Gesellschaft | Salto-Serie

Auch ungeschminkt ist cool

Die Autorin Reinhilde Feichter hat die Erfahrungen und Gedanken von 50 Menschen zwischen 17 und 89 Jahren zum Lockdown aufgezeichnet. Stimmen aus dem Lockdown. Teil 3

apfel
Foto: upi

Hansl, 59   

 
Ich, Hansl, lebe während des Lockdowns ganz normal weiter.
 

Philipp, 37

 
Es heißt, die körperliche Distanz während des Lockdowns sei das schlimmste und sehr schädlich, weil die Menschen nicht mehr knuddeln und Bussi Bussi machen können.
Körperliche Distanz vermisse ich nicht. Außer in der Babyzeit bin ich ohne viel Hätscheln, Streicheln und Küssen groß geworden. Als Junge ging mir schon das Händchen halten mit den Eltern auf den Geist. Ich bin unabhängig und habe gelernt, mit Blicken und Worten zu kommunizieren und nicht unbedingt mit Berührungen. Ich unterscheide zwischen Schulterklopfen, Einhängen, Unterhaken bei Freunden oder nassen, oberflächlichen „Bussi Bussi- Begrüßungen“.
Mir sagen anerkennende, freundliche, traurige Blicke und Worte von Freunden oder Freundinnen auch heute noch mehr als Umarmungen ohne Tiefgang. Also wie gesagt: körperliche Distanz macht mir nichts aus. Deshalb kann ich gut Abstand halten.
Aber geistig emotionale Distanz und fehlender digitaler Gedankenaustausch wären für mich katastrophal!
 
 
Als Junge ging mir schon das Händchen halten mit den Eltern auf den Geist. Ich habe gelernt, mit Blicken und Worten zu kommunizieren und nicht unbedingt mit Berührungen.
 
Ich arbeite von zu Hause aus, als Informatiker bei einer großen Firma. Die Maske ist nicht schlimm, trage sie nur zum Einkaufen. Meine Freundschaften pflege ich digital.
Meine sportliche Betätigung: ich besitze ein Laufband.
 

Astrid, 32       

   
Ich mache viel Sport, geh mit Anna (Baby) spazieren. Zwischen Windeln wechseln, Essen Kochen und von zuhause aus arbeiten, bleibt mir eigentlich selten mal Zeit um mich zu langweilen.
Ich telefoniere mit Freunden und schreibe ihnen. 
Ich empfehle unser neues Wochenprogramm Fit from Home.
Gutes gesundes Essen ist mir wichtig und ja, einfach mich kurz ärgern und dann das suchen, was einen Vorteil für mich darstellt, etwas was positiv ist.
 

Martin, 40      

 
Vor dem Lockdown wäre es mir zu spießig und zu langweilig gewesen spazieren zu gehen. Beim 1. Lockdown war es verboten, weiter als 200 Meter zu gehen, von da an hat es mich gereizt. Jetzt gehe ich fast jeden Tag in die Sonne, um Vitamin D zu tanken. Der Immunologe Gänsbacher hat im Radio gesagt, dass das gut fürs Immunsystem ist. Jemand fragte ihn, was Tramp gekriegt hat. Er hat geantwortet: Regeneron, Destametasol, Vitamin D, Zink und Aspirin 80 mg. 
Die ersten 2 kriegt man nicht in den Apotheken, aber Zink und Vitamin D hab ich bekommen. Nun bin ich gewappnet gegen diesen kriminellen Virus.
 
 

Viktoria, 68   

 
Ich pflücke täglich Äpfel, weil heuer so viele sind. Und ich mache jeden Tag Apfelkompott, das mir schmeckt und mir gut tut. Ich empfinde eine große Dankbarkeit für das was ich habe. Es heißt ja „an apple a day take the doctor away“. Ich danke jeden Tag dafür, dass ich gesund bin. Und ich bete ganz bewusst dafür, dass ich gesund bleibe. Ich habe einen großen Garten und zurzeit sehr viel Arbeit, weil ich alles verräumen muss, auch die Balkonpflanzen. Deshalb pflege ich im Moment die Freundschaften nicht besonders, doch ich freue mich jedes Mal, wenn andere sie pflegen und wenn sie mich anrufen. Bei Regenwetter schlafe ich viel. Ich freue mich, dass es Fortschritte bei der Covid Forschung und bei der Impfung gibt. Das einzige was ich zu Corona und Lockdown zu sagen habe: Es ist wie es ist! Im Leben kann man vieles nicht bestimmen, vieles ist Fügung. 
 

