Wirtschaft | Visionen

Vom Mut zu schrumpfen

Wie gehen wir damit um, wenn es rückwärts statt vorwärts geht? Die Eurac stößt eine interessante Diskussion über Schrumpfung an.
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Foto: eurac

Krisen, grassierende Unsicherheit, Ohnmachtsgefühle: Das ist der Sound des 21. Jahrhunderts, das ist vor allem die Reaktion auf die Einsicht, dass definitiv Schluss ist mit „schneller, größer und besser“. Immer noch nicht für alle, aber doch für immer mehr. Das gilt in Teilen selbst für eine mit Überfluss gesegnete Region wie Südtirol, wo man in den vergangenen Jahren erstmals seit langem erleben musste, nicht ganz resistent gegen viele der Negativentwicklungen zu sein, die Europa und die Welt erschüttern. Doch wie geht man mit der Einsicht um, dass es rückwärts statt vorwärts geht, was kann man der Unsicherheit und der drohenden Brüchigkeit unserer Lebensräume entgegensetzen? Diesen spannenden Fragen widmet sich das Institut für Regionalentwicklung an der Eurac.  „Rückbau & Resilienz - Von Wunsch und Wirklichkeit schrumpfender Orte & Regionen“ lautete der Titel einer Tagung, auf der am Donnerstag anhand von Erfahrungsberichten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz darüber diskutiert wurde, welche neuen Chancen der Gegentrend zum Wachstum der vergangenen Jahrzehnte birgt.

Das Modewort Resilienz weist dabei einen Weg jenseits des Scheiterns. Als Fähigkeit einer Gesellschaft, Rückschläge zu verarbeiten, Schrumpfung zu akzeptieren und Scheitern als Grundlage für Innovation anzuerkennen, definiert es Institutsvorstand Harald Pechlaner in diesem Zusammenhang.  „Bestehendes mehr als in der Vergangenheit in Frage zu stellen, Bewährtes weiterzuentwickeln und Neues zuzulassen“ – ein Rezept für Zukunftsfähigkeit, das auch Südtirol dringend nötig hätte, waren sich nach den Fachvorträgen in einer Podiumsdiskussion auch heimische VertreterInnen aus Raumplanung, Tourismus und Gemeindepolitik einig. Allerdings: Zu schwimmen beginnt man in Südtirol erst, wenn das Wasser bis zum Hals steht – und bislang ist das noch nicht der Fall, münzte Virna Bussadori, Direktorin des Amtes für Landesplanung, ein italienisches Sprichwort auf die politische Praxis im Land um. „In Südtirol plant man nicht, man reagiert auf Probleme – und das mit Lösungen für jeden Einzelfall“, so ihr schonungsloses Urteil. „Planung heißt, Zukunft zu gestalten statt sich von ihr einholen zu lassen und zu reagieren“, so Bussadori. Doch was nach den „klaren Visionen“ der Siebziger Jahre in der Raumplanung bis heute verabsäumt würde, gelte auch für andere Bereiche wie demografischer Wandel, Klimawandel und Einwanderung – und erst recht für ein Thema wie Schrumpfung, das in Südtirol noch keineswegs so spürbar sei wie in manch anderen Teilen des Alpenraums. „Doch wir sollten nicht abwarten bis es ein Thema wird, um Lösungen zu finden“, warnte die Amtsdirektorin. 

