Kunst | Dorf Tirol

Was kriegt der Bauer?

Plastik-Euter, übermalte Bildbände und ein Apfelmonument mit dunkler Energie: Elisabeth Frei kratzt auf Schloss Tirol am Lack der Südtiroler Landwirtschaft.
Elisabeth Frei Black Lady
Foto: Elisabeth Frei
  • Wurde der Besucher am Fuße des majestätischen Schloss-Bergfriedes gerade von einem foliertem Heuballen-Euter knapp verfehlt? Offenbar hat der schwarze Zopf, geflochten aus Hagelschutznetzen, dem Wetter nicht standgehalten. Was nach Naturlaune aussieht, ist de facto das Werk der Künstlerin Elisabeth Frei. Mit „Der Zopf ist ab“, der ersten Installation ihrer Ausstellung „Was kriegt der Bauer?“, im Bergfried von Schloss Tirol deutet die Künstlerin bereits die Kerninhalte ihres Werks an: ein ironischer Blick auf die landwirtschaftliche Industrie, skurrile kulturelle Schnappschüsse, gequälte Natur und einen Funken Hoffnung. Aspekte, mit denen sie den roten Faden bzw. das Hagelnetz spinnt, das sie von der ersten Installation durch die gesamte Ausstellung bis zum Herzstück der Galerie zieht: der „Black Lady“, einem überdimensionierten Hagelschutznetz-Apfel.

  • Der Zopf ist ab: Brechen die Bande zwischen Vieh- und Obstwirtschaft, zwischen Bauer und Umwelt oder auch Heimat? Foto: DO/Salto
  • Anlass für die Ausstellung ist das 500-jährige Jubiläum der Bauernkriege. „Was kriegt der Bauer?“, präsentiert sich hierzu auf 15 Bildern und zwei Installationen als anregende Kritik einer entfremdeten Bauernkultur, die eher mit Industrie als Natur verbunden zu sein scheint. Mit ihrer Ausstellung will Frei jedoch nicht die Bauern anklagen, sondern „die Politik und Wirtschaft, die die Landwirtschaft zu einer Industrie verkommen lassen“. Das kommt nicht von ungefähr, denn die Südtiroler Bauernlobby zählt 20.000 Mitglieder und stellt somit den mächtigsten Wirtschaftsverband im Land dar, so die freischaffende Journalistin Anita Rossi, im Vorwort des Ausstellungskatalogs. Dabei seien nur 8 % aller Bauernbund-Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. Nicht nur mit dem Speck-Mobil mit niederländischer Targa wird diese Botschaft treffsicher platziert.

     

    „Meine Vorstellungen wurden jedoch von den Risiken der jüngsten Wetterkapriolen durchkreuzt, aber kaum als ich mich darauf einließ, wurde ich positiv überrascht

     

    Von Beginn an macht Freis Ausstellung Spaß, da der Unwille der Künstlerin, sich auf die Grenzen von Bilderrahmen zu beschränken, so hervorragend zum Thema zu passen scheint – und damit sind nicht nur die Plastiken gemeint. Mit Werken, wie „Mag_er_Wiese“, das über zwei Bilder um die Ecke in den äußeren Panoramagang des Bergfriedes begleitet, oder „flächendeckend vernetzt“, welches sich aus drei Bildern zusammensetzt, erscheinen die breiten Auswirkungen der heimischen Landwirtschaft auf das Ökosystem und Landschaftsbild beinahe drei-dimensional. Gleichzeitig wird, an verschiedenen Ecken, die Beweglichkeit des Denkens der Künstlerin erkennbar.

  • Dazu erzählt die Künstlerin eine bezeichnende Anekdote: Der 30 Meter lange Plastik-Zopf der einführenden Installation sollte ursprünglich am Schlossturm entlang herunterlaufen und den Plastik-Euter mit dem Black-Lady-Apfel in der Turmspitze verbinden. ‚Rapunzel lass dein Haar herunter‘ sollte die Frage nach Heimat- und Naturverbundenheit, nach der Verbindung zwischen Obst- und Milchbauern versinnbildlichen sowie ihrer industriellen Entfremdung einführen. „Meine Vorstellungen wurden jedoch von den Risiken der jüngsten Wetterkapriolen durchkreuzt, aber kaum als ich mich darauf einließ, wurde ich positiv überrascht und so entstand der passendere Untertitel: ‚Der Zopf ist ab‘“, so Frei. Mit oder ohne diesen Kontext, über Plastikeuter, grauen Landschaften und riesigen Knödeln gelingt die Botschaft: Es lohnt sich, nicht in Natur einzugreifen, um sie zu verschönern, sondern zuzuhören und die Natur eingreifen zu lassen, um für sich zu sprechen.

    Dieser Gedanke setzt sich auch in den Materialien und Stilen fort, die in ihren Werken zur Anwendung kommen. Etwa wenn sie Papierarbeiten über Monate im Waldboden verrotten lässt, um sie auf ihren Bildern zu übermalen, oder wenn sie düstere Farben aus Schopftintling-Pilzen und Totholz gewinnt, und unter anderem in den Werken „Apfel-Paradies“ oder „Des Apfels Kern“ verarbeitet. Der Zerfall wird zum Ausdrucksträger, die Natur zur protestierenden Stimme.

