Politik | A22

„Niemand will den Verkehr haben“

Mit der Sanierung der Lueg-Brücke kommt eine große Herausforderung auf die Brennerautobahn-Gesellschaft zu. Salto.bz im Gespräch mit Präsident Hartmann Reichhalter.
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Foto: Autobrennero
Salto.bz: Herr Reichhalter, wie steht es mit der Konzessionsvergabe? Mitte Mai wurde das ÖPP-Projekt eingereicht, das zuständige Ministerium sollte nach 90 Tagen eine Entscheidung treffen.
 
Hartmann Reichhalter: Am 11. Mai hat die Brennerautobahngesellschaft ein vollständiges Angebot beim Ministerium für Infrastrukturen und nachhaltige Mobilität in Rom hinterlegt. Laut öffentlichem Vertrags-Kodex ist der Zeitraum von 90 Tagen angeführt, innerhalb welchem das Ministerium erklären muss, ob die Machbarkeit gegeben ist bzw. ob das sehr umfangreiche Projekt umsetzbar sowie dass es von öffentlichem Interesse ist. Das Ministerium rechnet die 90 Tag ab jenem Datum, an dem alle Dokumente vorliegen. Zweimal hat die Behörde weitere Unterlagen angefordert, die letzten Dokumente, die wir hinterlegt haben, datieren vom 8. September. Wir rechnen damit, dass die Entscheidung noch vor dem 7. Dezember fallen wird. Das wäre ein erster sehr wichtiger Schritt.
 
Sofern nicht noch weitere Unterlagen angefordert werden?
 
Das ist richtig. Ich hoffe, dass keine weiteren Dokumente angefordert werden, aber ich kann es nicht garantieren.
 
Thema Lueg-Brücke: Einen Vorgeschmack, was ab 2025 auf uns zukommen wird, wenn die Strecke in beiden Richtungen nur mehr einspurig befahrbar sein wird, erhalten wir bereits in den kommenden Tagen. Was erwartet uns ab dem 1. Jänner 2025?
 
Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, dass es auf unserer Seite der Autobahn zu so einem katastrophalen Szenario kommen könnte. In Nordtirol ist dieser Fall jedoch eingetreten.
Ich habe von der Nordtiroler Autobahnführung die Information erhalten, dass bis 2017 über viele Jahre hinweg eine Diskussion darüber geführt wurde, ob in diesem Bereich eine Tunnellösung realisiert oder zur bestehenden Brücke parallel eine neue errichtet werden sollte. 2017 fiel dann die Entscheidung gegen die Tunnellösung und für die Sanierung der bestehenden Trasse. Pläne wurden erstellt und Vorbereitungen für die Bauarbeiten getroffen, womit die Arbeiten eigentlich im Jahr 2019 hätten beginnen sollen. Allerdings gibt es auch in Österreich zeitaufwändige und komplexe Genehmigungsverfahren sowie ein sogenanntes Einspruchsrecht. Wird Einspruch erhoben, wird das gesamte Projekt solange gestoppt, bis der Einspruch positiv gelöst wird. Aufgrund von wiederholten Einsprüchen hat sich der Baubeginn bis zum heutigen Tag verzögert. In der Zwischenzeit haben unabhängige Techniker eine statische Überprüfung der Brücke vorgenommen – die statische Belastbarkeit muss jedes Jahr aufs Neue bestätigt werden – und erklärt, dass ab dem 1. Jänner 2025 nur mehr die Bestätigung für einen einspurigen Verkehr in beiden Richtungen ausgestellt wird. Würde man heute mit den Arbeiten beginnen, wäre eine eineinhalb bis zwei Jahre dauernde einspurige Befahrbarkeit bereits heute Fakt, da die Bauzeit entsprechend lange dauert. Jede weitere Verzögerung für die Baufreigabe verlängert diese entsprechend. Wir sprechen also über eine einspurige Befahrbarkeit über mehrere Jahre hinweg. Diese Information erhielten wir im September bei einem gemeinsamen Treffen, bei welchem wir bereits einige Dinge vereinbart haben
 
 
 
Können Sie etwas zu diesen Vereinbarungen sagen?
 
Wir werden innerhalb März 2023 Informationen bzw. Daten austauschen und Machbarkeiten für Verkehrsflussanalysen und -lösungen ausarbeiten. Die ASFINAG auf Nordtiroler Seite wird die entsprechenden Informationen auch bei den umliegenden Nachbarländern einholen, um hier ein großräumiges Szenario zu konstruieren und zu veranschaulichen, welche Folgen zu erwarten sind, wenn auf der Brennerachse nur mehr eine Fahrspur zur Verfügung steht. Damit soll zunächst einmal festgelegt werden, welche anderen Verkehrswege sich überhaupt anbieten.
 
Was passiert anschließend?
 
Diese Daten und Informationen werden den politischen Entscheidungsträgern auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene zur Verfügung gestellt, welche einen Entscheidungsprozess in Gang setzen müssen, der möglichst innerhalb Dezember 2023 abgeschlossen sein sollte – damit man bereits ein Jahr davor Klarheit hat oder mögliche Lösungen aufzeigen kann. Zudem muss die Frage geklärt werden, ob man gewillt ist, den Verkehr umzuleiten bzw. über welche Routen.
 
