Gesellschaft | Interview

“Land der Scheinheiligkeit”

Der Pornostar Rocco Siffredi spricht über die Entrüstung über Erotik-Messen, die Heuchelei vieler Menschen, in den Rücken gerammte Messer und Orbans Flüchtlingspolitik.

Rocco Siffredi braucht man nicht groß vorzustellen. Den weltweit wahrscheinlich berühmtesten männliche Pornostar kennt man auch hierzulande. Weniger bekannt dürfte sein, dass er sich seit Jahren regelmäßig in Südtirol aufhält, beruflich und privat. Dabei hatte er Gelegenheit, Land und Leute etwas näher kennenzulernen. “Die Menschen waren immer sehr freundlich zu mir”, gesteht er. Doch was sagt er zu den Polemiken, die es rund um die Erotik-Messe in Lana gegeben hat? Zum Naserümpfen über seine Arbeit? Und der Flüchtlingssituation in seiner neuen Heimat, Ungarn? salto.bz hat nachgefragt.

salto.bz: Herr Siffredi, vergangenes Wochenende fand in Lana eine Erotik-Messe statt, die für einige Empörung und Polemik gesorgt hat. Können Sie Menschen verstehen, die sich über eine solche Veranstaltung echauffieren?

Rocco Siffredi: Es ist ja so, dass die heutige Welt seit einigen Generationen mit der Pornographie aufwächst. Daher ist es vielfach nur Heuchelei, wenn sich jemand empört. Wenn sich hingegen ältere Leute aufregen, beziehungsweise Personen, die nicht im Zeitalter des Internet aufgewachsen sind, dann ist das verständlich. Auch, weil in der Gegend wahrscheinlich zum ersten Mal eine solche Veranstaltung organisiert wurde. Und vielleicht gab es gewisse Ängste, auch vor den Personen, die da eventuell hätten kommen können. Sicher, wenn ich einer der Hauptgäste gewesen wäre, hätte ich etwas mehr Ruhe in das Ganze gebracht. (Lacht)

Sie wurden nicht eingeladen?

Ich war nicht eingeladen, nein. Aber es ist auch so, dass ich nicht zu allen Messen hingehe, die so veranstaltet werden. Ich versuche, bei den Messen zu erscheinen, die ein Minimum an Qualitätstandards erfüllen.

L’Italia è uno dei paesi di eccellenza dell’ipocrisia, dove tutti ti dicono come comportarti e loro fanno l’opposto.

Also ein Mindestmaß an Professionalität?

Nun ja, leider werden Messen häufig, anzi, zum Großteil von Personen organisiert, die einfach nur Geld daran verdienen wollen. Aber dort wird dann meist nichts geboten. Es werden ein paar Mädchen geholt, die eine Lap-Dance-Show hinlegen und auf dem Messegelände herumlaufen. Und zu solchen Anlässen ziehe ich es vor, nicht hinzugehen.

Wohin zieht es Sie dann?

Ich bin gerade auf dem Weg zur Erotikmesse nach Zürich, was übrigens gar nicht weit weg von euch ist. Diese Messe ist eine sehr sehr wichtige, die seit Jahren veranstaltet wird und immer enorm viel Publikum anzieht. Mit Bildhauern, Künstlern – eine ganze Welt, die mit Sex arbeitet. Aber nicht unbedingt von niederer Qualität. Zu solchen Messen gehe ich hin.

Es gibt also eine Zwei-Klassen-Erotik?

Ich will denjenigen, die Lap Dance machen, nichts absprechen. Aber die ganze Erotik-Welt muss nicht unbedingt nur von Personen gemacht werden, die eine Show an der Stange abziehen. In Wirklichkeit ist es jedoch schwer, heutzutage eine solche Messe zu veranstalten.

I primi a scandalizzarsi di solito sono i primi che poi ne fanno di tutti i colori.

Warum?

Schauen Sie, Italien ist ein Land, in dem es immer noch sehr, sehr, sehr viel Heuchelei und Scheinheiligkeit gibt, viel falsche Moral. Schauen wir doch einfach auf all jene, die hierzulande Pornographie konsumieren. Italien ist eines jener Länder, wo am meisten Pornos online geschaut werden, sowohl bezahlte als auch gratis. Damit wir uns verstehen, das Land, in dem ich persönlich weltweit immer noch am meisten verdiene, ist Italien. Und das sagt eigentlich schon vieles.

