Magdalena Walpoth
BAU im Gespräch mit der Künstlerin Magdalena Walpoth.
salto.bz Artstore: Beschreibe bitte den Arbeitsplatz wo dieses Kunstwerk entstanden ist.
Zwischen 2014 und 2019 habe ich, gemeinsam mit meinem kolumbianischen Partner und unserem nun fast 5-jährigen Sohn, meinen Lebensmittelpunkt von Berlin nach Bogotá verlegt. Dort hatte ich das Glück einen kleinen Raum, nicht weit von unserer Wohnung, als Atelier zu mieten. Der Raum war Teil eines Einfamilienhauses, das – von den Großeltern an die kulturaffine Enkelin vererbt – nun in seiner Gesamtheit von verschiedenen Künstler*innen, Kollektiven und Initiativen als Raum für kreatives und/ oder politisches Schaffen genutzt werden konnte. So wurde beispielsweise die Garage zu einer Keramikwerkstatt umfunktioniert, das Badezimmer zu einer Dunkelkammer und in einem der ehemaligen Schlafzimmer wurden aus einem schalldichten Raum regierungskritische Programme für das Nachbarschaftsradio produziert.
Mein Zimmer war das Kleinste, versteckt im hinteren Teil des 60er-Jahre Baus, mit eigenem Bad und direktem Zugang zu Waschkammer und Küche, el cuarto del servicio oder de la empleada, das Zimmer des Dienstmädchens. Ich hatte schon vorher Bekanntschaft mit dieser Art von Architektur, genauer gesagt mit dieser Art von Raum gemacht: Winzige Kammern, meist kaum groß genug, um das Nachtkästchen neben das Einzelbett zu stellen, geringer Einfall von Tageslicht, meist abgeschottet von den restlichen Wohnräumen, aber stets mit direktem Zugang zu Küche und Waschraum.
Aber dieses Zimmer war anders, zwar auch nicht viel größer, doch eine Seite hatte eine großzügige Fensterwand, durch welche man direkt in den kleinen Garten mit altem Zitronenbaum blicken konnte.
Erst später wurde mir klar, dass diese für mich charmante, transparente Lösung ursprünglich wohl eher der Kontrolle nach Innen als dem Blick nach Außen dienen sollte.
Wie würdest du den kreativen Prozess, der diesem Kunstwerk zugrunde liegt beschreiben? Beginnt alles mit einer Idee, die du im Kopf hast und die sich dann in Form einer Arbeit materialisiert oder entsteht der Inhalt beim Arbeiten?
Wohl beides. Ich denke, dass mich in diesem Fall tatsächlich auch der Raum, der mich beim Arbeiten umgibt, beeinflusst hat: ein kreativer Gedanke in meinem Kopf, ringsum das Dienstzimmer mitten in einem generationsübergreifenden Wohnhaus, umgeben vom kulturell spezifischen Kontext eines Stadtviertels, welches in einer geopolitischen Dimension eingeschriebenen Metropole liegt. Eine historisch geformte Nation in einem sich wandelnden Kontinent. Ich mitten drin und rundherum die Frage nach meiner Beziehung und meiner Positionalität zu all diesen Elementen. Entstanden ist eine Bewegung, welche ich anhand des Materials, welches ich für meine Arbeit verwende, aufzufangen suche. Ich mag die Dynamik und opake Transparenz des Aquarells auf Pergamentpapier. Es gibt mir den Anschein, als würde es sich unter dem Einfluss des feuchten Pinsels zu bewegen beginnen, zu atmen, zu organischen Material zu werden, mir zu antworten und Widerstand zu leisten. Die Prozesshaftigkeit steht also im Zusammenhang und direkter Reziprozität mit der inhaltlichen Entwicklung meiner Arbeit.
Die Aquarellzeichnung Mi vida (2019) ist Teil der Serie „The urgency of dancing as a way of resistance“ und spricht von der Bedeutung von Tanz für den menschlichen Körper als Individuum aber auch als Teil einer kollektiven, organischen Struktur, sprich der Gesellschaft. Seit 2014 hast du zwei Lebensmittelpunkte, Berlin und Bogotà. Ist die Serie auch ein Versuch, zwischen kulturellen und geopolitischen Kontexten von Europa und Südamerika zu vermitteln, bzw. Distanzen zu überwinden?
Ich interessiere mich schon seit mehreren Jahren für die Bedeutung von Bewegung und Tanz für Körper und Gesellschaft, als eine Form der Sozialisierung, als nonverbale Kommunikation, als Kunstform, als rituelle Praxis. Kann man auf Tanzflächen blicken, um zu verstehen, was die Individuen und Menschenmengen dort ausdrücken wollen oder warum sie sich bewegen? Wie spiegelt der Tanz der Menschen in den verschiedensten Kontexten das sozio-politische Umfeld und die Kämpfe von Einzelpersonen und Gruppen wider?
Beeinflusst von der Clubszene und den legalen und illegalen Raves in Berlin, später in Kolumbien u. A. von den afrokolumbischen Rhythmen der Diaspora und deren rituellen Praktiken des Widerstands, habe ich versucht den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen und zu erforschen, um Antworten auf diese Fragen zu erhalten. Diesen haben ich meiner Meinung nach im archaischen Bedürfnis der Ekstase ausfindig machen können, in der mystischen Erfahrung eines veränderten Bewusstseinszustandes, der in der Lage ist, kollektive und individuelle Heilung und ein partizipatorisches Gemeinschafsgefühl zu bewirken. Im europäischen Kontext beispielsweise findet man dies bereits in den dionysischen Zeremonien bzw. den Bacchanalien, welche schon damals eine Befreiung bedeuteten: sowohl von geschlechtsspezifischen, heteronormativen Rollenbildern und Zuweisungen, als auch von soziokultureller Stigmatisierung. Dieser gemeinsame Nenner folglich soll es ermöglichen Brücken zu bauen und somit eben diese Distanzen zu relativieren und zu überwinden, welche ihr in eurer Frage ansprecht und die ansonsten viel zu leicht zu Ausgrenzung, Diskriminierung oder Exotisierung führen könnten.
MAGDALENA WALPOTH
Mi vida
Aquarell auf Pergamentpapier
34 x 24 cm
Holzrahmen
2019
600 €
(exkl. Steuern und Transport)
Magdalena Walpoth studierte Malerei und Fotografie an der Kunstakademie in Bologna und Athen und später Kultur- und Sozialanthropologie an der Freien Universität in Berlin und der Universidad Nacional de Colombia in Bogotá. Derzeit besucht sie den Masterstudiengang „Kulturen des Kuratorischen“ an der HGB Leipzig. Seit 2015 ist sie verantwortlich für den visuellen Part des Kultur- und Gesellschaftsmagazin 39NULL und in verschiedenen Projekten auf dem Gebiet der Kunst und Kultur tätig. Aktuell arbeitet Magdalena in Berlin an der Seite des kubanischen Kurators Osvaldo Sanchez für die Spore Initiative.
Ihr besonderes Interesse gilt der sozio-politischen Perspektive, in welcher sich ihre Praxis einschreibt und der Hinterfragung von konventionellen, hegemonialen Mechanismen, sowie der Erkundung von kollektiven Strategien mit welchen Widerstand und Selbstermächtigung vor allem aus einer kulturellen Position heraus unterstützt werden kann.