Die Zukunft der Kunst...
... liegt nicht in Europa, sondern in Afrika. Diese These hat schon der deutsche Künstler Christoph Schlingensief vertreten und sich daran bis zu seinem frühen Tod abgearbeitet. In seinem letzten Mammutprojekt setzte er sich dafür ein, im westafrikanischen Burkina Faso ein Operndorf aufzubauen, mit einer Schule, Bühnen, einer Neue-Medien-Abteilung usw., damit die Kinder und Jugendlichen vor Ort ihre eigenen Filme und Bilder machen können. Das Operndorf verfolgt die Vision, "Kunst wieder mitten im Leben anzusiedeln", und ein internationaler Begegnungsort quer durch die Kulturen zu sein, ein Ort der Kreativität und des Austausches auf deren Grundlage. Auch wollte Schlingensief unseren Blick auf Afrika ändern, die Stereotypen herausfordern, einen wirklichen postkolonialen Diskurs anstoßen.
Das war zumindest der große Plan. Ob heute noch genauso fieberhaft an seiner Umsetzung gearbeitet wird, kann hier nicht beurteilt werden; die Kulturszene munkelt, dass seit dem Tod des Initiators dort nicht mehr wahnsinnig viel passiert.
Auch der zukunftsorientierte Veranstaltungs-, Tanz- und Diskursort Kampnagel in Hamburg will einen postkolonialen Diskurs herausfordern: mit "WE DON'T CONTEMPORARY" hat er zum Auftakt der Herbstsaison ein vielschichtiges Programm zusammengestellt, das den Kolonialismus des westlichen Kunstbetriebes (dessen Selbstauffassung eines einzig möglichen Zeitgenössischen, und zwar einzig das eigene, und keinesfalls jenes aus Afrika z.B) entlarven will und lädt hierzu GastkuratorInnen ein, die afrikanische KünstlerInnen, ChoreografInnen und TänzerInnen präsentieren. Ziel: die endlich stattfindende Einläutung des postkolonialen Zeitalters. Nachahmen ausdrücklich empfohlen!
Hier sollten wir uns auch hüten, eine weitere koloniale Ausbeutung der Künste anderer Länder zu vermuten, sondern es einfach zulassen, dass hier globale Partnerschaften entstehen und auf gleicher Höhe über Kunst kommuniziert wird.
Aber vielleicht liegt das Problem ja hier: Europa fällt nichts mehr ein. Bzw. fällt Europa schon noch was ein, aber das ist abgrundtief ironisch. Der britische Street-Art-Künstler Bansky hat in Weston-super-Mare eine ganz andere Art von Park eröffnet, das "Dismaland" (dismal heißt trostlos). Das Motto des "Bemusement-Parks" lautet: "The UK's most disappointing new visitor attraction".
Mit 58 GastkünstlerInnen hat der Künstler ein Areal gestaltet, das direkt auf die heile Welt und die Happy-End-Kultur des US-amerikanischen Medienproduzenten Disney abzielt. Ein Park der Parodie und der Kritik und des schwarzen Humors als Reaktion auf dessen weltweite Kolonialisierungsmotoren.
Cut
9.9.2015, 19 Uhr, Bozen Museion
Die Passage ist rappelvoll, im Zentrum eine Gruppe von jungen Schwarzafrikanern. Nach dem Auftakt mit elektronischer Musik und diversen Eröffnungsansprachen ruft Eduard Demetz seine Gruppe zusammen und die Handys werden in Startposition gebracht. Alle spielen gleichzeitig Musik und alle reden immer lauter durcheinander. Das Klatschen im Rhythmus synchronisiert wieder, ein gemeinsamer Nenner ist gefunden. Einer beginnt zu singen, die anderen singen mit. Es wird getanzt und getrommelt, immer im Kreis, das Publikum steht außenrum und klatscht mit. Die Energie kommt in Wellen, sie wirkt fremd und ansteckend zugleich.
Transart programmiert "zeitgenössische Kultur", so der Programmhefttitel, und erlaubt sich dadurch ein breitgefasstes Bild, wie diese Kultur aussehen kann. Kultur ist schließlich ein viel breiterer Begriff als Kunst.
Mit diesem Auftakt hat das Festival eine gute und auch wichtige Entscheidung getroffen. Es hat einen - wenn auch nur kurzen - Begegnungsraum der in Bozen aufeinandertreffenden Kulturen geschaffen, und zwar auf der Basis von Musik. Die sonst draußen vor dem Museion mit ihren Handys hantierenden Afrikaner (freies WLAN!) sehen auch mal das Gebäude von innen, und werden positiv von den hier lebenden Menschen aufgenommen. Es gibt so etwas wie einen Moment der emotionalen Gemeinsamkeit - ob dieser die fehlende dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung oder das Vielbett-Schlafzimmer im Asylheim aufwiegt, bleibt offen.
"Refugees Welcome" und "Say it loud, say it clear, refugees are welcome here" sind in den letzten Tagen und Wochen zu europaweiten Statements geworden, die sich gegen den rechten Widerstand gegen Flüchtlinge und Einwanderer richtet. Viele Intellektuelle haben sich bereits geäußert, wie auch die österreichische Autorin Elfriede Jelinek, die zu Recht schreibt, wie der Einsatz der BürgerInnen sie zu Tränen rührt.
Nun ist es an der Politik, Arbeitswilligen auch die Möglichkeit dazu zu geben, und Aufenthaltssuchenden diesen nicht zusätzlich zu erschweren, sondern klare und nicht in den Mühlen der Bürokratie sich verheddernde Richtlinien zu schaffen.