Umwelt | Zukunftpakt

Nachhaltigkeit soll kein Luxus sein

Bio-Supermarkt, Fairtrade-Klamotten und E-Auto: Das alles kostet. Deshalb findet Olivia Kieser, dass Nachhaltigkeit auch sozial gedacht werden muss.
Olivia Kieser
Foto: Zukunftspakt

Im Leben von Olivia Kieser hat vieles mit Nachhaltigkeit zu tun. Ob Freizeit oder Arbeit, sie steckt gerne und viel Zeit in die Bewältigung der Klimakrise. Die Klimaaktivistin arbeitet bei der Initiative „Green Mobility“ des Ressorts für Mobilität der Provinz Bozen mit, studierte an einer britischen Universität das Masterprogramm „Environment, Politics, Development” und engagiert sich immer wieder ehrenamtlich für Solidarität, Umwelt- und Klimaschutz.

Vielleicht weiß sie auch deshalb, dass Nachhaltigkeit mehr ist als ein grün angehauchter Lebensstil von Besser-Verdienenden. Die Initiative Zukunftspakt Südtirol ist ihr daher ein Herzensanliegen. 

 

Olivia, wieso unterstützt du den Zukunftspakt?

Weil es genau solche Initiativen braucht. Initiativen, in denen Bürgerinnen und Bürger den Moment der Krise (in diesem Fall Corona) nutzen, um Transformation einzufordern. Wir können die Verantwortung nicht nur auf die Politik abschieben, denn die Politik ist überfordert. Aus diesem Grund begeistert mich das breite und inklusive Netzwerk des Zukunftspaktes und ich teile seine Ziele und Werte. Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, habe ich sofort unterschrieben und dieses Jahr auch im Zusammenhang mit dem Recovery Fund mit seinen Mitgliedern kooperiert.

Wir leben in hoch komplexen Zeiten und endlich ist es in der Mitte der Gesellschaft angekommen, dass wir ein Wirtschaftssystem und damit verbunden einen Lebenswandel vorantreiben, der die planetarischen Grenzen sprengt. Seit ca. 300.000 Jahren leben wir, der homo sapiens, auf diesem Planeten. 300.000 Jahre! Es ist also nicht der Mensch das Problem, sondern die Art, wie wir seit der jüngsten Geschichte leben und wirtschaften. Die Pandemiebekämpfung wäre der ideale Zeitpunkt (gewesen), eine sozial-ökologische Transformation anzugehen. Im Internet sah ich, dass eine Gruppe von Leuten diesen Spruch vor dem Südtiroler Landtag aufgehängt hatte: “We don’t want to go back to normality, because normality was the problem”. Auch im Hinblick auf den Recovery Fund haben wir hier wohl Chancen verpasst. Aus dem Grund braucht es das Korrektiv der Zivilgesellschaft, damit diese der Politik unter die Arme greifen kann.

 

Nachhaltigkeit ist für mich das Gegenteil von Ausbeutung.

 

Nachhaltig ist ein so häufig verwendeter Begriff. Konkret: Wie setzt du in deinem Alltag und bei deiner Arbeit Nachhaltigkeit um?

Nachhaltigkeit ist für mich das Gegenteil von Ausbeutung. Also vom Nehmen ohne Rücksicht auf die Fähigkeit, sich trotz des Nehmens in Takt zu halten. Sehr lange habe ich Nachhaltigkeit immer nur in Bezug auf andere gedacht, vor allem in Bezug auf die Umwelt, die uns umgibt. Mittlerweile habe ich mehr und mehr verstanden, dass der Mensch, also ich und die Natur, eine Einheit sind und dass sehr ähnliche Mechanismen zu tragen kommen, von einer Metaebene betrachtet. Insofern probiere ich mittlerweile, mit mir selbst „nachhaltig umzugehen” und mich in meinem Engagement zu stoppen, bevor es mir an die Substanz geht. Das konnte ich lange nicht.  Erstmalig so richtig gespürt, was das heißt, wenn man mit sich nicht „nachhaltig“ umgeht, habe ich nach dem COP15. Der Kongress war ein klimapolitisches Fiasko und der erste Klimagipfel, bei dem ich als Klimaaktivistin vor Ort war. Dieses Jahr habe ich zum Beispiel „nur“ vier Initiativen mitgetragen: die Gedenkfeier für Agitu Gudeta in Bozen, denn soziale Themen bewegen mich ebenso wie Umweltthemen, ein Netzwerktreffen zum Thema Cohousing, die #RecoveryFundFor Flashmobs, den Wahlkampf der Grünen in Meran und einige Fahrradaktionen. Außer einem Vollzeitjob und meinem wundervoll eigensinnigen Hund, so ungefähr das, was ich derzeit gut stemmen kann. Durch meine Arbeit bei der „Green Mobility“ habe ich das große Glück, dass Nachhaltigkeit, in unserem Fall nachhaltiger Verkehr, im Zentrum meiner beruflichen Tätigkeit steht. Ich bin ein großer Fahrradfan und davon überzeugt, dass das Fahrrad einen Großteil der innerurbanen Verkehrsprobleme lösen könnte. Was mein persönliches Leben betrifft, lebe ich seit 2007 vegetarisch und habe kein Auto mehr. Ich habe den Versuch gestartet, Gemüse über den interkulturellen Caritas Garten, bei dem ich seit heuer Mitglied bin, selbst anzubauen, aber ich verstehe jetzt, warum so viele Leute in dem Schrebergarten Rentnerinnen und Rentner sind. 

Wieso findest du es wichtig, dass sich beim Thema Nachhaltigkeit alle Menschen beteiligen können?

Ich sehe ein Risiko darin, dass falsch gesetzte Umweltpolitiken soziale Probleme befeuern und verstärken können. Insbesondere wenn wir uns in eine Richtung hinbewegen, in der die „Biokrise” im Zentrum der Wachstumsstrategie liegen wird. In meinem Masterstudium „Environment, Politics, Development” haben wir etliche Beispiele analysiert, in welchen Umweltschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern auf Kosten der Bevölkerung gingen. Die Vertreibungen und Enteignungen für die Produktion von Biodiesel sind wohl das eklatanteste Beispiel. Es wird also die Herausforderung unserer Zeit, dass sich alle Menschen am Thema Nachhaltigkeit beteiligen können und ein nachhaltiger Lebensstil nicht zum Luxusgut wird.