Stich ins Wespennest
Von den Reaktionen her kommt sie dem sprichwörtlichen Stich ins Wespennest gleich. Die von der Landesregierung für Dienstag geplante Angleichung der Tarifberechnung für Kinderhorte an jene von Kindertagesstätten und dem Tagesmutterdienst bringt nicht nur unzählige Eltern auf die Barrikaden. Auch politisch sorgt die damit einhergehende Verteuerung der städtischen Kinderhorte vor allem auf italienischer Seite für heftige Reaktionen. „Einmal mehr tritt das Land gegenüber der Gemeinde Bozen in autoritärer Weise auf und lässt keinen Raum für Diskussion und gemeinsame Entscheidungen“, springt beispielsweise PD-Kandidat Stefano Mascheroni auf die aktuelle Diskussion auf. Die Landeshauptstadt kann nicht mit Südtirols Landgemeinden über einen Kamm geschoren werden, städtische Familien haben andere Bedürfnisse als jene der Peripherie: Dieser Appell tönt derzeit von allen Seiten in Richtung Familienressort und Landesregierung – ob von diversen Gemeinderatskandidaten, Bozens kommissarischem Verwalter Michele Penta oder Ex-Assessorin Maria Chiara Pasquali bis hin zur Gewerkschaft SGK-UIL. „Wen Familien tatsächlich bei der Vereinbarkeit unterstützt werden sollen, sind öffentliche Basis-Dienstleistungen wie Kinderhort, Kindergarten und Altenbetreuung unabkömmlich“, unterstreichen Generalsekretär Toni Serafini und die Verantwortliche für Chancengleichheit Laura Senesi. Diese müssten für die Bevölkerung aber auch leistbar sein.
Die Angleichung der Tarife war bereits mit dem noch unter Ex-Soziallandesrat Richard Theiner verabschiedeten Familiengesetz beschlossen worden. „Ich finde es einfach unerhört, wenn durch ein neues Berechnungssystem doppelt so hohe Kosten für den größten Teil der Eltern entstehen“, kritisiert die Landessprecherin der BürgerUnion Josefa Brugger. Abgestraft würden wieder einmal Familien, die ihre Kinder fremdbetreuen lassen müssen, meint sie und fordert Deeg auf, den Schritt noch einmal zu überdenken. „Andernfalls zweifle ich, ob sie im richtigen Ressort sitzt“, so Brugger. Kritisch auch die Grünen Landtagsabgeordneten Brigitte Foppa, Riccardo dello Sabarba und Hans Heiss. Kinderhorte, die es hauptsächlich in Bozen, Meran, Brixen und Leifers gibt, hätten eine andere und längere Geschichte, eine andere Struktur und einen anderen gesellschaftlichen Auftrag als die anderen Betreuungseinrichtungen, stellen sie sich gegen die Vereinheitlichung. Eine stundenweise Bezahlung würde sicherlich in vielen Fällen zur Reduzierung der in Anspruch genommenen Stunden führen. Dies wiederum hätte gravierende Auswirkungen auf den Wochenalltag der Kinder, da das pädagogische Konzept in Kinderhorten dem Kind einen alternativen Alltag zur Familie bietet. „Die Tatsache, dass dieser grundlegende Umbruch Anfang 2017, also mitten im Schuljahr erfolgen soll, zeugt von geringem Verständnis für die Familien und deren Organisationsbedingungen“, so die Grünen. Auch sie fordern die Landesregierung dazu auf den Beschluss auszusetzen – der hauptsächlich zu Lasten der städtischen, zumal der italienischen Familien im Lande gehen würde, die diesen Dienst seit jeher nutzen und schätzen.
Kinderbetreuungszwang für Migranten?
Doch was die Kinderbetreuung betrifft sorgen nicht nur unterschiedliche Bedürfnisse von Land- und Stadtfamilien für Diskussionen. Für Aufsehen sorgt auch ein Vorschlag, der laut Tageszeitung Dolomiten derzeit von der Familienlandesrätin und Landeshauptmann Arno Kompatscher geprüft wird: Demnach sollen Einwanderer-Familien statt dem Landeskindergeld von 200 Euro künftig einen Voucher für Kinderbetreuung erhalten. Während die restlichen Familien im Land weiterhin frei entscheiden soll, wofür sie die öffentliche Unterstützung verwenden, sollen Migranten nach dem Motto „Fordern und Fördern“ mit dem Voucher auf die Integrationsschiene gebracht werden, so die Argumentation der beiden Landespolitiker. „Denn was habe ich als Land davon, wenn jemand dieses Geld anderweitig verwendet und die Kinder daheim vor den Fernseher setzt“, wird Landeshauptmann Kompatscher in den Dolomiten zitiert.
Während die Freiheitlichen der Landesregierung applaudieren – „endlich wird eine Freiheitliche Urforderung Realität, die wir zuletzt im Herbst 2014 mit einem Beschlussantrag im Landtag eingefordert haben“ – dominiert bei Organisationen, die im Bereich Integration arbeiten, Unverständnis. „Ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass so etwas rechtlich durchsetzbar ist“, reagiert etwa die Koordinatorin des Vereins Donne Nissà Leila Grasselli auf den Bericht. Sollte die Landesregierung tatsächlich eine solche Unterscheidung planen, sieht sie darin einen klaren Fall von Diskriminierung. Und: „Für Integration braucht es weit breiter greifende Konzepte als Familien in die Kleinkindbetreuung zu zwingen“, sagt sie auf Basis der langjährigen Erfahrung der Anlaufstelle für Migrantinnen. Dass viele Migrantinnen ihre Kinder auch ohne Zwang zu Sprachprojekten und außerfamiliärer Betreuung bringen, zeige auch die lange Warteliste des (fast kostenlosen) Betreuungsdienstes Mafalda, mit dem der Verein nicht nur Kinder, sondern auch Mütter begleitet. „Viele dieser Familien können sich Gebühren von mehreren hundert Euro im Monat aber klarerweise nicht leisten“, sagt Grasselli. Für die Koordinatorin liegt aber auf dem Tisch, dass Migrantenfamilien das selbe Recht wie alle anderen Familie haben müssten zu entscheiden, ob ihre Kleinkinder innerhalb oder außerhalb der Familie betreut werden.