Politik | Dolomiten

Zwei Fliegen mit einer Klatsche

Der Tierser Bürgermeister will sein Dorf vom Verkehr entlasten und die Nigerstraße nächsten Sommer für zwei Monate tagsüber sperren. Das dürfte die Bahnbetreiber freuen.
Die Gemeinde Tiers hat vor, die Passstraße Richtung Niger- und Karerpass nächstes Jahr zweitweise zu sperren. Geplant ist der Zeitraum von Juli und August, während der touristischen Sommerhochsaison. „Seit zwanzig Jahren fordern die Verbände eine Diskussion über die Schließung der Dolomitenpässe in Zeitfenstern, aber ohne Erfolg, weil sie sagen, dass es unmöglich ist. Zugunsten einer Seilbahn scheint es aber möglich“, kommentiert Carlo Alberto Zanella, Präsident des CAI Alto Adige, das Vorhaben.
Das Problem betrifft alle Pässe in den Dolomiten und auch Mobilitätslandesrat Alfreider spricht sich für eine Kontingentierung der Verkehrsflüsse aus.
Möglicherweise hängt das plötzliche Umdenken mit den großzügigen Zuschüssen des Landes für die neue als „Cabrio-Bahn“ beworbene Aufstiegsanlage Tiers - Frommer Alm zusammen: Für die Errichtung der Seilbahn erhielt die Betreibergesellschaft rund elf Millionen Euro an Fördergeldern, das entspricht 75 Prozent der Baukosten.
 
Carlo Alberto Zanella
Carlo Alberto Zanella: „Seit zwanzig Jahren fordern die Verbände eine Diskussion über die Schließung der Dolomitenpässe in Zeitfenstern, aber ohne Erfolg, weil sie sagen, dass es unmöglich ist.“ (Foto: CAI)
 
Für die hohe Förderung gemäß Landesgesetz Nr. 1/2006 und dem Kriterienbeschluss der Landesregierung Nr. 873 vom 10.11.2020 hagelte es von den Oppositionsparteien und den Umweltverbänden heftige Kritik. Team K-Fraktionsvorsitzender im Landtag, Paul Köllensperger, sprach von einem „privaten Projekt, das hauptsächlich mit öffentlichen Mitteln realisiert und daher ‚grün gewaschen‘ wird“. Die Umweltverbände forderten die Politik auf, Seilbahnen in Skigebieten in Zukunft nicht mehr mit öffentlichen Geldern zu subventionieren.
Dass sich die Führungsriege unter Zugzwang fühlte, beweist eine skurrile Aktion Anfang dieses Jahres: Die Tierser Seilbahn wurde für rund eine Woche im Südtirolmobil-Fahrplan als Linie 188 geführt. Allerdings wurde der hohe Ticketpreis vom Bahnbetreiber festgelegt. Nachdem die Umweltverbände AVS, CAI, Dachverband für Natur- und Umweltschutz, Heimatpflegeverband Südtirol und Mountain Wilderness die Aktion kritisierten, wurde die Linie 188 wieder vom Fahrplan genommen.
 
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Gernot Psenner: „Es geht hier um eine Verkehrsberuhigung für einige Stunden am Tag und um keine komplette Straßensperrung.“ (Foto: salto.bz)
 
