Kultur | Salto Gespräch

Mannsbilder 2.0

Gustav Hofer und Luca Ragazzi haben einen Film für harte und weiche Männer und Frauen gemacht. Mit harten Fakten und einer weichen Erzählweise.
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Foto: DICKTATORSHIP

Euer Film Dicktatorship feierte am Samstag, 8. Juni, Premiere in Bologna am Biografilmfestival. Er dreht sich um Maskulinismus in Italien. Aus welchem Bedürfnis heraus war es Euch wichtig dieses Thema filmisch aufzubereiten und wie lange habt ihr am Film gearbeitet?

Gustav Hofer: Fast drei Jahre haben wir an diesem Film gearbeitet und im Grunde haben wir ihn auch Harvey Weinstein zu verdanken. Das klingt zwar paradox, trifft aber genau den Punkt: als wir vor drei oder zwei Jahren Produzenten und Fernseh-Redakteure überzeugen wollten, unseren Film zu finanzieren, kamen – mit Ausnahme von ZDF/arte – nur Absagen. Es hieß, dass es kein wichtiges Thema sei, dass die Frage mittlerweile überwunden sei und dass wir heute Gleichberechtigung haben. Dann kam der Harvey Weinstein Skandal, #meToo und plötzlich bekamen wir das nötige Geld für unser Projekt. In einer patriarchal gedachten Welt muss es erst richtig laut beben, bevor ein Bewusstsein entsteht. Als Filmemacher haben wir den Drang auf Situationen, die uns ungerecht erscheinen, hinzuweisen. Das treibt uns an. 


Es gibt auch immer wieder historische Rückblenden im Film  etwa auf Diktator Mussolini, über den Mediendiktator Berlusconi, zum Angstprediger und Kastelruther Spatzen-Freund Matteo Salvini. Warum suhlt sich ein Großteil der Bevölkerung Italiens in diesem überholten Klischee zu geschlechterspezifizierten Rollenaufteilungen?

Luca Ragazzi: È una cosa molto radicata nella nostra mentalità, ci viene data con il biberon fin dall’infanzia. Sono molte le cose che concorrono, la scuola, i mass media, la chiesa. Non sono molto ottimista circa l’intelligenza delle masse. Si dice spesso che gli italiani siano migliori della classe politica che li rappresenta, ma in realtà sono uno lo specchio dell’altro. Per spezzare questa catena servirebbe un modo nuovo di comunicare, più adulto, più responsabile, più colto, più rispettoso, ma probabilmente non porta voti e così nessun politico ha voglia di provarci e quelli che l’hanno fatto hanno perso le elezioni.

In Toronto hat uns ein Filmkritiker gesagt, unsere Filme sind wie “Die Vögel” von Alfred Hitchcock. Sie beginnen wie eine Komödie und enden wie ein Horror.

Die Aufarbeitung des Faschismus hat in Italien nicht oder kaum stattgefunden. Wo und wie ist das heute noch spürbar?

Gustav Hofer: Selbst bei Luca. Ich war bestürzt verwundert als mir Luca erzählte, dass er in der Schule nie bis zum Kapitel “Faschismus” kam. Für einen Südtiroler undenkbar. Diese Ignoranz glaube ich hat zu einer Verklärung dieser brutalen Diktatur geführt, zur Vorstellung, dass der Faschismus – ausser den Rassengesetzen – eigentlich nicht so schlimm war. Solche Sätze wie “Mussolini hat auch Gutes getan” hört man immer wieder. Sogar Antonio Tajani, der ehemalige EU-Parlamentspräsident hat sich so geäußert. Und mit dem Erfolg eines Rattenfängers wie Matteo Salvini zeigt sich, wohin das führt. Der starke Mann am Kommando, der nichts von Demokratie und Institutionen hält, Minderheiten, nicht hörige Richter und Intellektuelle zu Feinden macht und – so wie gegen die Schriftstellerin Michela Murgia – online Stimmung macht.

Den italienischen Mann scheint eine große Angst vor Machtverlust zu begleiten. Aber es gibt auch viele Frauen, die das System stützen: Männer als Herrschende, Frauen als Unterstützerinnen im Hintergrund. Was treibt Frauen an, ein patriarchales Gesellschaftsbild unhinterfragt mitzutragen?

