Leere Lehrerstellen

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Das Schuljahr kommt, aber die Lehrerinnen und Lehrer gehen. Die aktuelle Online-Stellenwahl an den deutschsprachigen Schulen hat gezeigt: 1099 Stellen bleiben unbesetzt. Andrea Perger, Lehrperson und Mitglied der Qualitätsmarke Bildung, erläutert, dass damit dem Land Südtirol für die deutschsprachige Schule ein Zehntel der rund 10.000 Lehrerposten im Land fehlt.
Besorgt blickt man auf die nun folgende Stellenbesetzung durch die Schulen, denn die echten Lehrerinnen und Lehrer markieren bereits die 43,8 Prozent. Während Bildungslandesrat Philipp Achammer und die Landesbildungsdirektion die Sache relativ cool sehen, fragt sich Perger, auf welche Kompetenzen man überhaupt noch hoffen kann. Ähnlich sieht das Karoline Eder. Die gebürtige Österreicherin kehrt nach jahrelanger Lehrtätigkeit an mehreren Schulen im Pustertal wieder in ihr Heimatland zurück. Sie verlässt nicht nur eine Schule, sondern ein Bildungssystem, dessen Attraktivität sie einst nach Südtirol brachte. Grund dafür ist für sie vor allem die Baustelle Mittelschule.
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Andrea Perger erläutert die Stellenwahl, die regelmäßig mediale Diskussionen hervorruft. Dabei handelt es sich um eine Online-Stellenwahl, bei der man eine der freien Stellen wählen kann, sofern man als Lehrerin oder Lehrer in der Rangliste für Lehrpersonal eingetragen ist. Man kann also sagen, so Perger, dass bei dieser Stellenwahl die »echten Lehrkräfte« ihre Stelle wählen, „und nun ist das Rennen eröffnet: Alles was will, möge kommen!“ Startschuss also für die Besetzungsrallye, bei der nun alle schulischen Führungskräfte die Telefonhörer zum Glühen bringen auf der Suche nach kompetentem, oder einfach nur anwesendem Personal. Dabei sind alle willkommen, ob Quereinsteiger oder frisch Maturierte.
Petra Nock, Vorsitzende der Schulgewerkschaft im ASGB merkt in einer Stellungnahme an: „Viele Schulen müssen nun über Direktbeauftragung Personal finden und vermehrt muss auf nur mangelnd oder überhaupt nicht ausgebildetes Personal zurückgegriffen werden“. Perger bestätigt diese Auffassung. Zwar ließen sich noch pädagogisch ausgebildete Lehrkräfte finden, die sich entweder nicht rechtzeitig in eine Rangliste eintragen lassen konnten oder taktisch auf eine bestimmte Stelle warten – das seien aber nur Einzelne.
Auf Anfrage der Qualitätsmarke Bildung an die Landesbildungsdirektion, die Situation im August nach außen hin transparent zu machen, sei die Lehrerdelegation unterrichtet worden: Man müsse für die Beruhigung von Eltern und Gesellschaft sorgen. „Es ist aber eine reine Illusion, jetzt noch 1.000 qualifizierte Lehrkräfte aufzutreiben“, so Pergler.
