Kultur | Philatelie

Friedensreich Hundertwasser: Zur Briefmarke

"Eine Briefmarke soll Zeugnis sein von Kultur, Schönheit und menschlichem Schöpfergeist. Sie ist das einzige Kunstwerk, das jeder besitzen kann". Worte aus dem Munde einer Persönlichkeit, die zu den international bedeutendsten Künstlern Österreichs gehört.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Foto: © Oswald Stimpfl

Bei einer Preisverleihung im Jahre 1983 in Köln drückte Hundertwasser diese bedeutenden Gedanken aus:

Ich habe Briefmarken sehr geliebt, lange bevor ich Maler wurde. Für mich war es ein großes Glück, diese kleinen, bunten Bilder zu sammeln, die von weit her kamen, und sie von den Briefen zu lösen. Die Briefmarken und ihre Schöpfer waren für mich die wahren Botschafter dieser Erde, die wahren Abgeordneten eines Weltparlaments.  Die kleinen Bilder kann man bei sich tragen, in kleinen Büchern. Sie sind wie Kultobjekte, wie Ikonen.  

Eine Briefmarke ist eine wichtige Sache. Obwohl sie im Format sehr klein ist,  trägt sie eine Botschaft.

Briefmarken sind der Maßstab der Kultur eines Landes. Das winzige rechteckige Stück Papier verbindet die Herzen von Sender und Empfänger. Sie ist eine Brücke zwischen Völkern und Ländern. Die Briefmarke kennt

keine Grenzen. Sie erreicht uns auch in Gefängnissen, Asylen und Krankenhäusern, wo auch immer wir auf der Erde sind. Die kleine Briefmarke wird zu einem großen Kunstwerk, das jedem zugänglich ist. Briefmarken müssen wieder kostbar werden, so wie kleine Stücke vom Paradies, hergestellt wie konzentrierte kristallene Schönheit in exquisiten Techniken.

Briefmarken sollten Botschafter von Kunst und Leben sein und nicht nur seelenlose Belege für bezahlte Gebühren. Die Briefmarke muss ihr Schicksal erleben. Die Briefmarke muss wieder ihren Zweck erfüllen, das heißt, sie muss auf Briefen dienen. Eine echte Briefmarke muss die Zunge des Absenders fühlen, wenn er den Leim befeuchtet. Die Briefmarke muss auf einen Brief geklebt werden. Die Briefmarke muss die dunkle Innenseite eines Briefkastens erleben. Die Briefmarke muss den Gummistempel der Post erdulden. Die Briefmarke muss die Hand des Briefträgers spüren, wenn er den Brief dem Empfänger aushändigt.

Interessant ist, dass ich als Maler auch ganz große Sachen wie die Architektur und ganz kleine Dinge wie Briefmarken realisieren durfte, wobei die Briefmarken zwar klein im Format, aber ganz groß in der Bedeutung sind. So ist es mir ein kleinwenig gelungen, diese Briefmarken größer, das heißt bedeutender und die Architektur kleiner, das heißt menschlicher zu gestalten. Bei der Schaffung von Briefmarken waren immer drei ebenbürtige Kräfte am Werk: der Maler, der Stecher und der Drucker. Man wird sich dessen erst voll bewusst, wenn man die Briefmarken mit dem Vergrößerungsglas betrachtet. Die Briefmarke ist das einzige Kunstwerk, das jeder besitzen kann, jung und alt, reich und arm, gesund oder krank, gebildet oder unwissend, frei oder seiner Freiheit beraubt, jeden erreicht dieses kostbare Stück Kunst als Geschenk von weit her.

Eine Briefmarke soll Zeugnis sein von Kultur, Schönheit und menschlichem Schöpfergeist. So hat ein Brief zwei Botschaften: Eine geschriebene und persönliche Botschaft und eine Botschaft aus einem fantastischen Reich, bestehend aus Schöpfertum, aus Ländern und Nationen und Träumen, die wahr werden. Der enthusiastische Elan des Menschen muss sich mit dem ehrenamtlichen Wirken der Natur vereinen, um Schönheit hervorzubringen. Nur dann wird das Resultat gerechter Friede auf Erden sein.

 

aus  DIE BRIEFMARKE, Monatszeitschrift für Post & Philatelie in Österreich, Verband Österreichischer  Philatelistenvereine  (VÖPh), Wien   -   Ausgabe 2-2008