Stattdessen will die Gemeinde Tiers nun mit Verkehrsreduzierung punkten und eine Straße sperren, die im Vergleich zu anderen Südtiroler Dolomitenpässen als weniger befahren gilt. Laut den Daten der Eurac aus dem Jahr 2014 werden am Karerpass im Sommer durchschnittlich pro Tag 5.680 Fahrten gezählt, am Grödnerjoch sind es 4.893, am Pordoijoch 4.167, am Sellapass 3.885 und am Campolongo Pass 3.362. Beim Nigerpass werden derzeit laut dem Ressort von Mobilitätslandesrat Daniel Alfreider keine Verkehrsdaten erfasst, vor der nächsten Sommersaison sollen aber Verkehrslesekameras angebracht werden.
Wenn der Nigerpass in der Hochsaison im Sommer zwei Monate geschlossen werden soll, dann bedroht das die Existenz mehrerer Familienbetriebe im Gastgewerbe.
Getestet wurde die Sperrung der Nigerstraße bereits Anfang Juni für das Bike Festival Rosadira bei der Frommer Alm, am 24. September soll für den Familiensonntag ein zweites Mal die Durchfahrt für Autos und Motorräder verboten sein. An den Familiensonntagen bietet der Liftbetreiber der Tierser Seilbahn Carrezza Dolomites vergünstigte Tickets an und wirbt mit Gasthäusern, die „entlang der Straße kulinarische Köstlichkeiten servieren“. Die Gasthäuser selbst sind über die Straßensperrung weniger erfreut, da sie mit weniger Kundschaft rechnen.
 

Protest gegen Straßensperre

 
„Wir wurden drei Wochen vor Schließung der Straße informiert“, erklärt Renate Robatscher, Hotelwirtin von Jolanda am Nigerpass. Sie könne die Maßnahme zur geplanten Verkehrsreduzierung nächstes Jahr nur schwer nachvollziehen und plädiert stattdessen für eine Geschwindigkeitsmessung. „Wenn der Nigerpass in der Hochsaison im Sommer zwei Monate geschlossen werden soll, dann bedroht das die Existenz mehrerer Familienbetriebe im Gastgewerbe, nicht nur unseren, sondern auch die Plafötschalm, die Obertierscher Alm, die Nigerhütte, die Ochsenhütte, die Maserehütte und die Haniger Schweige. Deshalb sind wir entschieden gegen eine Schließung der Passstraße.“
 
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Plafötschalm: Die an der Nigerstraße anliegenden Gastbetriebe wehren sich gegen eine Straßensperre in der Sommerhochsaison. (Foto: privat)
 
Die Wirtin der Plafötschalm, Renate Herbst, führt aus: „Unsere Alm liegt nicht direkt an der Nigerstraße, sondern ist nur über einen Forstweg erreichbar. Unsere Übernachtungsgäste kommen an die Nigerstraße und dort wird das Gepäck abgeholt. Wie sollen aber unsere Gäste und Lieferanten zur Alm, wenn die Straße gesperrt ist?“
Werde die Straße wie bereits im Juni für die Radveranstaltung von zehn bis 16 Uhr gesperrt, habe das auch Folgen für das Mittagsgeschäft der Alm: „Viele Menschen, etwa ältere Personen oder Eltern mit Kinderwagen, nehmen nicht den längeren Weg von Weißlahnbad. Deshalb würde ein Großteil unserer Kundschaft wegfallen“, so die Wirtin der Plafötschalm.
Seit Inbetriebnahme der Tierser Seilbahn wurden außerdem die Fahrten der Buslinie 185 reduziert, sie fährt nur noch bis zur Talstation der Tierser Seilbahn in der Gemeindefraktion St. Zyprian. Wer von Tiers weiter zum Karerpass will, muss entweder eine halbe Stunde auf die Buslinie 186 warten oder mit der Tierser Seilbahn zur Frommer Alm und dann mit den weiteren Bergbahnen fahren. „Dann muss ein zusätzliches teueres Ticket gekauft werden“, so Robatscher vom Hotel Jolanda. „Die Buslinie 185 war vor allem im Sommer sehr gut besucht, als sie fast stündlich über Tiers zum Niger- und Karerpass bis nach Paolina gefahren ist und dann wieder retour.“
Sie bezweifelt außerdem, dass die Straßensperre zu einer Verkehrsreduzierung im Gebiet führt. „Der Umwegverkehr wird über Welschnofen geleitet, das bereits jetzt mit der derzeitigen Verkehrsbelastung am Limit ist.“ Das befürchten auch die umliegenden Gemeinden. Erst kürzlich kritisierten die Bürgermeister im Eggental in einer Aussendung an die Medien den „Spaßverkehr“ in den Dolomiten.
„Es ist unzumutbar, unerträglich und unverantwortlich, was die Menschen entlang den inoffiziellen Rennstrecken so mancher Südtiroler Urlaubsgäste mittlerweile aushalten müssen, weil diese mit ihren Sportwagen und Motorrädern durch unsere Dörfer rasen“, so die Bürgermeister Albin Kofler (Karneid), Markus Dejori (Welschnofen), Bernhard Daum (Deutschnofen) und Gernot Psenner (Tiers).
 