Zudem muss die Frage geklärt werden, ob man gewillt ist, den Verkehr umzuleiten bzw. über welche Routen.
 
Gewillt? Wird es nicht zwangsweise dazu kommen müssen?
 
Ich kann das leider nicht vorhersehen. Denn niemand rundum will den Verkehr haben, nur damit wir uns recht verstehen.
 
Ungefähr nach dem Motto: Das ist euer Problem und nicht unseres?
 
Unser direkter Nachbar, die Schweiz, wird sicherlich nicht 30 Prozent zusätzlichen Verkehr aufnehmen. Frankreich und Slowenien möglicherweise. Dieser Prozess muss jedoch so schnell wie möglich in Gang gesetzt werden, möglichst bereits im März nächsten Jahres. Anschließend muss die Diskussion darüber geführt werden, bei welchem Verkehr es überhaupt Sinn macht, ihn umzuleiten, wie viel Verkehr umgeleitet werden muss und mit welchen gesetzgeberischen Maßnahmen. Die Autobahngesellschaft hat nicht die rechtliche Möglichkeit zu entscheiden, wer die Autobahn benutzen darf und wer nicht. Das müssen die gesetzgeberischen Organe und zwar in einer zwischenstaatlichen Lösung entscheiden. Ein sehr schwieriger Prozess, weshalb ich mit den Prognosen sehr vorsichtig bin.
 
Die Kapazität der Brennerautobahn liegt bei …
 
… in Spitzenzeiten zwischen 3.300 und 3.500 Fahrzeugen pro Stunde, im Normalfall liegt sie bei rund 2.600 Fahrzeugen pro Stunde.
 
Ist die Fahrbahn nur mehr einspurig befahrbar, reduziert sich die Kapazität …
 
… auf die Hälfte.
 
Was bedeutet, dass man auf unserer Seite der Autobahn auf irgendeine Art und Weise auf dasselbe Niveau wird kommen müssen, um zu vermeiden, dass das Wipptal im Verkehr erstickt.
 
Das ist das Maximalziel, was angestrebt werden muss. Was im Konkreten bei den Gesprächen herauskommt, wird man sich ansehen müssen.
 
 
 
 
Landeshauptmann Arno Kompatscher hat die Möglichkeit eines Buchungssystems angedeutet, welches bis zu diesem Zeitpunkt wohl nicht funktionieren wird?
 
Zunächst glaube ich, dass gerade diese Krisensituation der richtige Zeitpunkt sein kann. Es gibt aber noch andere Lösungsansätze, die parallel angedacht werden können. Je mehr Lösungen, desto besser.
 
Zum Beispiel?
 
Wenn in Nordtirol das Nachtfahrverbot aufgehoben wird, steht den LKW rund ein Drittel mehr Fahrtzeit zur Verfügung, um die Lueg-Brücke zu passieren. Ob diese Möglichkeit besteht, muss allerdings die österreichische Politik klären.
 
Hier sprechen wir aber fast ausschließlich vom Schwerverkehr. Was ist mit den Pkw‘s, insbesondere dem Urlaubsverkehr?
 
Die Mobilität reguliert sich bis zu einem gewissen Grad von alleine, ab einem bestimmten Moment muss sie aber höchstwahrscheinlich gesetzgeberisch reguliert werden.
 
Wow!
 
Das ist eine totale Katastrophe. Eine sich anbahnende Niederlage der lokalen, nationalen und internationalen Mobilität und verheerenden Kollateralschäden für die Bevölkerung.
Deshalb kommen auch weitere Szenarien wie Abfahrtsverbot auf Südtiroler Seite ins Spiel und zur Diskussion. Das Thema muss abermals gesetzgeberisch diskutiert und entschieden werden, z.B. mittels Änderung der Straßenverkehrsordnung.
 
Eine sich anbahnende Niederlage der lokalen, nationalen und internationalen Mobilität und verheerenden Kollateralschäden für die Bevölkerung.
 
Besteht diese Möglichkeit oder besteht unter diesen Umständen eine solche Möglichkeit erst recht?
 
Letztere Formulierung erscheint mir die korrektere zu sein. Die Frage richtet sich aber an die zuständigen Entscheidungsträger und nicht an die A22. Es ist aber eine komplexe Angelegenheit.
 
Will heißen?
 
Die Beschränkung auf der Lueg-Brücke kann zu einer katastrophalen Situation führen – sprich endlose und tägliche Staus auf der Nordspur, weil dieses Szenario jedoch wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen hängt, können effektiv Regulierungsmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung getroffen werden. Wenn die Autobahn wieder zweispurig befahrbar sein wird, können diese wieder zurückgenommen oder beibehalten werden. Die gesamten Entscheidungsprozesse sind jedoch auf einer gesetzgeberischen Ebene anzusiedeln, die bis nach Brüssel reichen dürften. Wie gesagt: Alles in Allem ein sehr komplexes Problem, das in zwei Jahren gelöst sein sollte.