Kultur | Salto Afternoon

Vergeben und vergessen?

Eva Niedermeiser bringt ein Turini Stück mit heiklem Thema auf die Bühne. Auf dieser stehen und sitzen (im Rollstuhl) Günther Götsch und Patrizia Pfeifer im Altersheim.
Gemeinsam ist Alzheimer schöner
Foto: Andreas Marini
„Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ von Peter Turini ist ein thematisch wechselhaftes Stück, das mal beklemmend, mal mit Galgenhumor über das Tabuthema Alzheimer spricht. In der Seniorenresidenz „Herbstfreuden“ spielt sich ab, was beim Lesen der Inhaltsangabe noch nach „50 erste Dates“ mit Adam Sandler klingt, in der Inszenierung aber doch näher am Leben ist. Ein Paar lernt sich kennen, verliert sich im oder taucht auf aus dem Nebel der Erinnerung, ist jung und alt gleichermaßen. Die Krankheit scheint im Laufe des Abends voranzuschreiten, es gibt aber immer wieder auch die Momente einer scheinbaren Besserung und trügerischer Hoffnung.
Man beginnt recht unbeschwert, zwei scheinbare Fremde tauschen Küsse aus, ihr Umfeld (Bühnenbild: Andrea KernerBühnenbau: Robert Reinstadler) ist karg, farbliche Orientierungslinien am Boden verweisen auf den Kontext Altersheim, ebenso wie die beiden Stimmen aus dem Off, welche mit den Heimbewohnern sprechen, jene von Thomas Hochkofler und die von Johanna Porcheddu. Weitere Personen im Bühnenraum übernehmen das Verschieben der Rollstühle oder den (einmaligen) Umbau des Bühnenraums. Auch die Enkelin des Paares (gespielt von Agnes Nardo Virgadaula) sieht einmal vorbei, damit Götsch vom Altern plakativ sprechen kann. Es sei weder ein Hase noch ein Igel, es sei mehr wie ein Vulkan, welcher unerwartet ausbricht.
Im Wesentlichen ist „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ aber ein Kammerstück für Götsch und Pfeifer, welche gewissermaßen eine Doppelbesetzung zu spielen haben. Mal sind sie in Erinnerung und Tanz nostalgisch, in gemeinsame (Halb-) Erinnerungen gekehrt und Humor und Freude kommen auf. Dann folgt eine Kehrtwende um 180 Grad, wenn Beethovens „Für Elise“ und später das Panflötenlied „Der einsame Hirte“ von James Last zu hören ist, welche musikalisch einen Krankheitsschub markieren. In der Folge konditionieren beide Lieder auch das Publikum auf einen thematischen Umschwung.
 
 
Götsch und Pfeifers Manierismen wechseln, sie sinken in den Rollstuhl zurück, zittern und kauen an Worten, welche ihnen nicht mehr über die Lippen kommen. Bei ihm ist das etwas zu stark überzeichnet, sie findet einen dezenteren Ausdruck dafür. Scheint es anfangs so, als würden unbeschwertere Szenen mit solchen, die für den Betrachter nur schwer zu sehen sind - etwa als die beiden Schauspieler von der Schwierigkeit des Zähneputzens sprechen - ausgeglichen werden, so ist die Wirkung eine andere. Wird anfangs noch gelacht, so kommt dieses unbeschwerte Leichtigkeit nur bis zur halben Höhe, das Lachen bleibt im Halse stecken.
Gut und richtig, dass dabei die Komplexität des Lebens mit der Krankheit nicht zu knapp kommt, denn sind die beiden auch mal vertraut zueinander, dann ist diese Vertrautheit nicht unbedingt eine harmonische: Es schlummert allerhand noch nicht Aufgearbeitetes in der Vergangenheit, sowie Reue in der Gegenwart: Götsch äußert wiederholt den Wunsch einen Roman zu schreiben, ein verzweifeltes Aufbäumen gegen das Vergessen ohne Aussicht auf Erfolg. Pfeifer hält ihrem Mann vor, als Direktor eines großen Familien-Unternehmens mit seiner Zeit gegeizt zu haben, ein abwesender Ehemann und Vater gewesen zu sein. Sinnbildlich natürlich auch, was aus dieser Fabrik kommt: Gebleichtes, unbeschriebenes Papier.
 
 
Die Hauptdarsteller nähern sich auf der Bühne einer schauspielerischen Unmöglichkeit an: Wie ist es, seine Erinnerung und damit gewissermaßen Teile seines Selbst zu verlieren? Pfeifer ist in ihrer Vorstellung was dies bedeutet, ruhiger als Götsch, kehrt sich in sich selbst, wird still und apathisch. Der männliche Kollege veräußerlicht sein Leiden mehr: Er hadert mit sich selbst, seiner Frau, der Heimleitung und der Krankheit, sichtlich und oft auch laut. Auf Pfeifers Gesicht ein müdes Lächeln, wenn ihr Mann sich gegen Unabänderliches auflehnt und seine Machtlosigkeit unterstreicht.
Das Ende des Stückes gestaltet sich - ohne zu viel zu verraten - recht versöhnlich und kitschig. Den Kitsch gibt es in zwei Geschmacksrichtungen: der verklärten Erinnerung und der Gegenwart, welche sich an so etwas wie einem Happy End, oder zumindest einem weniger traurigen versucht. Aber das Leben ist und bleibt kein Märchen. Regisseurin Eva Niedermeiser bietet da auch keinen Ausweg mit einem Stück, das zusehendes schwermütiger wird.