Der Tierser Alleingang

 
Ausgerechnet Tiers will aber nun einen Alleingang starten und die Nigerstraße nächstes Jahr zweitweilig sperren. „Es geht hier um eine Verkehrsberuhigung für einige Stunden am Tag und um keine komplette Straßensperrung“, erklärt der Tierser Bürgermeister Gernot Psenner (SVP). Er wolle die nächsten Schritte bis zum nächsten Testlauf am 24. September abwarten. Im Juni sei das Angebot der autofreien Straße wetterbedingt nicht sonderlich gut angenommen worden, deshalb hofft er im September auf „positive Erfahrungen“.
 
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Die Bürgermeister von Deutschnofen, Karneid und Welschnofen: v.l. Bernhard Daum, Albin Kofler und Markus Dejori; (Foto: Seehauserfoto)
 
„Das Problem betrifft alle Pässe in den Dolomiten und auch Mobilitätslandesrat Alfreider spricht sich für eine Kontingentierung der Verkehrsflüsse aus“, so Psenner. Dass gerade die im Vergleich zu den anderen Passstraßen weniger befahrene Strecke zeitweise gesperrt werden soll, sei ein Vorteil: „Aus diesem Grund ist die Nigerstraße als Pilotprojekt geeignet.“ Offenbar hält es der Tierser Bürgermeister für leichter durchsetzbar, die Nigerstraße zeitweilig zu sperren als etwa die Straße über Welschnofen zum Karerpass.
Der Vorwurf, dass die Straßensperre vor allem für eine hohe Auslastung der Tierser Seilbahn sorgen soll, sieht er als nicht gerechtfertigt an: „Ich sehe das als Gesamtkonzept zur Verkehrsberuhigung, das die Mobilität mit Bus, Fahrrad und Seilbahn fördern soll.“ Auch wenn die Buslinie 185 eingeschränkt wurde, fahre die Linie 186 sechsmal am Tag das gesamte Gebiet rund um den Karerpass ab.
 
Tierser Seilbahn
Tierser Seilbahn: Das 15 Millionen Euro teure Projekt ist nicht nur wegen dem Bauvergehen in der Kritik, sondern auch wegen den hohen Förderbeiträgen des Landes. (Foto: Skiarena Carezza)
 

Das Bauvergehen

 
Beim Bau der Tierser Seilbahn haben die Antragsteller - wie berichtet - mehr Volumen gebaut als genehmigt wurde. Es handelte sich primär um unterirdische Bauvolumen. Das Amt für Landschaftsplanung hat nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft entschieden, dass dieses zusätzliche Bauvolumen saniert werden kann, indem die entsprechenden Räume durch Betonwände abgetrennt und dauerhaft aufgefüllt werden. Ende November 2022 genehmigte daraufhin die Dienststellenkonferenz der Landesumweltagentur das eingereichte Variantenprojekt, welches diese Vorgaben umsetzt. Die für das Raumordnungsgesetz zuständige Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer erklärte im Antwortschreiben auf eine Landtagsanfrage der Grünen, dass der Rückbau von Stahlbetonwänden gesetzlich nicht durchsetzbar und darüber hinaus mit großem Aufwand verbunden wäre. Die Tierser Seilbahn ist wieder in Betrieb, seit sie im Sommer vergangenen Jahres auf Anordnung von Bürgermeisters Psenner für einige Monate stillstehen musste.
 
