Hayao Miyazaki und der Reiher

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Hayao Miyazaki ist sicherlich einer der bekanntesten Filmemacher aus Japan. Seine bis heute handgezeichneten Anime verzaubern seit nun schon etwa fünfzig Jahren Kritiker wie Publikum gleichermaßen. Miyazakis Arbeiten werden für ihre Originalität, ihre visuelle Pracht, ihre Detailverliebtheit und nicht zuletzt wegen ihrer Auseinandersetzung mit komplexen Themen wie dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur gelobt. Die Filme sind zudem tiefe Blicke in die japanische Seele. Mitunter ist es Miyazaki zuzuschreiben, dass Anime als Kunstform heute ernstgenommen wird und sich auch im Westen größtenteils vom Stigma des Kinderfilms befreit hat. Obwohl der mittlerweile 84 Jahre alte Miyazaki bereits mehrmals verlauten ließ, in den Ruhestand zu gehen, veröffentlichten er und sein Studio Ghibli 2023 einen weiteren Film: Der Junge und der Reiher.
Er ist sich selbst nur selten gut genug. Er sucht die Perfektion, den gewissen Funken, der seine Filme ausmacht.
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Auch dieses Werk fand wieder weltweite Anerkennung. Eine Dokumentation, die den schlichten Namen Hayao Miyazaki und der Reiher trägt, ist auf aktuell Netflix zu sehen, wo sich auch sämtliche anderen Filme des Regisseurs mittlerweile versammeln. Die Doku von Kaku Arakawa begleitet Miyazaki und seine engsten Mitarbeiter bei der rund sieben Jahre andauernden Produktion dieses bislang letzten Films. Im Grund ist es ein Tagebuch, in dem viele Seiten fehlen, in Abständen von Teils mehreren Wochen besucht Arakawa das Studio Ghibli und gibt Einblicke in die Arbeit. Den Meister Miyazaki dabei zuzusehen, wie er an seinem kleinen Schreibtisch sitzt und noch immer selbst zeichnet, berührt. Ebenso zu sehen, wie er scheitert, Entwürfe verwirft, immer wieder neu anfängt. Er ist sich selbst nur selten gut genug. Er sucht die Perfektion, den gewissen Funken, der seine Filme ausmacht. Findet er ihn nicht, gibt sich der Regisseur frustriert, zieht sich grummelnd auf die Terrasse zurück, immer dabei die obligatorische Zigarette. Nachdenklich blickt er dann in die Ferne, an einem nebelverhangenen Vormittag auf dem japanischen Land. Der Kamera, also uns Zuschauer*innen, erzählt er glücklicherweise von seinen Gedanken, seiner Unzufriedenheit, aber auch davon, was ihn abseits des Films noch beschäftigt. Da wären etwa die Tode seiner Freunde und Weggefährten, die sich im Alter mehren. Besonders das Ableben von Isao Takahata im Jahr 2018 macht Miyazaki zu schaffen. Takahata, der selbst legendäre Ghibli-Filme wie Die letzten Glühwürmchen oder die Heidi-Serie inszenierte, war Miyazakis Freund und Mentor gewesen. Die Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit ist ein zentrales Thema in der Dokumentation und findet schließlich auch Eingang in die Arbeit am Film Der Junge und der Reiher. Überhaupt wird klar, wie hoch das Maß an autobiographischen Aspekten bei diesem Anime ist.
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Seine Filme sind Miyazaki und Miyazaki ist seine Filme.
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Ein gelungener Kunstgriff der Dokumentation ist, dass sie Gegenwärtiges nur selten mit Aufnahmen aus der Vergangenheit kombiniert, sondern im Gegensatz dazu Bezüge durch das Einspielen von Szenen aus Miyazakis eigenen Filmen herstellt. Ein ums andere Mal schneidet die Doku in hohem Tempo durch Streifen wie Chihiros Reise in Zauberland oder Prinzessin Mononoke, nur um dem Publikum deutlich zu machen, wie der heutige Miyazaki mit seinen Werken zusammenhängt – bald wird klar, dass er mehr als die meisten anderen, heute arbeitenden Regisseur*innen noch immer ein echter Autorenfilmer ist. Seine Filme sind Miyazaki und Miyazaki ist seine Filme. Angeblich arbeitet er bereits am nächsten, und hoffentlich gibt es auch dann wieder einen Blick hinter die Kulissen, wie im Fall dieser Dokumentation, die allen Freunden seiner Arbeiten wärmstens empfohlen sei.
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