Im Epizentrum
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In der dunkel getäfelten Stube eines alten Gebäudes in der Bozner Hörtenbergstraße 1 empfangen Stefano Riba und Francesca Cirilli zum Gespräch mit SALTO über ihr Kunst- und Fotografieprojekt, welches in den dunkeln Südtiroler Untergrund führt. Der Architekt Walter Norden, der das Haus erdachte in welchem Cirilli und Riba über ihr aktuelles BBT-Projekt erzählen, kam wie sie von auswärts, aus dem polnischen Brodnica (damals Strasburg). Norden-Bauten gibt es auch außerhalb von Bozen, in Innsbruck oder Wien, in Bad Gastein und anderen Gegenden. Sein Schaffenswerk ist mancherorts zwar immer noch sichtbar, doch irgendwie auch unsichtbar. Nur wenig ist über ihn bekannt. Somit gibt es Parallelen (wenn auch weit hergeholte) mit dem gigantischen Tunnelwerk, das sich unter der Kurzbezeichnung BBT gegenwärtig in die Alpen bohrt: Vieles ist trotz Bekanntheit unbekannt.
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Mit Bildern und Worten wollen Francesca Cirilli und Stefano Riba das BBT-Gebiet vom "Epizentrum" Franzensfeste aus erfassen, um einen Zustand zu erzählen, der sich unterirdisch und über Grenzen hinweg manifestiert. Entlang eigener Vorgaben spüren die beiden Kunst- und Kulturschaffenden feingeistig nach: den Menschen, der räumlichen, historischen und kulturellen Dynamik.
...die Welt, in der wir leben, aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Für ihr Projekt besuchen sie die Arbeitenden auf der Baustelle, beobachten die Natur, das Dorf, sprechen mit Bewohnern und Bewohnerinnen und sind bei großen Veränderungen mitten im Geschehen. „Bereits jetzt verschwinden Spuren“, erzählt Stefano Riba, „der Aushub der Haupttunnel ist fast abgeschlossen, die Renaturierungsarbeiten heilen die Wunden im Boden und einige der vorgefertigten Dörfer für die Arbeiter wurden wieder abgebaut. Somit wird die Erinnerung an den Bau dieser gigantischen Infrastruktur bald verblasst sein.“ Das Foto Forum in Bozen hat neben Riba die Künstlerin und Fotografin Francesca Cirilli beauftragt, Stimmen und Zeichen der Baustelle zu sammeln. Gemeinsam werden dann im Rahmen einer Ausstellung „Bilder, Geschichten, Hoffnungen jener freigelegt, die im Untergrund arbeiten, sowie die Zweifel an der Zukunft jener an der Oberfläche“.
Stefano Riba ist seit Jahren für verschiedenste Kunstprojekte tätig und organisierte bereits einige Ausstellungen. „Als ich hierher gezogen bin, war es für mich normal, dem Foto Forum ab und zu Projekte vorzuschlagen“, sagt er. Außerdem arbeite er gerne mit Künstlern und Künstlerinnen zusammen, die „die Welt, in der wir leben, aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.“ Sein Interesse für den BBT rühre hauptsächlich daher, dass er ebenfalls aus einer Randregion komme, „in der es kaum Infrastruktur gibt.“ Doch er kenne die Diskussionen im Susatal rund um das seit Jahrzehnten umstrittene Tunnelwerk Turin-Lyon nur zu gut. Riba interessierte „weshalb über den BBT nicht so viel gesprochen wurde“, wollte diesem Tatbestand nachgehen und begann zu recherchieren.
Es sind Arbeitsnomaden aus Kalabrien, Sizilien, Venetien und aus dem Ausland.
Die Künstlerin und Fotografin Francesca Cirilli ist im toskanischen Viareggio aufgewachsen, unweit von Carrara und den weltweit bekannten Marmorbrüchen. Inzwischen lebt sie in Turin und ist international tätig. Zu temporären Unterkünften hat sie bereits für ein früheres Projekt Berliner Wohnwagenrealitäten fotografiert und um „temporäre Unterkünfte geht es auch hier“, erzählt sie. „Wer weiß denn schon, wie die Leute an diesen Orten vorübergehend leben, wie intensiv und strukturiert sie leben? Sie bleiben für längere Zeiträume, sind wenig integriert und arbeiten in langen Schichten. Wenn sie frei haben, kehren sie nach Hause zurück.“ Es sind Arbeitsnomaden aus Kalabrien, Sizilien, Venetien und aus dem Ausland. Cirilli hält fest, was sie unterscheidet und verbindet: etwa die orangefarbenen Jacken, oder die Kaffeekannen. Sie dokumentiert das Innen und Außen und wie „letztendlich Kollegen zu einer Art Familie werden. Zu einer zweiten Familie.“ Ihre fotografische Erzählung beruhe primär auf zwei Sichtweisen sagt sie, „die eine dreht sich eher um die Landschaft, also das Sein im Raum, die andere ist etwas intimer, begleitet die Leute, die dort in ihren Zimmern leben, in den Kantinen und im Zentrallager.“
Die Fotos und die dazu gehörige Bild-Sprache die sie nun mit Stefano Riba für das Ausstellungsprojekt entwickelt, richtet sich auf spezielle Details, unsichtbare Aspekte des Alltags und auf Lebenssituationen im BBT-Basislager. „Wenn die Arbeiten abgeschlossen sein werden“, sagt Riba, „werden die Leute mit über 200 Stundenkilometer durch diesen Tunnel rasen. Sie werden die Landschaft nicht sehen und wahrscheinlich wird sich niemand fragen, wer diese Arbeit gemacht hat.“Kunstprojekt im FotoforumStefano Riba und Francesca Cirilli zeigen ihre gesammelten Eindrücke in wenigen Monaten im Rahmen einer Ausstellung im Fotoforum in Bozen.
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