Achtung Tourismus!
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In den letzten zwei Jahrhunderten hat sich der Tourismus zu einem beeindruckenden, weltweiten Phänomen entwickelt und ist nicht mehr wegzudenkenden, von einer globalen Industrie. Sein Erfolg hat aber auch negative Auswirkungen, die im Übertourismus, der Umweltverträglichkeit und der Landschaftszerstörung zum Ausdruck kommen. Gleich zwei Bücher zur Tourismusgeschichte sind im November 2023 erschienen. Eines wurde gestern vorgestellt.
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Tourismusgeschichte im Vergleich
Auch wenn in den vergangenen Jahren viel Literatur zu Tourismusgeschichte auf den Markt kam, sind systematische Vergleiche in der Tourismusgeschichte nach wie vor selten, bergen jedoch großes Potenzial für die Analyse von Merkmalen des Tourismus, als wesentliche Grundlage für das Verständnis der Tourismusentwicklung.
Der neue Band der Zeitschrift Geschichte und Region/Storia e regione untersucht in Region und Saison in der Tourismusgeschichte, einen wichtigen Teil der historischen Forschung. Die Herausgeber*innen Hester Margreiter, Paolo Raspadori, Ingrid Runggaldier, Katharina Scharf widmen sich vor allem Methoden des Vergleichs von Tourismusregionen, sowie der Erforschung des Tourismus als Saisonstourismus. Die enthaltenen Beiträge zum Thema Tourismusregionen im Vergleich liefern unterschiedliche Perspektiven und Beispiele. So Marlene Horejs, die die Rolle des Schulunterrichts in der Habsburgermonarchie untersuchte. Sie dokumentiert wie dieser den staatlich geförderten Tourismus beeinflusste. Einen nicht uninteressanten Vergleich der Tourismusregionen Engadin und Wipp- und Pustertal serviert Hans Heiss, wenn er in seiner Abhandlung die Unterschiede in der Akzeptanz und Entwicklung des Tourismus in diesen geografisch ähnlichen Regionen beleuchtet. Claudia Gatzka schreibt über den Einfluss britischer Touristen des 19. Jahrhunderts auf die schweizerische und oberitalienische Tourismusentwicklung – mitunter anhand zeitgenössischer Reisehandbücher.Im Aufsatz Bergbahnen als Symbole des Alpentourismus betrachtet Christian Rohr die Rolle von Bergbahnen in der Entwicklung des Alpentourismus und deren Darstellung auf Werbeplakaten. Claudia C. Gatzka stellt in ihrem Aufsatz Definire lo standard einen Vergleich Schweiz/Italien an, als beide Länder im 19. Jahrhundert wichtige Anziehungspunkte englische Reisende wurden, die mitunter auch touristische Pionierarbeit leisteten.
Die "Saisonalität" ist ebenfalls ein wichtiges Thema in der Tourismushistoriografie. Auch im gestern vorgestellten Band. Es finden sich Einblicke in ein familiengeführtes Sommerfrischehotel der Jahrhundertwende (Evelyn Reso), Wissenswertes zum Tourismus am Gardasee (Riccardo Semeraro) und die Entwicklung von der elitären Wintertourismuszeit zur überfüllten Sommersaison, eine Abhandlung zur Riviera (Andrea Zanini) während der Belle Époque, oder eine Exkursion in die Tourismussaison der Cinque Terre (Elisa Tizzoni), in den 1950er und 1960er Jahren.In der Rubrik Forum schreibt Stefan Lechner über den Nutzen der Rezension für die Historie und Joachim Gatterer über die Arbeiten zur sozialdemokratischen Geschichte der ländlichen Schweiz der Robert-Grimm-Gesellschaft. Knapp ein Dutzend Rezensionen sind es am Ende dieser Nummer von Geschichte und Region/storia e regione, die den rund 300 Seiten starken Band auf den letzten 50 Seiten abschließen. Das wissenschaftliche Heft ist keine leichte Kost, aber bei aufmerksamer Lektüre dennoch gut verdaulich.
