haben wir gar keine Handhabe, das zu verbieten. In diesem Sinne meine ich, dass das ganz komplex ist und dass die Schützen irgendwan sagen könnten, die Deutschen dürfen nicht und die Italiener dürfen schon – und dann würden wir irgendwann in eine ethnische Geschichte schlittern und etwas unnötig aufbauschen.

Wir verkünden in der Kirche drin das Evangelium – und die Botschaft dort ist eine ganz andere.

Begrüßen Sie persönlich es, dass Waffen vor der Kirchentür abgelegt werden müssen oder haben Sie kein Problem damit, dass sie mitgeführt werden?

Meine Meinung zu der ganzen Geschichte: Ich verstehe, dass jetzt Sommer ist und man Themen für den Sommer braucht (lacht) – da verstehe ich die Journalisten gut. Aber, was ich sagen will, ist folgendes: Ich glaube, es bringt der Sache nicht viel, wenn man das Ganze jetzt medial sehr aufschaukelt, wie es gerade ein wenig passiert. Sondern ich glaube, dass man im Dialog schon eine Lösung findet. Deshalb will ich gar nicht einmal Ja oder Nein sagen. Ich glaube, es ist es auch gar nicht Wert, dass man jetzt eine Polemik vom Zaun bricht. Vielmehr ist es wichtig, dass sich die verschiedenen Betroffenen an einen Tisch setzen und eine Lösung finden. Das wird man auch – wenn man guten Willens ist.

Nun sind es weniger die Journalisten als vielmehr der Schützenbund selbst, der es an polemischen Tönen nicht vermissen lässt. Sinngemäß schreibt SSB-Chef Jürgen Wirth Anderlan in einer Aussendung: Die Kirche sollte sich besser darum kümmern, die leeren Kirchenbänke zu füllen und andere brennende Probleme zu lösen als den Schützen als bekennenden Christen, die sich stets um den Erhalt des Glaubens im Lande verdient gemacht haben, dreinzupfuschen. Wollen Sie das kommentieren?

Ja – weil sich für mich diese Aussagen durch das relativieren, was die Schützen weiter unten schreiben. Sie sagen, sie werden der Kirche trotzdem nicht fernbleiben. Ich lese den scharf formulierten Satz, den Sie zitieren, mehr als eine Botschaft: Leute, es ist uns ernst, nehmt das nicht nur als kleine Meinung der Schützen – wir wollen zu unserer Tradition stehen und sie auch so gestalten, wie wir es wollen. Sie wollen ernst genommen werden, was ja berechtigt ist. Deshalb formulieren sie sehr scharf. Für mich relativiert sich die Schärfe aber durch das, was danach geschrieben steht – sie wollen nicht unbedingt einen Konflikt heraufbeschwören. Aber ernst genommen werden wollen sie.

Die Schützen wollen nicht unbedingt einen Konflikt heraufbeschwören. Aber ernst genommen werden wollen sie.

Ein zweiter Punkt sind die Ehrensalven, die die Schützen zu kirchlichen Anlässen abfeuern – “zu Gottes Ehren”. Laut der jüngsten Entscheidung des Pfarrgemeinderates sollen die Salven im Oberpustertal auf eine im Jahr reduziert werden. Muss man in die Luft schießen oder mit Gewehre in die Kirche marschieren, um den christlichen Glauben zu leben und ein Bekenntnis zu Gott abzulegen?

Nein. Nein, nein. Das mit der Salve ist auch so eine Sache, wenn ich an den kirchlichen Kontext denke. Man muss es nur aufmerksam beobachten: Wenn bei Prozessionen – etwa bei Erstkommunionen –, der berühmte Moment kommt, wo die Ehrensalve abgeschossen wird, erschrecken die Kinder alle. Nach dem Schuss herrscht eine allgemeine Unruhe. Kinder schreien, die ganz Kleinen weinen. Es gibt Pfarreien, die die Salven deshalb komplett verbieten – damit auch die religiöse Sammlung, die sich durch einen Gottesdienst oder eine Prozession ergibt, durch den Schuss nicht auch in die Luft geht.

Wissen Sie, wie im Falle der Oberpusterer Pfarreien die Schützen vor Ort über die Entscheidung des Pfarrgemeinderates reagiert haben?

Soweit ich gelesen habe, waren sie einverstanden. Wenn dem so wäre, fände ich das ja gut. Und dann wüsste ich auch nicht, wieso sich jetzt die höhere Ebene eingeschaltet hat – wenn die Schützen vor Ort tatsächlich gesagt haben, das passt für uns. Die wurden sicher nicht über den Tisch gezogen, das sind schon selbstständige Leute, die ihre Meinung eingebracht haben.

Wird die Südtiroler Kirche den Schützen trotz allem weiterhin anerkennen, dass sie sie sich um den Glauben im Lande verdient gemacht haben?

Natürlich. Selbstverständlich.