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Josef Fulterer Mo., 10.07.2023 - 07:06

Vor der offiziellen Sperrung der Straße auf die SEISER ALM um 9 Uhr, brettern noch schnell die bis zu 300 zu-gelassenen PS strotzenden U n g e h e u e r, auf den geraden Strecken vor den Kehren bremsend (um die Kehre zu packen), trotz der sehr s a f t i g e n Park-Gebühren zur A L M.
Nach 9 Uhr fahren noch alle Hotel-Gäste der SEISER-ALM, die Lieferanten bis zum Kaffee-Vertreter der bei den Tages-Betrieben seine 3 Paklen Kaffee übergeben m u s s, die Jäger + die Oberschlauen, die es Dank B... zu einer Fahr-Erlaubnis gebracht haben , die zahlreichen Besitzer der Wochenend-Freizeit-Villen-Besitzer, auch der recht üppige landwirtschaftliche Verkehr, zur Alm und herunter.
In Tiers wird man sicher auch eine Lösung für a l l e Bedürfnisse finden.

Mo., 10.07.2023 - 07:06 Permalink
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Hansi Kafmann Mo., 10.07.2023 - 19:02

Eine absolut sehr gute Entscheidung. Für einige wahrscheinlich Gewöhnungsbedürftig. Langfristig jedoch eine vernünftige Lösung für alle. Es ist halt immer schwer neue Wege zu erkunden. Für Tiers, der Niegerstrasse und allen Betrieben wird es ein groser zukunftsweisender Gewinn sein.

Mo., 10.07.2023 - 19:02 Permalink
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Manuela Gross So., 16.07.2023 - 15:24

Ganz wesentlich die Aussage im Text:

"Seit Inbetriebnahme der Tierser Seilbahn wurden außerdem die Fahrten der Buslinie 185 reduziert, sie fährt nur noch bis zur Talstation der Tierser Seilbahn in der Gemeindefraktion St. Zyprian. Wer von Tiers weiter zum Karerpass will, muss entweder eine halbe Stunde auf die Buslinie 186 warten oder mit der Tierser Seilbahn zur Frommer Alm und dann mit den weiteren Bergbahnen fahren. „Dann muss ein zusätzliches teueres Ticket gekauft werden“"

Man erkläre mir, wieso mit der Eröffnung einer privaten Seilbahn zwischen Tiers Zyprianer Hof (!) dazu führt, dass der Busverkehr zwischen Bozen und Frommer Alm (incl. der dazwischen liegenden Bushaltestellen) verschlechtert wird - bisher konnte man ganz bequem direkt zu den entsprechenden Wanderausgangspunkten hinfahren.
Jetzt heißt es immer umsteigen, mit entsprechend längerer Fahrtzeit und erhöhtem Anreiz, das Auto zu verwenden - ich bezweifle, dass die Einheimischen Lust haben, mit dem Bus zum Zyprianer Hof zu fahren und dann für teures Geld in die (private) Seilbahn zu steigen, noch dazu, weil diese nur zur Frommer Alm und nicht z.B. zum Nigerpass fährt.
Honi soit qui mal y pense...

So., 16.07.2023 - 15:24 Permalink
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Manuela Gross So., 16.07.2023 - 15:31

Übrigens macht Südtirol an anderer Stelle (wo nicht private Interessen die Politik bestimmen?) schon einiges richtig, siehe z.B. die erhöhte Busfrequenz zur Villandrer Alm und ins Villnösstal - ein Angebot, was sehr gut angenommen zu werden scheint (zumindest bei meinen Busfahrten), und somit den Individualverkehr reduziert.

So., 16.07.2023 - 15:31 Permalink