  • Schwarz-grau, rostig, dunkel, aber nicht völlig pessimistisch, denn immer wieder blitzen in der verletzten Ödnis der Industrie-Landwirtschaft bunte Bauernschürzen, Riesenknödel, roter Speck, blaue und bunte Bauernschürze auf. Die stechenden Farben etwa in „Kraftfutter“, „Kanonenfutter“ und „Bauern_bunt" markieren meist den sturen traditionalistischen Bauern, der sich die Knödel unter den Nagel reißt, mit dem Speckmobil durch die Gegend reist oder unzufrieden auf einem Riesenapfel philosophiert. Von allem scheint sich die Lobby ein Stück zu holen, ohne Rücksicht auf Verluste. So kam Frei von Bauernkrieg auf „Was kriegt der Bauer?“, wenngleich das Wortspiel eher bemüht wirkt als pointiert.

  • Sehr pointiert hingegen ist der Effekt, den die Künstlerin gekonnt mit ihrer altbewährten Technik der Übermalung erzielt. Wie in ihren Werken „Lockdown-Variationen“ und „Nun sag, wie hast du's mit der Religion?“ finden sich in ihren Bildern – mal hervorstechender, mal beinahe versteckt – alte Bildbände und Fotografien, die Frei übermalt, erweitert und so entblößt. Die Künstlerin kommentiert: „Früher wurden Fotografien mit der Übermalung verschönert. Mir geht es nicht darum, etwas zu verschönern, sondern am Lack zu kratzen“. In mehreren Schichten werden so Geschichten weitererzählt, die oft nur auf den zweiten Blick erkenntlich werden. So ist in der „Veredelungsstelle“ der Gründungsakt des Bauernbundes von Albin Egger Lienz versteckt. Klar, gibt es eine dickere Veredelungsstelle als den Bauernbund?

     

    Die Natur erholt sich, aber der Mensch arbeitet hart daran, seine eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Am Südtiroler Bauerntum lässt sich das gut veranschaulichen.

     

    Das unübersehbare Zentrum der Ausstellung bildet „Black Lady“. Ein schwarzer Apfel mit 1,5 Metern Durchmesser, gefertigt aus gebrauchten Hagelschutznetzen, der im Zentrum des Bergfrieds wie dessen Adamsapfel von der Decke baumelt. Im spärlichen Licht der inneren Ausstellungskammer wirkt das Werk mystisch, beinahe unheimlich. Hier sammeln sich die Themen der Ausstellung: Kontrolle und Natur, Züchtung und Verdrängung, Ästhetik und Irritation. Sie präsentiert sich als faszinierendes und unglaublich aufwendig hergestelltes Monument, das aber irgendwie auch wie ein Störfaktor den Raum für sich beansprucht. Wie die Pink-Lady-Felder, die man vom Fenster aussieht. Bei beidem drängen sich Fragen auf: Was ist Frucht? Was ist Fassade? Und wie lange trägt der Stamm noch?

  • Black Lady: Gefertigt aus Hagelschutznetzen stellt Black Lady dieselbe Frage in den Raum, die sich im Angesicht der großflächigen Apfelplantagen stellt: Wie lange hält der Stamm noch? Foto: Elisabeth Frei
  • Immer wieder werden geschickt Klischees eingearbeitet, die man gleichsam mit Schmunzeln und besorgtem Blick wiedererkennt. „Was kriegt der Bauer?“, fühlt sich wie ein ehrliches, rundes Gesamtwerk jenseits jeglicher Romantik an. Zwischen den Bildern scheinen die großen Fenster des Bergfriedes ebenso zur Ausstellung zu gehören. Eine prächtige Aussicht, die im Kontext der Ausstellung jedoch neben der Schönheit des Burggrafenamtes einmal mehr die schlichte Frage aufwirft: Wie würden unsere Täler wohl ohne schwarze Hagelschutznetze und Monokulturen aussehen?

     

    „Meine Aufgabe sehe ich darin, Probleme sichtbar zu machen. Denn nur wenn man ein Problem erkennt, kann man anfangen, eine Lösung zu finden.“

     

    Für Frei ist klar: „Die Natur hat nicht das Problem, der Mensch hat das Problem. Die Natur erholt sich, aber der Mensch arbeitet hart daran, seine eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Am Südtiroler Bauerntum lässt sich das gut veranschaulichen.“ Man muss jedoch auch das Positive sehen, so die Künstlerin. Denn die neuen Generationen in der Landwirtschaft scheinen wieder zunehmend in die richtige Richtung zu lenken, indem sie versuchen Konzepte, wie Perma-Kulturen und Kreislaufwirtschaft umzusetzen. „Meine Aufgabe sehe ich darin, Probleme sichtbar zu machen. Denn nur wenn man ein Problem erkennt, kann man anfangen, eine Lösung zu finden.“

  • Am Wochenende folgen die Gedankensplitter der freischaffenden Journalistin Anita Rossi: „Wer ist der wahre Bauer im Land?“, zur Ausstellung von Elisabeth Frei auf SALTO veröffentlicht.