Kultur | Salto Afternoon
In einem neuen Licht
Foto: Massimo Giovannini/Lucia Santorsola
Das japanische „Henkō“ (変 Hen = Veränderung; 光 Kō = Licht) meint nicht nur veränderliches Licht, sondern Licht, welches in Folge auch unsere Wahrnehmung verändert. Das Projekt von Fotograf Massimo Giovannini und Maskenbildnerin Lucia Santorsola nahm seinen Ausgang in Folge des 20. Mai 2016, als der italienische Staat als letztes Westeuropäisches Land eine rechtliche Grundlage für eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften schuf.
Im Meraner Kulturzentrum in der Cavourstraße wird das vom Verein 00A Gallery in Zusammenarbeit mit Mairania 857 präsentierte Projekt noch bis zum 18. März zu sehen sein. Ausgestellt werden zwölf großformatige Büstenportraits (am unteren Bildrand reichen sie bis zu den Schultern) von sechs Personen, welche nur mit Hilfe von Veränderung durch Theaterschminke und Mimik eine symbolische Geschlechtsumwandlung durchlaufen. Die Beleuchtung stammt dabei aus einer einzigen neutralen oder auf die Augen abgestimmten Lichtquelle. Digital nachbearbeitet (retuschiert oder betont) wurde lediglich der Adamsapfel der dargestellten Frauen und Männer. Sieht man sie aber noch als solche? Wer genau hinsieht und bei den aus kurzer Distanz geschossenen Bildern auf die Suche nach gewissen Merkmalen in der Physiognomie sucht, der kann wahrscheinlich das „Ausgangsgeschlecht“ der Modelle bestimmen, aber darum geht es nicht. Wer nicht zu nahe an den Bildern steht, bemerkt, wie das eigene Hirn in Kategorien arbeitet und unbewusst die Seite an Seite stehenden Bilder in gedankliche Schubladen steckt. Die Ausstellung will dabei nicht täuschen, sondern legt Vorurteile als Teil einer normalen Begegnung auf Augenhöhe mit Neuem offen und lädt ein, darüber zu reflektieren. Ein Vor-Urteil ist dabei nichts per se schlimmes, oder von vorne herein abzulehnendes, es ist eine erste Meinung, welches zu reflektieren gilt. Um diese Reflexion ein Stück weit zu vertiefen, habe ich den Fotografen Massimo Giovannini videotelefonisch kontaktiert.
Salto.bz: Herr Giovannini, für das Projekt haben Sie auf nicht professionelle Modelle gesetzt. Welche waren die Auswahlkriterien?
Massimo Giovannini: Genau, alle dargestellten Personen sind keine professionellen Modelle. Es sind Personen, die Lucia und ich in Trient und Umgebung, dort, wo wir leben, auf der Straße getroffen haben, sowie einige Freunde. Das grundlegende Kriterium war jenes der Erfahrung: Wenn wir ein Gesicht gesehen haben, versuchten wir immer uns vorzustellen, es in seine weibliche oder männliche Entsprechung zu verwandeln. Mit unserer jahrelangen Erfahrung, Lucia im Bereich Maskenbild, Theater und Kino, ich als Porträtfotograf haben wir unsere Modelle danach ausgesucht, was uns richtig erschien. Nicht alle haben funktioniert. Auch Personen, die, wenn sie vor einem stehen etwas, nennen wir es mal „Androgynes“ hatten, waren in der fotografischen Version nicht immer so abzubilden.
Bei meinem Besuch der Ausstellung war auch eine männliche Klasse von Oberschülern zugegen. Beim ersten Kontakt mit den Bildern meinte ein Schüler „Das ist leicht. Da ist ein Mann, dort eine Frau.“, obwohl es die selbe Person war. Später, als sie das Prinzip verstanden hatten, meinte ein anderer, dass ihm die Bilder gemischte Gefühle vermitteln würden und er sich unwohl fühle. Woher denken Sie kommt dieses Unbehagen?
Es kommt von den Vorurteilen welche wir alle haben, auf welche das Projekt auch abzielt. Als wir beschlossen diese Bilder zu machen ging es uns nicht darum, jemanden reinzulegen oder den Eindruck zu erwecken, dass da zwei verschiedene Personen wären. Die Idee war es, einen Moment des Zweifelns zu erzeugen. Abhängig davon, wer diese Bilder betrachtet ist dieser stärker oder schwächer. Junge Personen sind dabei sehr viel freier von gewissen Vorurteilen. Das Projekt haben wir der Tochter von Lucia gezeigt, die damals acht oder neun war und für sie war ein Teil ein Mann, der andere eine Frau und sie hatte dabei keinerlei Zweifel. Dass die Bilder einen gewissen Schockwert haben, ist der Gesellschaft geschuldet, in welcher wir leben, in der wir einen Namen und eine Kategorie für alles was wir sehen brauchen: groß, klein, blond oder brünett, Mann oder Frau, dick oder dünn… Wenn wir etwas sehen, das uns aus diesem Muster austreten lässt, dann fühlen wir uns kurz desorientiert.