Kollektive Depression

Vor allem weil es durchaus Orte und Talschaften im Land gibt, die schon heute mit den Folgen von Trends wie Abwanderung fertig werden müssen, räumte auch Gemeindeverbandspräsident Andreas Schatzer ein. Mehr als zehn Prozent der Südtiroler Gemeinden haben im vergangenen Jahrzehnt rückgängige Einwohnerzahlen verzeichnet. Und neben blühenden Tourismushochburgen oder florierenden Handwerks-, Handels-, oder Industriestandorten sind eben auch die sogenannten strukturschwachen Gebiete Teil der Südtiroler Realität. Was das für eine Gemeinde bedeutet, beschrieb der frisch zurückgetretene Bürgermeister der Gemeinde Unsere Liebe Frau im Walde-St. Felix Patrik Ausserer. Als „kollektive Depression“ bezeichnete er ein Grundgefühl am Deutschnonsberg, das oft weniger mit realen Fakten, als mit den Zuschreibungen der strukturschwachen Peripherie zu tun habe. „Der Begriff ;strukturschwach’ ist in den Köpfen der Menschen fest verankert und lähmt auch den Unternehmergeist“, meint der Ex-Bürgermeister. Versuchte man den Folgen in der Vergangenheit vor allem mit Investitionen in Infrastrukturen zu begegnen, gilt es laut ihm heute viel mehr in die sogenannte Software zu investieren – ob Stärkung des Zusammenhalts der Bevölkerung, Lebensqualität, öffentliche Mobilität und Anbindung an Zentren.

 

Eine Argumentation, der auch der Gemeindenverbandspräsident folgte. War das Ziel der vergangenen Jahrzehnte, jede Fraktion mit Schulen, Kindergärten, Vereinshäusern und Feuerwehrhallen zu versorgen und jeden Hof mit einer Straße zu erschließen, muss nun die Energie laut Andreas Schatzer vor allem dahin gehen, diese Infrastrukturen auch weiterhin zu füllen bzw. zu nutzen. Sprich: Gerade in abwanderungsgefährdeten Fraktionen brauche es neue Ideen und Impulse, um in Zukunft nicht mit leerstehenden Schulen und Feuerwehrhallten konfrontiert zu sein. Als Leitfaden für die Suche nach solch neuen Rezepten gab Amtsdirektorin Bussadori in der Diskussion das Motto „auf die eigenen Stärken besinnen vor“. So wie die Tourismusdestination Südtirol verloren wäre, wenn sie das gleiche wie alle anderen bietet, motivierte sich auch innerhalb des Landes zu mehr Differenzierung und Aktivierung lokaler Potentiale. Nicht jedes Tal sei für Massentourismus geeignet, jedes Tal sollte sich aber auf das besinnen, was es besonders gut kann, wünschte sich Bussadori.

„In Südtirol plant man nicht, man reagiert auf Probleme – und das mit Lösungen für jeden Einzelfall."

Wie schwierig und auch schmerzhaft es sein könnte, den Wachstumspfad der vergangenen Jahrzehnte zu verlassen, verdeutlichte nicht zuletzt der Präsident des Verbandes der Seilbahnunternehmer Helmut Sartori. Auch wenn in Südtirol derzeit noch keine ganzen Skigebiete vor dem Rückbau stehen wie beispielsweise in Deutschland, sind vor allem kleinere Liftgesellschaften mit großen Problemen konfrontiert, räumte er ein. Der einzige Weg zu überleben sei heute vielfach die Fusion und das Schaffen neuer Verbindungen. Wo das nicht möglich sei, sieht die Zukunft schwarz aus, deutete er an. Und etwaige Schließungen hätten wiederum große Auswirkungen auf die Gebiete selbst, verdeutlichte Sartori anhand des Themas Beschäftigung.  2000 Menschen würden allein bei Südtirols Liftgesellschaften Arbeit finden. Zwei Drittel davon seien Saisonangestellte, davon ein großer Teil Nebenerwerbsbauern. Es sein nicht schwierig weiterzuspinnen, wie es um die Abwanderung in bestimmten Gebieten bestellt wäre, wenn in Folge von Skigebietsschließungen auch Gastronomie und Hotellerie wegfielen, meinte Sartori. Der Tourismus ist und bleibt der stärkste Motor für Südtirols Beschäftigung, meinte auch Hotelier Heini Dorfer. Dennoch müsse auch politisch zur Kenntnis genommen werden, dass  bestimmte Tourismusbetriebe für immer ihre Tore schließen müssten. Da eine Umwandlung in Wohnungen im landwirtschafltichem Grün jedoch weiterhin nicht möglich sei werde es immer mehr Leerstände im ganzen Land geben, warnte der Paradehotelier. Vielleicht wird dann aber auch immer offensichtlicher, dass es Zeit zu schwimmen ist.