Kultur | Salto Afternoon
Romantisches Beisammensein
Foto: Privat
Vorab wurde daran erinnert, dass Beschwerden zur Bestuhlung im in die Jahre gekommenen Konzertsaal des Konservatoriums nicht an den Konzertverein zu richten seien, da dieser seit Jahren versuche, einer Aufwertung des Raumes den Weg zu bereiten. Es sei Teil der Spannung ob die Stühle für die Dauer des Abends halten würden, meinte man scherzhaft. Auch wurde an den neuen künstlerischen Leiter, Matthias Mayr, erinnert (lesen Sie hier das Interview von Martin Hanni) und der alte, Josef Lanz, im Saal begrüßt.
Die Musiker des Mariani Klavierquartetts ließen es sich nicht nehmen noch einmal auf den „Premierencharakter“ des Abends hinzuweisen, da Friedrich Gernsheim südlich des Brenners ein fast unbekannter Komponist scheint, dessen Namen zumindest in den Aufzeichnungen des auf 1855 zurück gehenden Bozner Konzertvereins nicht zu finden ist. Gerade da es wenig fixe Klavierquartett-Formatioen gibt und man sich häufig an „Klassikern“ des Genres abarbeitet, eine gern gesehene Abwechslung. Gernsheim wurde aber auch ausgewählt, um dem Abend einen musikalischen Rahmen zu geben: Als enger Freund von Johannes Brahms, dessen Stück den Abend beschloss, wurden zwei romantische Schwerpunkte gesetzt. Dazwischen ein lyrisches Klavierquartett von Wolfgang Amadeus Mozart, dem Pionier der Gattung, welches in der Mitte des Abends für Abwechslung sorgen sollte und ins 18. Jahrhundert zurückgriff.
Gernsheims Klavierquartett Nr. 2 in c-Moll op. 20 (um 1870) begann im ersten Satz „Allegro molto moderato“ gleich mit einer Dosis romantischer Schwermut, die für den Abend bezeichnend, aber nicht erschöpfend sein sollte. Das Quartett war es im Übrigen, welches das Stück aus dem Archiv holte und 2021 erstmals in Aufnahmeform publizierte. Dem zugleich grüblerischen und emotionalen Stück wohnt ein Kampf der Kräfte inne, der Dialog zwischen Gerhard Vielhaber (Piano) und Philipp Bohnen (Violine), Barbara Buntrock (Viola), sowie Peter-Philipp Staemmler (Violoncello) ist fein ausgearbeitet, dem Zusammenspiel wird noch mehr Aufmerksamkeit als der Partitur geschenkt. Ob dies nun das - bei Gernsheim - sehr direkte und motivbezogene Frage-Antwortspiel der Instrumente ist, oder der genaue Pizzicato, man hat einander im Blick und arbeitet gemeinschaftlich daran die romantische Schwermut aufzulösen und ihr eine spielerische Leichtigkeit gegenüberzustellen, über ein Adagio cantabile im zweiten Satz, bis schließlich hin zum Rondo, welches bereits strukturell den Endpunkt markierte und „poco a poco più Allegro“ wird, als stures Aufbegehren gegen eine große Traurigkeit.
Nach dem romantischen, gefühlsbetonten Einstand mit Gernsheim, der im Saal auf Anklang stieß, erreichte der Abend mit Mozarts Klavierquartett Nr. 2 in Es-Dur, KV 493 (1786, unmittelbar nach „Le nozze di Figaro“ geschrieben) seine größte technische Komplexität und eine Ausweitung des Dialogs von Frage-Antwort zwischen Piano und Streichern, das Variation und Subversion der Phrasen mit einbezog und die Streicher öfter vereinzelt mit dem Klavier in Konversation stellte. Nach dem ersten Satz, einem sich zum Ende hin auf eine gemeinschaftliche Bewegung der Instrumente zuspitzenden Allegro, war aber kurz Pause.
Bohnen stand auf und entschuldigte sich dafür, seinen Konzerthocker „kaputt“ gemacht zu haben. Verständiges Lachen im Saal über eine sich erfüllte Prophezeiung und ein mittleidvolles Raunen, als statt einem weiteren Hocker „nur“ ein schlichter Holzstuhl als Ersatz auf die Bühne kam.
Im 2. Satz, dem „Larghetto“ dann doch ein, der Zeit voraus eilender Anklang von Romantik und ein fortgesetztes Spiel mit dem Kopfmotiv. Besonders bei Mozart kamen die in Timing und Intensität präzise gesetzten Pizzicatos gut zur Geltung. Im 3. und letzten „Allegretto“-Satz spielte man wiederum auf die Form eines (Sonaten)-Rondos zu und beschloss ein Quartettstück reich an Licht und arm an Schatten.
Nach einer planmäßigen Pause wandten die Musiker ihre Aufmerksamkeit Brahms Klavierquartett Nr. 3 in c-Moll, op. 60 (1875) zu. Durch die vier Sätze des lang gereiften Stücks geht in der Mitte ein (auto)biographischer Bruch: 1855, mit 22 Jahren, hatte der junge Brahms in cis-Moll die Arbeit an der Urform des Stückes begonnen, von welchem die ersten beiden Sätze, „Allegro non troppo“ und „Scherzo. Allegro“ zeugen, während der dritte und vierte Satz, „Andante“ und als Finale ein „Allegro comodo“ auf einen gereiften und maßvolleren, „mittleren“ Brahms verweisen.
Die Liebesgeschichte unter unglücklichem Stern, die Zerrissenheit zwischen Emotion und Freundespflicht, die im Lebenslauf auf eine Beziehung zu Clara Schumann zurückzuführen sind, findet im Stürmen und Drängen der Musik Entsprechung, man denkt dabei an eine werthersche Figur, die allerdings keinen tragischen Freitod findet, sondern, durch die Zeit zusehends eine Mäßigung der Emotion. Aus himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt werden reifere, distanziertere Regungen, die Emotion mit Feingefühl aufgreifen und verarbeiten. Das anfängliche, tief berührende Moll der Komposition, das die Musiker in große Versunkenheit und ohne Pathos-Angst dargeboten hatten, löst sich also nicht etwa in Euphorie, sondern in Zufriedenheit und Gelassenheit am Ende des vierten Satzes auf, mit einem zum Hauch hinab gespielten Glissando.
Nach einem thematisch dichten, emotional aufgeladenem Einstand, mit einer Gernsheim-Darbietung, die in besonderer Weise überzeugte, gab es einen letzten, langsamen Satz von Robert Schumann als Zugabe. Der nächste vom Bozner Konzertverein organisierte Abend, am 25. Januar, sieht Harfe (Joel van Lerber) und Vibraphon (Juris Azers) als Akteure, mit Arrangements zu Stücken von Arvo Pärt, Claude Debussy, Christopher Dean und E. A. Walter-Kühne. Dem Verein ist für die neue Saison jedenfalls Hals- und Stuhlbeinbruch zu wünschen.
Bitte anmelden um zu kommentieren