Anna, 58            

 
Ich räume jetzt den Keller aus! Was man da so alles findet, voller Überraschungen, aus vergangenen Zeiten, schön, aber zum Teil auch schmerzlich, z. B. die Geschenk-Verpackpapiere die meine heuer verstorbene Schwester für uns für Weihnachten gemalt hat, alte Kalender mit Notizen zum Tagesgeschehen in der Familie, die Konzertplakate meiner Mama, Geigen, viele! Eine alte Schultasche von mir von der ersten Klasse, wo ich in Olang eingeschult bin, aus Leder, das Puppenhaus von uns, einen alten Filmapparat, verschiedene Bilder meiner Oma aus Pirmasens, wo ich aufgewachsen bin. Die Oma hab ich noch so gut in Erinnerung, die Fotos tun „hoamelen“ und zugleich tut´s weh, ist unfein. Ich könnte noch lange weiterschreiben, aber jetzt muss ich wieder in den Keller!
Ich räume jetzt den Keller aus! Was man da so alles findet, voller Überraschungen, aus vergangenen Zeiten, schön, aber zum Teil auch schmerzlich.
 
 

Gloria, 52   

    
Bei mir ist immer viel los, auch während des Lockdowns. Am Abend denke ich oft, ich bin doch erst aufgestanden und jetzt gehe ich schon wieder ins Bett. Ja, wie sieht mein Tag aus? Ich stehe um 7 auf. Während ich mich anziehe, kocht das Wasser. Ich trinke jeden Morgen ein Glas gekochtes Wasser. Dann Yoga, zwei Atemübungen und Frühstück mit meinem Mann. Anschließend lesen eines inspirierenden Textes, Wohnung aufräumen, einkaufen und Mittagessen zubereiten. Nachmittagsschläfchen, ausgiebiger Spaziergang in der Umgebung mit meinem Mann, Enkelsohn und Hund. Dann wird ein paar Stunden mit meinem Enkel gespielt, getobt, gelacht, und er hilft ja so gerne beim Kochen. Am Abend vielleicht ein Karterle, ein Buch oder einen Film gucken und dann ab ins kuschelige Bett.
Der Kontakt mit meinen Freundinnen ist im Moment leider auf das Telefonieren beschränkt. Aber so ein Ratscher tut allemal gut. Geräte zum Turnen hab ich keine. Dafür hab ich einen Garten, wo strecken, recken, knien Übungen genug sind. Und so ist jeder Tag spannend.
 
 
Der Kontakt mit meinen Freundinnen ist im Moment leider auf das Telefonieren beschränkt. Aber so ein Ratscher tut allemal gut.

Waltraud, 55      

    
Ich war jetzt öfters „Grantn klaubn“. Ich geh hinterm Haus hinauf in den Wald. Dort kenne ich Plätze wo es sehr viele Preiselbeeren gibt. Ich koche sie dann ein und fülle sie in Gläser. Zwischendurch gibt es dann wieder mal Grantn-Omeletten.
Auch ist es eine Passion von mir, Puzzle zusammenzustellen Ich liebe Puzzle. Es ist interessant, es beansprucht Kopf und Nerven und auch viel Zeit. Ich hab schon ein großes Bild gemacht und jetzt kommt das nächste dran.
So geht der Lockdown vorbei wie andere Zeiten auch.
 
 

Manfred, 56        

 
Was ich während des Lockdowns mache:
Fasten
Zen Meditation
Yoga
Gehen
Spinnen anschauen
Holz spalten
Atmen
Leben
Hören
Tasten
 

Cindy, 34

 
Ich bin eine coole und gestylte Frau. Alles muss super sein, meine Frisur, meine Kleider, meine Schminke. Wenn ich vor einem Jahr aus dem Haus gegangen bin, musste noch alles passen, Tasche zu Schuhen und Sonnenbrille und Jacke und alles. Ziemlich Aufwand dahinter! Jetzt beim Lockdown, wo ich eine Maske trage, ignoriert mich jeder. Das ist scheiße. Ich bin Single. Irgendwie crazy das ganze.
 
 
Jetzt beim Lockdown, wo ich eine Maske trage, ignoriert mich jeder. Das ist scheiße. Ich bin Single. Irgendwie crazy das ganze.
 
Ich habe im Lockdown gelernt, dass äußerliche Dinge und coole Klamotten gar nicht mehr zählen. Leider! Sie sind auch für mich unwichtiger geworden. Denn wozu der ganze Aufwand und die teure Markensachen, wenn mich niemand erkennt? Ich habe jetzt auch weniger Geld. Ich bin jetzt mehr in den Chats und in Singlebörsen. Ausgehen ist sowieso over. Das ist schon eine große Kacke.
Im Hausarrest merke ich, wie praktisch es ist, in der Wohnung weniger zivilisiert zu sein und im Pyjama rumzulaufen. Das ist sowieso alles weniger anstrengend als das Aufstylen. Ich finde mich jetzt auch ungeschminkt cool. Doch ich bin froh wenn diese Scheiße bald vorbei ist und ich wieder im Friseursalon mitarbeiten kann. Ich werde mich vielleicht doch wieder stylen.

Lesen Sie morgen: Teil 4