Gleichzeitig definiert sich Italien beziehungsweise seine Bevölkerung als katholisch. Da darf ein bisschen Entrüstung doch sein?

Vielleicht gibt es bei euch sehr viele strenggläubige Menschen, die sich dann auch anlässlich der Messe empört haben, ich weiß es nicht. Also jene, die nicht nur aus Bequemlichkeit gläubig, sondern wirklich praktizierend sind. Und da gibt es eigentlich nichts dagegen zu sagen. Das wahre Problem ist, wie ich gesagt habe, dass es in Italien allgemein viele Menschen gibt, die sich aufregen und empören, und dann nach Hause gehen und sich am Computer Pornos anschauen. Das ist Italiens hässlichste Seite. Alle sind vorne dran, wenn es darum geht, dir das Messer in den Rücken zu rammen und zu sagen: “Das hättest du nicht machen dürfen, das macht man nicht.” Und dann… Aber das ist ein sehr breiter Diskurs und gilt genauso in der Politik. Alle sind große Prediger des gesunden Menschenverstands und wollen einem vorschreiben, wie man sich zu verhalten hat. Und dann machen sie selbst das genaue Gegenteil.

Socialmente mi trovi molto contro un regime che respinge le famiglie con i bambini o il padre che cerca di salvare la propria famiglia dalla guerra.

Wird sich das je ändern?

Ich persönlich muss sagen: Die Welt ist dabei, sich zu ändern – zum Glück. Und wenn wir alle etwas realitätsnäher und weniger Träumer wären, dann müssten wir versuchen, den richtigen Umgang mit der Internet- und Porno-Welt zu vermitteln. Damit das, was in vielen vielen Jahren erreicht wurde – die Freiheit – auf die richtige Art und Weise übertragen wird.

Was heißt das konkret?

Dass Pornographie in den Händen von 10- oder 11-Jährigen landet, ist falsch. Und da sollte man ansetzen. Warum sind alle Dateien schon für die Kleinsten zugänglich? Auf einen grünen Button zu klicken, mit dem man bestätigt, volljährig zu sein und daher zugriffsberechtigt, das schafft sogar ein Fünfjähriger. Daher meine Meinung: Verlieren wir keine Zeit mit solchen stronzate. Die Welt hat sich verändert. Und auch die Sexualerziehung. Die eignen sich die Kinder heutzutage auch über unsere Arbeit, also die Pornographie, an. Was absolut falsch ist. Man müsste hergehen und darüber reden, erklären, was Pornographie ist. Und versuchen, etwas Ordnung zu schaffen. Wie man es mit der Pädophilie macht – die gar nichts mit uns und unserer Arbeit zu tun hat –, wo es saftige Strafen gibt. Und ich frage mich schon, warum man es dann nicht schafft, auch das Internet besser zu reglementieren. Ich habe nie wirklich verstanden, warum es zum Beispiel keine strengeren Zugangsbestimmungen gibt.

“Libertà” è la parola più importante del Mondo.

Die Welt verändert sich, wie Sie sagen. Aber nicht nur die virtuelle, sondern auch die reale. Sie leben in Budapest. Wie stehen Sie zur Flüchtlingspolitik von Viktor Orban?

Sehr kompliziert. Also, wenn ich über etwas nachdenke, versuche ich meist, mich in die jeweilige Person hineinzuversetzen. In diesem Fall Orban. Grundsätzlich bin ich absolut gegen jedes Regime, das Menschen, die Hilfe suchen, die Türen versperrt. Das steht für mich nicht zur Diskussion. Auf der anderen Seite gibt es aber eben diese eine Person, die ein ganzes Land zu verwalten hat und tausende Personen dieses betreten sieht. Da tauchen Fragen auf, wie diese Personen versorgen, wie sie unterbringen? Und es kommen immer mehr. Es ist alles sehr kompliziert, sehr, sehr kompliziert. Und ich bin wie viele der Meinung, dass die Probleme dort, in den Ländern, aus denen die Menschen kommen, gelöst werden müssen. Es braucht mehr Demokratie weltweit.

Haben Sie jemals überlegt, in die Politik einzusteigen? In Bozen wird zum Beispiel gerade verzweifelt ein geeigneter Bürgermeisterkandidat gesucht…

(Lacht) Nein. Nein, nein. Aus dem einfachen Grund, dass es sich dabei um eine sehr ernste Sache handelt, und man auch Kompromisse eingehen muss, wenn man wirklich gute Politik machen will. Und Kompromisse gefallen mir nicht.