Luca Ragazzi: Ovviamente anche quelle donne sono cresciute in questo paese e hanno assorbito quella mentalità. Una sociologa ci ha spiegato che fin quando i posti di rilievo destinati alla donne, saranno contingentati, sarà difficile che siano solidali tra loro perché sanno che ogni collega è una potenziale rivale e che alla fine è una guerra di sopravvivenza, o tu o io. Per gli uomini è diverso perché sanno che un posto per loro ci sarà sempre.


Inhaltlich gibt es in Eurem Film eine klare Rollenaufteilung. Der eine ist gut informiert, hinterfragt kritisch und ist stets freundlich belehrend, der andere kontert mit überlieferten Klischees und den durchaus charmanten Waffen eines freundlichen Machos. Entsprechen diese Rollen Eurem Beziehungsmuster?

Gustav Hofer: Im Prinzip sind wir meist einer Meinung aber dann kommt irgendwann immer der Punkt wo ich nur den Kopf schütteln kann. Luca ist kein Macho, aber durch unsere unterschiedliche Herkunft kommen immer wieder verschiedene kulturelle Sichtweisen hervor und man entdeckt sich immer wieder von neuem. Um dem Film eine dramaturgische Struktur zu geben, haben wir mit dieser Rollenaufteilung gespielt.

Der ganzen Thematik mit Humor zu begegnen bringt etwas Leichtigkeit in die Diskussion. Eine weise Absicht für ein breites Publikum?

Gustav Hofer: Es ist die Form, die uns am ähnlichsten ist – auch im Drama die ironische Seite zu finden um so eine Geschichte zu erzählen, die einen zwar unterhält, aber gleichzeitig zum nachdenken anregt. In Toronto hat uns ein Filmkritiker gesagt, unsere Filme sind wie “Die Vögel” von Alfred Hitchcock. Sie beginnen wie eine Komödie und enden wie ein Horror.


In Venedig redet Ihr über Casanova, dem wohl bekanntesten Maskulinisten der Geschichte. Warum ist er als Held in die Geschichte eingegangen, Frauen mit einem ähnlichen Liebesleben, als "puttane" oder "troie"?

Luca Ragazzi: Questo fa parte della tradizione giudaico-cristiana, dove la donna ha solo due modalità: o madre vergine o peccatrice, o Madonna o Maddalena – che tra l’altro non è scritto da nessuna parte che fosse una prostituta, ma anzi, nei vangeli apocrifi viene descritta come apostola. Devo ammettere che anche io fatico a immaginare una donna, che abbia una vita sessuale molto disinvolta, come una brava ragazza da presentare alla mamma al pranzo domenicale. In questo sono molto italiano, ma essendo gay il problema non si pone: non devo presentare nessuna ragazza a mamma domenica prossima.

Im Film setzt ihr der historischen Figur Elena Lucrezia Corner ein Denkmal. Warum gerade ihr?

Luca Ragazzi: Non conoscevamo la sua storia e ci è sembrata incredibile. La prima donna laureata al mondo nel 1678 era italiana e nessuno lo sa. Perché fanno le fiction televisive su porci e cani e non hanno pensato di farla su di lei? Il 5 giugno era il suo compleanno (373 anni!) e Google le ha dedicato la schermata doodle. Da noi nessuno l’ha mai sentita nominare…


Warum sind Männer gewaltbereiter als Frauen? Auch dieser Frage seid Ihr nachgegangen…

Luca Ragazzi: La motivazione ufficiale, quella che viene sempre tirata fuori per giustificare questa violenza, è che gli uomini hanno il testosterone, ma nel nostro film, scienziati, psicologi e sociologi, ci spiegano che è una questione squisitamente culturale: gli uomini usano violenza contro le donne perché sanno che gli è consentito.

...abbiamo smesso di dire che una donna capace è una “donna con le palle”!

Im Rahmen der Dreharbeiten wurde viel über „den neuen Mann“ diskutiert. Wie soll dieser sein?

Gustav Hofer: Wie Stefano Ciccone von der Organisation “Maschile Plurale” sagt: es geht weniger darum, einen “neuen Mann” zu finden, als viel mehr ein bißchen auf den Machtanspruch zu verzichten. Damit steigt der Mann zwar vom hohen Ross, erobert sich aber eine neue Freiheit und befreit sich von diesem engen Korsett. Und das tut nicht nur ihm gut, sondern all jenen, die nicht männlich, weiß und heterosexuell sind.

Ihr bringt mit Eurem Film eine wichtige Diskussion ins Rollen. Wie hat diese durchaus kontrovers geführte Diskussion Eure Beziehung festigen können?

