"Wir brauchen einen ganz anderen Mut!"
Würde der Schriftsteller Stefan Zweig heute leben und sehen, wie die ausgebombten Menschen aus Syrien, die von Diktaturen vertriebenen Eritreer oder politisch Geflohene aus Afghanistan zu uns nach Europa kommen, er würde sicherlich einen prima Fluchthelfer abgegeben. Vielleicht wäre er auch einer jener solidarischen Bürger, die wir letzthin an deutschen und österreichischen Bahnhöfen in Massen gesehen haben, die mit ihrer Willkommenskultur ein so deutlich pazifistisches Zeichen setzten. Am ehesten hätte er, der Schreiber, jedoch zu seinem Schreibwerkzeug gegriffen und mit Impetus gegen Krieg, Ausbeutung, Hetze und politische Unfähigkeiten angeschrieben, wie er es zum ersten Mal während des Ersten Weltkrieges tat.
Damals war Stefan Zweig im Wiener Kriegsarchiv beschäftigt und hatte als Titularfeldwebel für den beginnenden Krieg zu werben und Propagandaschriften zu verfassen, er tat dies wie viele Intellektuelle jener Zeit mit anfänglicher Begeisterung, die jedoch einem zunehmenden Grauen über das Töten auf den Schlachtfeldern wich; bereits 1914 tauschte er Briefe mit dem französischen Schriftsteller und Pazifisten Romain Rolland, in denen er den Verrat vieler Intellektueller geißelte, die den Krieg verherrlichten. "Wir haben die Kluft nicht noch zu vertiefen, sondern geistige Brücken zu schlagen", diese pazifistische Gesinnung konnte Zweig erstmals öffentlich eingestehen, als er 1917 in die Schweiz emigrierte, und sich so dem Kriegsdienst entzog. Ab damals begann sich der 1881 in Wien als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Textilunternehmers geborene Stefan Zweig deutlich gegen jegliche staatliche Willkür zu stellen, schriftstellernd und im Verbund mit vielen Gleichgesinnten.
Die Exiljahre 1934 bis 1942
Diesen pazifistischen, visionären, aber auch gequälten Stefan Zweig – er nahm sich 1942 in Brasilien gemeinsam mit seiner Frau Lotte das Leben – zeigt die Ausstellung „Stefan Zweig, Abschied von Europa“, die von 8. September bis 10. Oktober im Bozner Waltherhaus zu sehen ist.
Eine vom österreichischen Literaturwissenschaftler Klemens Renoldner und dem Bühnenbildner und Gestalter Peter Karlhuber konzipierte Schau, die den Blick vor allem auf die letzten 8 Lebensjahre des jüdischen Schriftstellers lenkt. „Wir wollten Stefan Zweigs Exiljahre schildern und als wir vor zwei Jahren mit dem Konzept zur Ausstellung begonnen haben, war das Flüchtlingsthema noch nicht so groß und virulent wie in diesen Zeiten,“ erläutert Peter Karlhuber den Zusammenhang. „So kann man nun in der Ausstellung am Schicksal Stefan Zweigs sehen, wie es Leuten auf der Flucht ergeht, was sie zurücklassen und welche Wunden das auch beim Einzelnen schlägt.“
Stefan Zweig war ab den frühen 1930er Jahren permanent im Exil; 1934 verließ er Österreich und lebte zunächst in London, wo er sich mit seiner zweiten Frau Charlotte Altmann niederließ. Doch auch Großbritannien verließ er 1940 aus Angst, als feindlicher Ausländer inhaftiert zu werden. Über die USA reiste das Ehepaar Zweig schließlich nach Brasilien, wo es eine permanente Aufenthaltserlaubnis erhielt.
Der Ausstellungsparcours führt über ein angedeutetes Hotelfoyer hin zu einem aufgerollten imposanten Teppich, der ersten Hürde. Hier ist die Welt des Großbürgertums zu Ende, in dem Stefan Zweig aufwuchs, die alte Welt und die alte Ordnung weichen einem neuen System von willkürlicher, durch Gewalt legitimierter Macht. Plastisch dargestellt wird dies am Herzstück der Ausstellung, einem Nachbau des Wiener Hotels Metropol. „Das Hotel wurde auch das „jüdische Sacher“ genannt,“ so Peter Karlhuber, „es war ein mondäner Ort, ein Treffpunkt der Intelligenzia. Doch wurde es nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten 1938 zur Gestapo-Hauptzentrale umfunktioniert und wo früher Künstler, Schriftsteller und Journalisten verkehrten, wurden diese nun verhört und misshandelt.“
Den Aufbruch aus Europa behandelt der dritte Teil der Ausstellung. Mit zum Teil gepackten, offenen Kartons und Kisten, darüber lehnenden Bildern und Porträts von Freunden wird einerseits die Abreise Stefan Zweigs thematisiert, andererseits auf das beachtliche Netzwerke des Künstlers verwiesen. Zweig sei ein Meister des Vermittelns, des Kontakteanbahnens, des Helfens gewesen – im Austausch mit halb Europa und seinen großen Geistern. „Er war auch ein unermüdlicher und begeisterter Handschriftensammler, er besaß Originalpartituren von Mozart und Beethoven und hat einen großen Teil dieser Sammlung natürlich zurücklassen müssen,“ so Peter Karlhuber.
Zwei Werke von Stefan Zweig standen Pate für die Ausstellung: Die Autobiographie „Die Welt von Gestern“, in dem Zweig das alte Europa der Belle Epoque beschwört und die „Schachnovelle“, sein bekanntestes Werk, im dem der Untergang, auch seiner, beschrieben ist. Die Jahre der Flucht und des fortdauernden Exils, auch die Zerstörung seiner geistigen Heimat Europa führten bei Stefan Zweig zu einer inneren Isolation und Depressionen, denen er nichts als die eigene Auslöschung entgegenzusetzen hatte.