Über das VigiljochIm bildreich gestalteten Buch Sehnsuchtsort Vigiljoch begegnen die Herausgeberinnen Maria Heidegger und Brigitte Mazohl der faszinierenden Geschichte eines „Zauberberges“, der auch Tourismusgeschichte geschrieben hat. Und immer noch schreibt. Zunächst wird aufgezeigt, wie das Vigiljoch im Laufe der Jahrhunderte eine erstaunliche Verwandlung von einer wenig beachteten Wildnis zu einem begehrten Ferienort erlebte. In sechs Kapiteln beleuchtet die bei Edition Raetia erschienene Publikation diese Transformation und gibt einen detaillierten Einblick in die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen.
Die sorgfältig gegliederten Beiträge stammen von Maria Heidegger, Gerhard Siegl und Simon Terzer, die ausführliche Einleitung von Brigitte Mazohl. Im Buch zeigen die Autor*innen auf, wie der Berg über Lana bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich von der bäuerlichen Bevölkerung land- und forstwirtschaftlich genutzt wurde. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erlangte er dann allmählich auch für den Tourismus Bedeutung, die Kurstadt Meran zog viele Touristen an und viele zog es weiter auf das Vigiljoch. Den immer beliebteren Ausflugsort entdeckten Schriftsteller wie Erich Kästner, der am Vigiljoch für ein Foto posierte, oder Maler wie Hans Weber-Tyrol, der sich unsterblich in diese Landschaft verliebte.Vom Vigiljoch sind vom österreichischen Maler viele frühe Landschaftsstudien, zahlreiche Tagebucheinträge, sowie Plakate und verschiedene Bildmotive zur Eröffnung der Schwebebahn erhalten. Außerdem malte er mehrere großformatige Werke, die er im Rahmen der Gestaltung der Wandelhalle in Meran fertigte, mit jeweils prächtiger Vigiljoch-Kulisse, wovon eines sogar für hitzige Diskussionen in der Darstellung sorgte.
Nicht unerwähnt bleibt im Band die Konkurrenz zwischen den Gemeinden Lana und Meran um die Erschließung des Vigiljochs. Im erbitterten Wettkampf setzte sich schließlich das Konsortium der Lananer Betreiber durch, eröffnete 1912 eine moderne Seilbahn und machte das Berggebiet zugänglicher – immer mehr Touristen kommen, es entstehen Villen und Ferienhäuser. Das Buch gibt ausführliche Einblicke in das alltägliche Leben, die kulturellen Veranstaltungen und dss Wintersportangebot am Vigiljoch.
Auch die Auswirkungen der politischen Veränderungen, wie der Erste und Zweite Weltkrieg sowie die Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus, werden beleuchtet, denn der Berg und seine Bewohner waren von diesen Ereignissen nicht unberührt geblieben.
Schließlich wird die Entwicklung des Vigiljochs bis in die Gegenwart hinein beschrieben, einschließlich seiner Rolle als sanftes Tourismusziel und den Bemühungen, den Massentourismus zu vermeiden. Vorbildlich sind dabei die Erhaltung der Naturlandschaft und die Begrenzung des Individualverkehrs, die letztendlich den Berg von der einstigen Wildnis zu einem begehrten und nach nachhaltigen Ansätzen funktionierenden Rückzugsort geformt haben. Das Buch Sehnsuchtsort Vigiljoch wird am Montag 13. November im Touriseum in Meran vorgestellt.Erstpräsentation mit den Herausgeberinnen und Autoren des Buches "Sehnsuchtsort Vigiljoch"
Montag, 13. November 2023 | 17 Uhr
Touriseum, Schloss Trauttmansdorff | St. Valentin-Straße 51a | 39012 MeranBitte anmelden um zu kommentieren