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Politik | Pollo der Woche
Verwelkte Weißblume
Wirklich gefährlich wird es, wenn Menschen nicht wissen, was sie tun.
Michaela Biancofiore dürfte ein leuchtendes Beispiel für diese Spezies sein. Die Frau, die kurz vorher in der Kammer im Tonfall einer Politpolitesse analysiert hatte, dass das Südtiroler Wahlgesetz und die SVP Italiens demokratisches System nachhaltig gefährden würden, entdeckt am Tag ihres bislang größten politischen Triumphes plötzlich die Bescheidenheit.
„Schauen Sie, diese Geschichte, dass das Wahlgesetz wegen meines Abänderungsantrages zu Fall kommt, ist doch absoluter Blödsinn“, diktiert sie einem Reporter der „Repubblica“ in den Notizblock.
Gerade eben hatte die Abgeordnetenkammer einen Abänderungsantrag der Bozner „ForzaItalia“-Abgeordneten angenommen, mit dem die Ausnahmebestimmungen für Südtirol im Wahlgesetz abgeschafft wurden – wodurch aber das gesamte Wahlgesetz abgelehnt wurde. Es ist eine politische Splitterbombe, die nur mehr verbrannte Erde zurücklässt.
Denn zuvor hatten die vier großen Parteien einen Waffenstillstand geschlossen. Man würde den Gesetzesvorschlag nicht mehr grundlegend abändern. Weil vor allem die 5-Sterne-Bewegung für den Biancofiore-Antrag stimmte, ist nicht nur dieser Pakt gescheitert, sondern das Wahlgesetz in seiner Gesamtheit.
Die Medien nennen Michaela Biancofiore deshalb den „Killer“ dieses Gesetzes. Davon will die Forza-Italia-Politikerin nichts wissen. „Machen Sie Witze? Das sind nur Bosheiten, die bewusst in Umlauf gebracht werden, von den dummen Sklaven unter meinen Kollegen, die sofort Berlusconi angerufen haben, um mich in ein schlechtes Licht zu rücken“, erklärt die Boznerin der „Repubblica".
Überhaupt gibt es für die Frau, die offen zugibt, Silvio Berlusconi zu lieben, am Tag der geballten Medienaufmerksamkeit weit Wichtigeres. „Wissen Sie, was das wirkliche Drama ist?", fragt sie den Reporter und gibt sich auch gleich die Antwort: „Mein Hündchen, das seit gestern Abend nicht mehr gegessen hat und dem es gar nicht gut geht. Lassen Sie mich zu ihm eilen, der Arme....“
„Wissen Sie was das wirkliche Drama ist?. Mein Hündchen das seit gestern Abend nicht mehr gegessen hat.“
Es könnte sein, dass Michaele Biancofiore schon bald mehr Zeit mit ihrem Hündchen verbringen kann, als ihr lieb sein dürfte. Denn die Frau hat am vergangenen Donnerstag den größten Fehler ihrer politischen Karriere gemacht. Einer Karriere, die auch bisher schon mit Peinlichkeiten gepflastert war.
So schaffte es Biancofiore im April 2013, Unterstaatssekretärin für die Chancengleichheit zu werden. Für zwei Tage. Dann musste Ministerpräsident Enrico Letta ihr das Mandat wieder entziehen - wegen absurder homophober Äußerungen. Biancofiore wurde Unterstaatssekretärin für Sport und später für die sogenannte Vereinfachung der Verwaltung (semplificazione amministrativa). Das sind Bereiche, die der Geisteshaltung der Bozner Politikerin schon eher entsprechen.
Die selbstbewusste Selfmade-Frau aus Bozen, „laureanda in giurisprudenza; Imprenditore“ (offizielle Berufsbezeichnung im Parlament) hat diesmal aber den Bogen überspannt. Dabei geht es nicht um Südtirol. Die Südtiroler Ausnahmeregelung im Wahlrecht und der Inhalt des angenommen Abänderungsantrages mögen die SVP bewegen, in Rom schert sich darum aber kaum jemand.
Das Spiel ist diesmal weit größer. Für Michaela Biancofiore eindeutig zu groß.