Baustelle MittelschuleKaroline Eder, die nach Jahren im Schuldienst in Südtirol nun aussteigt, um eine attraktivere Stelle in Österreich zu beziehen, hat sich an SALTO gewandt. Sie verweist auf den drastischen Rückgang der Stellenwahlen, der sich besonders bei Mittelschulen zeige. Im Vergleich zum Vorjahr würden sich hier 16 Prozent weniger gewählte Stellen abzeichnen. Über Gründe könne sie nur mutmaßen, aber vor allem macht sie eine vielschichtige Überforderung von Lehrpersonal sowie Schülerinnen und Schülern dafür verantwortlich, ergänzt durch die herrschende Kampfstimmung im Bildungssektor und die Orientierungslosigkeit im Bildungssystem, die dazu beitrügen, dass der Lehrerberuf immer unattraktiver erscheint. Ein Beispiel sei der Wegfall wichtiger Unterstützungsangebote für benachteiligte Schülerinnen und Schüler: „Bereiche der Sprachförderung oder der Hausaufgabenhilfe für Kinder, die Unterstützung brauchen, wurden bis jetzt vorwiegend mit ESF-Fördermitteln der EU finanziert. Diese fallen heuer weg, was natürlich auch ein Loch aufreißt.“
Die Ausbildung der Lehrpersonen sei schlicht nicht auf diese Schulform Mittelschule ausgelegt. Aus Österreich kämen „Pädagogik-Studierte“ mit einem Oberstufenprofil zurück, die auf die pädagogischen Anforderungen der Mittelschule nicht vorbereitet seien, so Eder: „Die Kinder brauchen offene Lernformen, Beziehungsarbeit, individuelle Förderung – und was bekommen sie? Frontalunterricht und Leistungsdruck.“ Ein richtiger Umgang sei somit kaum mehr möglich.
„Druck erzeugt Gegendruck. Und niemand schaut, warum sich ein Kind so verhält“
Ein weiteres Problem ist für sie das Fehlen rechtzeitiger Diagnosen und Fördermaßnahmen bei Lernschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten. Wertvolle Zeit, um Probleme zu lösen, ginge oft verloren. In dieser Zeit könnte sich ein Problem meist verfestigen. Faktoren, die innerhalb der Lehrerschaft große Unsicherheit und Überforderung zutage fördern. Viele Lehrpersonen würden aus Überforderung mit Kontrolle und Strafe reagieren, aber „Druck erzeugt Gegendruck. Und niemand schaut, warum sich ein Kind so verhält“, erklärt Eder.
Schulautonomie und mangelnde Solidarität im KollegiumEin zentrales strukturelles Problem sieht die Lehrerin in der gelebten Schulautonomie. Zwar ermögliche sie die freie Gestaltung des Unterrichts, was ein ungemeiner Mehrwert sein kann, betont Eder, aber diese Freiheiten gehen in der Praxis oft zu Überlastung. Endlose Sitzungen, unklare Verantwortungsverteilung und vor allem: ungleiche Schulkulturen, seien die Kollateralschäden. „Oft geht die Schulautonomie nach hinten los! Wir an der Schule müssen Verantwortung übernehmen und über alles abstimmen. Da ist es oft angenehmer von Außen geregelt zu werden als selbst zu regeln.”
Es entstehen Dynamiken innerhalb und zwischen den Schulen, wie Neid und kompetitive Ellebogenhaltungen. Die Schulen können sich selbst für eine Haltung entscheiden und oft sei die Haltung aufgrund der Überforderung der Lehrpersonen gegenüber Schülerinnen und Schülern häufig defizitorientiert. „Angepasstes Verhalten, Ordnung, Respekt stehen dann über Beziehungsarbeit, Milieusensibilität und Unterstützung”, bemerkt Eder.
Forderung nach KurskorrekturAuch Team K Landtagsabgeordneter Alex Ploner meldet sich in einer Presseaussendung mit der Betonung der Dringlichkeit einer Bildungsreform, „die den Arbeitsplatz und den Bildungsplatz Schule wieder attraktiv macht – sozial, strukturell und organisatorisch. Nur so können wir die Qualität der Bildung sichern und den Beruf der Lehrerin und des Lehrers wieder mit dem nötigen Respekt versehen und attraktiv machen. Außerdem sind Themen wie Ganztagsschule, Carta del docente, bilinguale Modelle, Trennung der Schulverwaltung von der pädagogischen Leitung, Begabtenförderung und eine funktionierende Inklusion dringend anzugehen und umzusetzen.“ so Alex Ploner.
Ploner fordert damit Konzepte, die auch von der Qualitätsmarke Bildung Südtirol gegenüber SALTO als zielführendangesehen werden.
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