Politik | Mehrsprachigkeit

Muttersprache oder Erstsprache?

Die Mehrsprachigkeit und das Südtiroler Bildungssystem sind derzeit Gegenstand politischer Debatten, in die sich auch die Grünen mit einem Beschlussantrag einbringen.
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Foto: Salto.bz
Im Rahmen der heutigen (11. April) Pressekonferenz hat die Grüne Fraktion unter anderem den Beschlussantrag zum Recht auf Mehrsprachigkeit im Bildungssystem vorgestellt. Mit dem sieben Punkte umfassenden Beschlussantrag möchten die Landtagsabgeordneten Brigitte Foppa, Riccardo Dello Sbarba und Hanspeter Staffler die Landesregierung dazu verpflichten, das Recht auf freie Schulwahl, das in der Verfassung verankert ist, auch für die Zukunft sicherzustellen. Der Grünen Fraktion zufolge bildet der Artikel 19 des Autonomiestatuts, in welchem das Recht auf muttersprachlichen Unterricht verankert ist, eine Säule der Autonomie. „Die sprachliche Welt der Gründer der Autonomie ist jedoch nicht mehr dieselbe wie die sprachliche Realität, in der wir heute leben“, so die Grünen, die offensichtlich eine nicht näher definierte Abänderung anstreben. Wie Grünen-Chefin Foppa erklärte, verweigerten sich immer noch viele Politiker der Realität, die da lautet: Weite Teile der Gesellschaft sind mehrsprachig und nicht mehr in die drei Sprachgruppen getrennt. Die Folge davon sei, dass zunehmend mehr Familien das Recht auf mehrsprachiges Lernen einforderten, welches durch die getrennten Schulsysteme erschwert würde. Gleichzeitig gebe es eine lange Tradition im Südtiroler Sprachgebrauch, die Mehrsprachigkeit abzuwerten, indem der negativ konnotierte Begriff „gemischtsprachig“ verwendet wird. Dahinter verberge sich die Angst, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, keine der verwendeten Sprachen richtig beherrschen. Foppa bedauerte in diesem Zusammenhang, dass bis dato noch nicht die Anzahl der mehrsprachigen Familien erfasst würde und die Jugendlichen spätestens mit 18 bei der Sprachgruppenzugehörigkeit erklären müssten, welchem Kulturkreis sie nun angehörten. „Ein Teil ihrer sprachlichen Identität wird damit verdrängt“, so Foppa, die darauf hinwies, dass darüber auch in soziologischer Hinsicht nachgedacht werden sollte.
 
 
 
Bedauerlicherweise kamen im Rahmen der Pressekonferenz keine Studien über Mehrsprachigkeit, mehrsprachiger Unterricht und Gesellschaften im Spannungsfeld von Mehrsprachigkeit zur Sprache, welche die Richtung weisen könnten, wie der Unterricht gestaltet werden sollte, damit das Erlernen der zweiten Sprache zum Erfolg führt. Allein eine Statistik aus der Kolipsi-Studie wurde genannt, wonach 54 Prozent der 17-Jährigen angaben, dass sie Angst und Scham empfinden, wenn sie die jeweils andere Sprache sprechen. „Eine Bankrott-Erklärung des einsprachigen Bildungssystems“, so das Fazit der Grünen-Sprecherin.
Ein weiterer Punkt, den die Grünen im Beschlussantrag aufgeführt haben, betrifft mehrsprachige Unterrichts-Projekte, die immer dann zugelassen, unterstützt und gefördert werden sollen, wenn eine Mindestanzahl an Eltern – der Vorschlag der Grünen lautet dabei 14 für den Kindergarten und 15 für die restlichen Schulstufen – ihre Kinder in eine entsprechende Abteilung einschreiben. Laut Beschlussantrag sollen Projekte mehrsprachigen Unterrichts dauerhaft wissenschaftlich begleitet werden sowie in der Ausbildung des Lehrpersonals und der pädagogischen Fachkräfte eine „Didaktik der Mehrsprachigkeit“ vorgesehen werden. Diese soll auch in die Fortbildungen aufgenommen werden. Auch die „Durchlässigkeit“ zwischen dem deutschen und italienischen Schulsystem soll verbessert und das Wechseln von der Rangliste des einen Systems in das jeweils andere durch die Zusammenarbeit der jeweiligen Schulämter erleichtert werden. Zu guter Letzt soll in der Landesgesetzgebung und den Beschlüssen der Landesregierung das Konzept der „Muttersprache“ durch das Konzept der „Erstsprache“ ersetzt werden. Das Konzept der „Muttersprache“ sei mittlerweile ein ebenfalls überholter bzw. ein emotional sehr aufgeladener Begriff, so Foppa, welche als Beispiel die Frage in den Raum warf: „Wer würde nicht seine Muttersprache verteidigen wollen?“ Sinnvoller sei es daher technische Fachbegriffe zu verwenden, die eine rationalere Herangehensweise ermöglichten.