Denn das neue Wahlgesetz nach deutschem Muster ist aufgrund der Annahme des Biancofiore-Antrages geplatzt. Forza Italia und teilweise auch die 5-Sterne-Bewegung versuchen das Gesetz zwar noch mit allen Mitteln zu retten, doch fast alle politischen Beobachter gehen davon, dass es kein neues Wahlgesetz geben wird.
Demnach werden Neuwahlen in Italien nach dem sogenannten „Consultellum“ stattfinden. Die zwei Wahlgesetze werden so genannt, weil sie vom Verfassungsgerichtshof zusammengeschustert wurden.
Roberto D´Alimonte, einer der bekannten italienischen Politologen, analysiert im „Il Sole24ore“:
„Sarebbe sbagliato però affermare che nulla cambierà se il tedesco non verrà approvato e si voterà con i due consultelli. Per i partiti cambieranno molte cose. Soprattutto per Berlusconi. Sarebbe lui il vero vincitore se il tedesco fosse approvato. Sarà lui il principale perdente se non lo fosse. Ed è paradossale che a mettere in crisi il Cavaliere sia stata una sua deputata con un emendamento che ha scatenato la bagarre.“
Alimonte weiter: „Insomma, per Berlusconi l’ideale è proprio quel tedesco che la sua collega Biancofiore ha messo in crisi.“
Tatsache ist, dass Silvio Berlusconi und seine Partei allein in der Kammer mit dem „Consultellum“ voraussichtlich rund 40 Abgeordnete weniger stellen werden. Mindestens nochmal so viele Sitze wird Forza Italia im Senat verlieren, wenn das neue Wahlgesetz flöten geht.
Verständlich, dass man innerhalb von Forza Italia derzeit auf Michaela Biancofiore alles anderes als gut zu sprechen ist. Bereits vor der Abstimmung hatte Forza Italias Fraktionssprecher Renato Brunetta sich vom Abänderungsantrag Biancofiores distanziert und seine Fraktion aufgefordert, dagegen zu stimmen.
Am Freitag schrieben die Medien vom „Caso Biancofiore“. Man spekuliert offen darüber, dass eine Wiederkandidatur Biancofiores kaum mehr in Frage kommt. „Ich kann Berlusconi seit Sonntag nicht erreichen“, vertraut sie selbst der „Repubblica" an, „aber ich werde ihm alles erklären.“
Es könnte sein, dass Michaela Biancofiore schon bald mehr Zeit mit ihrem Hündchen verbringen kann, als ihr lieb sein dürfte.
Es ist aber fraglich, ob Silvio Berlusconi die Erklärung seiner „Amazone“ verstehen wird. Denn Michaela Biancofiore hat ihrer Partei und ihrem Chef einen Schaden zugefügt, der kaum mehr wieder gutzumachen sein wird.
Ist der Kampf gegen Ausnahmebestimmungen, die die SVP bevorzugen, politisch durchaus nachvollziehbar, so ist es nicht die Stärke Biancofiores, auch die Folgen ihrer spektakulären Aktion zu durchdenken.
Denn für die ach so böse SVP ist Biancofiores Vorstoß ein Weihnachtsgeschenk.
Der Grund: Südtirol und das Trentino haben neben Aosta als einzige Regionen in Italien ein gültiges Wahlgesetz. Das Verfassungsgericht hat mit den Urteilen 1/2014 und 33/2017 das Südtiroler Wahlgesetz zweimal für verfassungskonform erklärt.
Das heißt: Man wird in Trentino-Südtirol nach dem geltenden „Mattarellum“ wählen. Wie 1994, 1996 und 2001.
Die SVP wird demnach drei oder vier Kammerabgeordneten und zwei Senatoren auf jeden Fall schaffen. Die Frage ist ob Forza Italia noch einen Abgeordneten in Südtirol machen wird. Bei den Wahlen 2013 schaffte es Michaela Biancofiore. Sie sitzt derzeit seit genau 11 Jahren und 42 Tagen im Parlament.
Tage, die jetzt gezählt sein dürften.
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