Wenngleich es sich um Büstenportraits handelt ist in den Bildern auch ein starker Aspekt der Nacktheit präsent: Mit Ausnahme von einem Ohrring finden sich keine Ablenkungen. Welches war die Absicht hinter dieser symbolischen Nacktheit?
Als wir mit den Aufnahmen anfingen haben wir auch Versuche mit verschiedenen Lichtquellen, Kleidung und Accessoires gemacht. Wir sind aber auf das Konzept „less is more“ gestoßen und ließen nur das Gesicht der Person, die nackten Schultern, weil wir keine anderen Lektüreschlüssel bieten wollten. Der Betrachter muss sich nur darauf konzentrieren, was das Gesicht ihm sagt. Was gäbe es unmittelbareres und direkteres als nur das Gesicht zu haben? Es durfte nichts da sein, was die Aufmerksamkeit ablenkt und eine weibliche oder männliche Seite unterstreicht. Das war auch eine Schwierigkeit: Hätten wir mit Accessoires gearbeitet, wäre es sicher einfacher gewesen. Auch technisch gesehen haben wir die Unterschiede minimiert. Fällt in einem Bild das Licht in einem Winkel von 45 Grad ein, so tut es das in beiden. Es war einfach eine Arbeit mit Make-Up und Pose.
Sie sind mit dem Projekt 2016, nach der Gesetzesänderung gestartet. War diese Verwandlung mehr ein Spiel mit „Sex“ (biologischem Geschlecht) oder „Gender“ (soziales Geschlecht)?
Unser Projekt ist ein Gedankenspiel. Es geht darum, Stereotypen des Geschlechts jeglicher Art zu überwinden. Wir hatten und haben noch immer nicht die Annahme, jemandes Meinung zu ändern. Der Zweck war es, auch nur für einen Moment, die Vorurteile, welche man hat, zu überwinden. Uns hat das nie interessiert ob eine Person, Mann, Frau oder Transgender ist. Wer das Bild betrachtet, muss einen Moment nachdenken, einen Moment zweifeln.
Die Lektüre der Bilder beginnt bei den Augen der Modelle, welche im Fokus stehen. Hatte dieser Blick für Sie etwas Weibliches oder Männliches? Für mich war es oft eine Art Konstante zwischen beiden Bildern.
Wir haben uns entschieden den Fokus auf die Augen zu legen, da sie der Spiegel der Seele sind. Das war auch eine technische Entscheidung, da ich mit einer Mittelformatkamera arbeite, mit geschlossener Blende in diesem Fall, was die Schärfentiefe minimiert. Wir haben daher den Fokus auf die Augen gelegt, weil sie es sind, die uns als erstes beeinflussen. Während ich die Bilder schoss, versuchte ich, das schon, einen dem Geschlecht entsprechenden Blick einzufangen. Hätte ich Sie fotografiert, so hätte ich versucht einen weicheren Blick zu erhalten.
Gab es da auch Anpassungen des Blicks innerhalb des selben Geschlechts? Es gibt Frauen, welchen einen entschlossenen Blick haben und Männer, die einen schüchternen Blick haben, welche dieser Auffassung entgegen laufen…
Das kam vor der Kamera sehr stark heraus und war ein wichtiges Entscheidungskriterium für oder gegen ein Modell, die Augenpartie war sehr wichtig. Wenn ich Sie sehe, so hätten Sie zum Beispiel eine Augenpartie, die sehr in die Länge geht, abgesehen von Ihrem Bart würde sich das gut anbieten. Man muss den Blick aber auch im Kontext sehen. Ein Versuch den wir angestellt haben war auch, vom Bild nur den Blick übrig zu lassen, was es sehr schwer macht zu sagen, ob man eine Frau oder einen Mann sieht. Es ist der Kontext, der Rückschlüsse auf das Geschlecht zulässt. Mit dem Blick allein ist das sehr, sehr schwierig. Deswegen gibt es auch einige Aufnahmen, bei welchen wir die Ausrichtung des Gesichts zur Kamera leicht verändert haben: Ändern sich die Linien um die Augen herum, so gibt das ein Bild, welches mehr von dem hatte, was wir gesucht haben, es wurde männlicher oder weiblicher.
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