Gesellschaft | Verbot

Mensch Bettler

Ein Bettelverbot ist nach wie vor überflüssig, ist man sich in Eppan und Meran einig. Dass es dennoch Probleme gibt, will man aber nicht abstreiten.
Bettlerin
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser

“Ich habe es immer gesagt: Eine solche Verordnung bringt für die Sicherheit absolut nichts.” Dass einige Gemeinden im Land, darunter Brixen, Bruneck und St. Lorenzen trotzdem an ihren Bettelverboten festhalten und auch seine eigene Gemeinde – Eppan – im Oktober des Vorjahres beschlossen hat, das seit Dezember 2015 geltende Bettelverbot zu verlängern, ist für Felix von Wohlgemuth einzig “eine politisch motivierte Show”.
Eine Unterschrift von Sergio Mattarella bestätigt nun von Wohlgemuth in seiner Haltung. Der Rechtsanwalt und Gemeinderat von Pro Eppan ist überzeugt: “Betteln grundsätzlich zu verbieten ist eine unmenschliche Aktion.” Und auch Merans Bürgermeister Paul Rösch sagt: “Jeder Mensch hat das Recht, wenn er es nötig hat, sich irgendwohin zu setzen und zu betteln.”

Signal des Staatspräsidenten

Die Geschichte, die dieser Tage die Diskussion um das Bettelverbot neu aufflammen lässt, beginnt in einer kleinen emilianischen Stadt. Nur 35 Kilometer von Bologna entfernt erlässt der neue Bürgermeister von Molinella im März 2015 per Dringlichkeitsverordnung ein generelles Bettelverbot für das gesamte Gemeindegebiet: Jegliche Form von Betteln wird ab sofort mit einer Geldstrafe von 25 bis 500 Euro bestraft. Gegen die Verfügung des PD-Bürgermeisters legt die Vereinigung “Avvocato di strada”, die sich um obdachlose Menschen kümmert, außerordentlichen Rekurs beim Staatspräsidenten ein. Dieser holt sich ein Gutachten des Staatsrates ein, das eine eindeutige Sprache spricht: Die Bettelei als solche stelle in keinster Weise eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung dar:

“(…) la mendicità non invasiva, di per sé, non è in alcun modo una minaccia alla tranquillità pubblica ed all’ordine pubblico, in quanto tali beni non possono dirsi seriamente posti in pericolo della mera questua, che si risolve cioè in una semplice richiesta di aiuto (…)”

Am vergangenen Montag, 3. April, nimmt Staatspräsident Mattarella den Rekurs von “Avvocato di strada” schließlich an. Und annulliert damit die Verordnung aus der Emilia. “Er hat das Bettelverbot von Molinella für rechtswdrig erklärt”, bringt es von Wohlgemuth auf den Punkt. Unmittelbare Folgen für bestehende Bettelverbote in Südtirol wird es laut dem Eppaner Rechtsanwalt allerdings keine geben. ”Der Staatsrat hat ein Gutachten zu einem spezifischen Fall abgegeben und kein Urteil gesprochen”, erklärt der Eppaner Rechtsanwalt. “Allerdings”, fügt von Wohlgemuth hinzu “könnte man bei künftigen Rekursen dieses Gutachten heranziehen”. In Südtirol ist ein außerordentlicher Rekurs direkt beim Staatspräsidenten laut Autonomiestatut im Übrigen nicht möglich, sondern muss beim Verwaltungsgericht eingelegt werden. Damit relativiert sich die Vorbildfunktion von Molinella für Südtirol.

Bei “Avvocato di Strada” ist man jedenfalls zufrieden. “Warum sollten auch jene bestraft werden, die still und vielleicht auch noch mit aus Scham gesenktem Blick um Almosen bitten?”, fragt man sich bei der Vereinigung. Anders sehe die Sache aus, wenn Menschen durch aufdringliches oder aggressives Betteln belästigt würden.

Strafbestand besteht bereits

“Dafür sieht das italienische Gesetz allerdings bereits Strafen vor, ebenso wie für organisierte Bettelei”, erinnert Felix von Wohlgemuth. Das hat er auch seinen Kollegen im Gemeinderat mehrmals vor Augen geführt. Doch die Eppaner SVP ließ sich nicht davon abbringen, eine Verlängerung des Ende 2015 eingeführten Bettelverbots zu fordern. Seither ist aufdringliches und aggressives Betteln einerseits, aber auch Betteln grundsätzlich in der Nähe von Betrieben, Marktflächen, Haltestellen und Parkplätzen verboten.

“Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass der Antrag für ein Bettelverbot von der SVP mit ihren christlich-sozialen Wurzeln gestellt wurde.”
(Felix von Wohlgemuth)

Mit den Gegenstimmen von Bürgermeister Wilfried Trettl, weiteren Bürgerlistenvertretern und jenen von Pro Eppan wurde die Verlängerung des Verbots im Oktober 2016 durchgebracht. “Eine Alibi-Aktion der SVP”, kommentiert von Wohlgemuth. Denn obwohl bei aufdringlichem Betteln laut geltendem Gesetz Strafanzeige gestellt werden kann, hätten die SVP-Gemeinderäte für das Bettelverbot argumentiert, “da strafrechtlich ‘eh nichts passieren’ würde”, berichtet von Wohlgemuth. “Aber auch die Geldstrafen, die nun vorgesehen sind, bringen nichts”, so der Gemeinderat. “Denn wie viele Strafen werden tatsächlich bezahlt? Nur kann die Gemeinde nicht bezahlte Bußgelder nicht einfach ausbuchen, sondern muss eine Meldung an Equitalia oder die Südtiroler Einzugsdienste machen, die das Geld eintreiben müssen.” Und da das alles mit Kosten verbunden sei, könnte am Ende der Steuerzahler zur Kasse gebeten werden.

Geht es auch anders?

Vielmehr als eine Verbotskultur wünsche er sich etwas mehr Zivilcourage, sagt von Wohlgemuth: “Wenn zum Beispiel ein Geschäftsmann einen aufdringlichen Bettler vor seinem Geschäft beobachtet, kann er auf ihn zugehen und sagen: ‘Lass das oder ich rufe die Carabinieri’.” Insbesondere bei Asylwerbern, die sich noch im Asylverfahren befinden und nicht selten betteln, würde eine solche Drohung abschreckend wirken, ist von Wohlgemuth überzeugt: “Denn sie können sich keinen Ärger mit der Justiz erlauben.”

“Betteln, insbesondere vor Kirchen, ist ein Teil der abendländischen Kultur.”
(Paul Rösch)

In Meran spinnt Paul Rösch den Faden weiter. Auch in seiner Stadt gebe es “einige wenige” Bettler, die aggressiv auftreten und vor allem ältere Passanten stören, berichtet der Bürgermeister der Kurstadt. Das Phänomen habe sich inzwischen so weit zugespitzt, dass ihn bereits der Ausländerbeirat kontaktiert und gebeten habe, aktiv zu werden, so Rösch: “Diaby Bassamba, der Präsident des Beirats, hat mir gesagt, für ihn gebe es nichts Erniedrigenderes als mit aggressiven Bettlern in einen Topf geworfen zu werden.”

Bisherige Versuche, die belästigende Bettelei in den Griff zu bekommen, seien gescheitert, gibt der Bürgermeister offen zu. “Nun überlegen wir gemeinsam mit der Caritas, wie wir der Situation Herr werden können”, sagt Rösch. Eine neue Herausforderung sieht er vor allem in jenen Asylwerbern, deren Asylantrag abgelehnt wird. “Denn wo werden diese Menschen, die nicht bleiben dürfen und nichts haben, landen? Vermutlich auf der Straße.” So dringend eine Lösung her müsste, so weit scheint sie entfernt, meint ein etwas resignierter Rösch. Doch von Pauschalisierungen hält er ebenso wenig wie von bürgermeisterlichen Dringlichkeitsverordnungen: “Das Phänomen des aufdringlichen Betteln ist wie jenes der abgelehnten Asylwerber keines, das von heute auf morgen gelöst werden kann.”

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martin hilpold Di., 11.04.2017 - 12:23

In der Praxis ist es doch so, dass sich viele Leute schon alleine durch die Anwesenheit von Bettlern gestört fühlen. Man kann an "störenden" Bettlern einfach vorbei gehen und sie ignorieren ( Stichwort- Gelassenheit- Cool sein). Man kann ihnen auch ein paar Münzen geben nach dem Motto "Geben ist seliger denn Nehmen". Betteln ist ein Teil der christlichen Kultur, es gibt sogar Bettelorden (z.B. Franziskaner).

Di., 11.04.2017 - 12:23 Permalink