Blow Up im Passeiertal
Im ästhetisch bahnbrechenden Kunstfilm Blow Up, treibt Titelheld und Szenefotograf Thomas (David Hemmings) den genannten Prozess des Vergrößerns so weit voran, dass sich aus idyllischen Park- und Landschaftsbildern eine Mordgeschichte entwickelt. Für den Film, der gleichzeitig die Identitätssuche der Swinging Sixties und der Beat Generation veranschaulicht, erhielt Michelangelo Antonioni vor einem halben Jahrhundert in Cannes die Goldene Palme. Doch was hat der Kinoklassiker mit dem Passeiertal und Andreas Hofer zu tun?
Skurrile Parallelen zur Handlung in Blow Up finden sich in einer Erzählung des in den 1980er Jahren erschienenen Buches Quel Bowling sul Tevere. Michelangelo Antonioni versammelt in dem Erzählband Drehbuchskizzen und Kurzgeschichten - Stoffe, aus denen keine Filme wurden oder Geschichten aus dem Alltag und Zeitungsnotizen, „die der Autor mit Leben erfüllt und zu Ende phantasiert“. Es sind Stories mit dem emotionalen Gehalt von Orten, Gebäuden, Räumen sowie dem Verhältnis Mensch und Raum.
Es ist so typisch, dass man gehen möchte. Der Tiroler Stil passt nur zu den Tirolern.
(Michelangelo Antonioni)
1995 brachte Antonioni mit Hilfe von Wim Wenders vier der insgesamt 19 Erzählungen aus Bowling am Tiber unter dem Titel Jenseits der Wolken auf die Leinwand. Obwohl der Film bei vielen Kritiken nicht besonders positiv bewertet wurde, erhielt Antonioni im gleichen Jahr den Oscar für sein Lebenswerk.
Es ist eine Szene, die mich an die Parkszene in Blow Up erinnern würde, wenn die Zeit die beiden Ereignisse nicht umgekehrt angeordnet hätte.
(Michelangelo Antonioni)
Eine weitere Geschichte aus dem Erzählband trägt den Titel In Grenznähe. Sie führt den Leser ins Passeiertal, unter anderem in das Gasthaus Andreas Hofers. Antonioni beschreibt einen Abend, der ihn „an eine Art Film erinnert“, so, wie er ihn „immer machen wollte“ und wo „nicht ein Ablauf von Fakten sondern von Momenten“ im Vordergrund steht.
Antonionis Ich-Figur fährt mit einem amerikanischen Captain, einer Deutschen namens Grethe und der Italienerin Sandra ins Passeiertal und besuchen das Gasthaus: „Der Raum indem wir Platz nehmen, hat Wände, die mit Naturholz verkleidet sind, Tische und Stühle, ebenfalls aus Holz und einen Kachelofen mit einer Bank drum herum und einen Schlafplatz obendrauf. Es ist so typisch, dass man gehen möchte. Der Tiroler Stil passt nur zu den Tirolern.“ Weiter im Text sinniert Antonioni über Andreas Hofer: „Andreas Hofer steht da in einer Ecke mit einer Fahne in der Hand. Eine bemalte Holzfigur in Lebensgröße, so blank und glänzend, dass sie aussieht wie aus Wachs, und so, als Wachsfigur, sieht sie aus wie Andreas Hofer in Person. An den Wänden hängen verblichene Drucke: Hofer, wie er eine Rede hält, Hofer auf einer geheimen Versammlung, Hofer vor einem Peloton napoleonischer Soldaten mit blauen Uniformen und langen, langen Gewehren in einem düsteren Kasernenhof, der an La Grande Illusion [Spielfilm Jean Renoir aus dem Jahr 1937] erinnert.“
Gegen Ende der Erzählung kommt es zu einer schauerlichen Situation an einer Lichtung des Tales, wo Antonionis bildhafte Sprache zugleich Sätze und Landschaften formt. So berichtet er über zwei Menschen, die sich in einem antonionisch-gewohnten Spannungsverhältnis gegenüberstehen. Es folgen Schüsse und plötzlich verschwindet einer der beiden mysteriösen Protagonisten. Und genau hier zieht der Regisseur eine spannende Parallele zu seinem Meisterwerk Blow Up: „Am Rande einer weiteren Lichtung, kleiner als die vorherige, stehen, vom Mond beleuchtet, zwei Gestalten, ein Mann und eine Frau. Ich mag Tageslicht lieber als Nachtlicht, das blendende Sonnenlicht lieber als Mondlicht, so zauberhaft das auch sein mag. Aber es kommt vor, dass eine Szene vom Mond beleuchtet wird, ohne deshalb idyllisch zu wirken. Es ist eine Szene, die mich an die Parkszene in Blow Up erinnern würde, wenn die Zeit die beiden Ereignisse nicht umgekehrt angeordnet hätte. Blow Up war damals noch längst nicht im Entstehen.“