Luca Ragazzi: Quando facciamo un film partiamo sempre da qualcosa che ci sta succedendo veramente in quel momento: eravamo stufi di vedere tanta misoginia, anche perché, in quanto gay, sappiamo che cosa sia l’omofobia e le due cose sono collegate. Continuiamo a parlare di questi temi tra di noi e cerchiamo di avere una condotta diversa. Innanzitutto, per cominciare, abbiamo smesso di dire che una donna capace è una “donna con le palle”!

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Sepp.Bacher So., 09.06.2019 - 13:41

Seit ich als junger Mann nach Bozen gekommen bin und in der alternativen Szene gelandet bin, bin ich mit den im Film aufgeworfenen Fragen und Themen konfrontiert und habe mich auch damit intensiv beschäftigt. Nach der Entstehung von Frauen-Gruppen in den Siebziger Jahren kam dann bald auch die erste Männergruppe, zu deren Entstehung ich auch beigetragen habe. Als meine Freunde und Bekannten Eltern wurden, haben sie sich viele Fragen zu einer alternativen Erziehung gemacht und versucht keine herkömmlichen Rollenbilder zu vermitteln. Ein Paar machte z. B. die Erfahrung, dass die Tochter schon bald von schönen Kleidchen fasziniert war, obwohl ihre Mutter immer nur Hosen trug. Oder der Sohn als er noch im Kinderwagen war und noch nicht sprechen konnte bei Straßenarbeiten, wo die Eltern mit ihm zufällig vorbeikamen, nicht genug vom Bagger-(Lärm) und arbeitenden Männern bekommen wollte und nicht mehr weg wollte, obwohl der Vater in einem gehobenen Beruf arbeitete. Ein junger Mann, der als Jugendlicher Probleme entwickelte und ich ihn auf schlechte Erfahrungen in der Kindheit ansprach, nannte als erstes, dass die Eltern ihn drängten auch mit Puppen zu spielen, was er überhaupt nicht wollte.
In meiner privaten und beruflichen Entwicklung habe ich viele psychologische Erfahrungen gemacht und mich weitergebildet. Da habe ich erfahren, dass die Themen in der Psychologie, Beratung und Psychotherapie ganz anders und differenzierte angegangen werden als in den gesellschaftlichen und politischen Diskussionen und Forderungen. Und das unabhängig davon, ob die Referenten, Berater Frauen oder Männer sind. Das werden wahrscheinlich auch alle erfahren haben, die an einer einer Ehe- Beratung oder eine Mediation teilgenommen haben.
Was mich aber auch wundert ist, dass Psychologen, Soziologen und andere Experten im psychosozialen Bereich, nicht an den gesellschaftlichen Diskussionen teilnehmen und ihre Sichtweise einbringen! Eine Ausnahme machte der Wiener Psychotherapeut Bernhard Ludwig, der das sogenannte Seminar-Kabarett entwickelte und dabei viel Erfolg hatte. In seinem Programm "Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit" mit dem er auch Südtirol war, beschäftigte er sich mit dem Thema Männlichkeit, Weiblichkeit.
Politisch hat sich in den Jahren auch sehr viel getan. Es gibt aber auch Punkte, wie z. B. Kampf gegen männliche Gewalt, wo die Frauenbewegung auch nach vielen Jahren und kostspieligen Kampagnen ein Rückschritt verzeichnen muss - die Frauenmorde nehmen statistisch anscheinend zu. Da müsste man sich nicht nur die Frage nach der Effizienz der Kampagnen sondern auch jene nach der Effektivität stellen! Ich glaube, dass sich Männer - oder allgemein Menschen - am wenigsten verändern, wenn sie in der Defensive sind; zumindest aus psychologischer Sicht!

So., 09.06.2019 - 13:41 Permalink
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Sepp.Bacher Mi., 12.06.2019 - 14:32

Es ist schon verwunderlich, dass die Stammkunden des Salto-Stammtischs zum Thema "Maskulinismus in Italien" bzw. auch im "Alto Adige - Südtirol" keinen Diskussionsbedarf haben, wo doch mehrere sonst zu jedem Bericht oder Thema ihre Meinung schreiben? Fühlt ihr euch nicht betroffen?
Hier läuft dieses Interview mit den beiden Filmemachern zwar unter Kultur, das Thema aber ist nicht der Film, sondern die gesellschaftspolitische Botschaft vor allem an uns Männer.

Mi., 12.06.2019 - 14:32 Permalink