Gesellschaft | Aus dem Blog von Karl Gudauner

Freie Aufteilung der Elternzeit im ersten Lebensjahr des Kindes

Kinderbetreuung ist nicht nur Frauensache. Die britische Regierung gewährt deshalb ab 2015 berufstätigen Müttern und Vätern gleiche Rechte für die Beanspruchung der Elternzeit im ersten Lebensjahr des Kindes. Sie erhalten die Möglichkeit, im ersten Lebensjahr des Kindes untereinander die Betreuungsaufgaben ohne Beeinträchtigung der beruflichen Position aufzuteilen.
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Ab April 2015 können Mütter und Väter in Großbritannien gemeinsam darüber entscheiden, wie sie während des ersten Lebensjahres des Kindes die Betreuungsaufgaben untereinander aufteilen. Dank der neuen Gesetzesvorlage „shared parental leave and pay“ sollen Frauen vor dem Dilemma bewahrt werden, sich zwischen einer erfolgreichen Kariere und der Mutterschaft entscheiden zu müssen. „Ihre Arbeitgeber sollten sie dabei unterstützen und ihnen nicht das Gefühl einer geringeren Beschäftigungsfähigkeit geben oder unter Druck setzen, wenig attraktive Jobs anzunehmen.“ Mit diesen Worten charakterisierte der stellvertretende Ministerpräsident Nick Clegg die innovative Maßnahme zur Verbesserung der work-life-balance bei ihrer Vorstellung Ende November.

Drei Ziele stehen im Mittelpunkt der im Koalitionsprogramm von Konservativen und Liberaldemokraten verankerten Regierungsinitiative:
• Die Unternehmen sollen dazu veranlasst werden, aktiv im Einvernehmen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Vereinbarungen zur Wahrnehmung der neuen Elternzeit auszuarbeiten.
• Die Rechtsstellung der Frauen soll verbessert und der Druck, dem Mütter auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sind, durch die Anerkennung der gemeinsamen Elternrolle abgeschwächt werden.
• Den Männern, die bisher kaum Betreuungsaufgaben im ersten Lebensjahr des Kindes wahrnehmen und auch in der Arbeitswelt oftmals auf ihre Rolle im Produktions- und Dienstleistungsbetrieb festgenagelt werden, wird ganz offiziell ein Recht auf Wahrnehmung ihrer Elternrolle zugesprochen, um sie dazu zu ermuntern, die Vaterrolle bereits in den ersten Lebensmonaten des Kindes auszuüben.

Mütter und Väter, die zumindest ein halbes Jahr bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sind, können sich dafür entscheiden, zeitweise gemeinsam die Betreuungsaufgaben zu erfüllen oder wechselweise von der Arbeit fernzubleiben. Ihre Wahl müssen sie dem Arbeitgeber zumindest acht Wochen vorher mitteilen, sodass dieser den Einsatz der Arbeitskräfte entsprechend einplanen kann. Innerhalb von 14 Tagen sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer/in dazu angehalten, eine Lösung für die angestrebte Arbeitsfreistellung zu finden. Für einvernehmliche Lösungen gibt es kein Limit, ansonsten ist der Arbeitgeber verpflichtet, sich mit maximal drei Anträgen auseinanderzusetzen.

Konsultationsverfahren als Basis der Gesetzesvorlage

Die Ankündigung des neuen Gesetzentwurfs zur Familienpolitik beruht auf dem Konsultationsverfahren zu den modernen Arbeitsplätzen, das im Jahr 2012 von der Regierung durchgeführt worden ist: Als Ergebnis ist damals vereinbart worden, die Handhabung der Elternzeit für berufstätige Frauen und Männer zu vereinheitlichen. 2013 sind in einem weiteren Konsultationsprozess Vorschläge und Stellungnahmen zur Umsetzung dieses Ziels gesammelt worden. Um die Unternehmen gegenüber der derzeitigen gesetzlichen Regelung zu entlasten, wird nun der ACAS (Advisory, Conciliation and Arbitration Service) als seit 1975 bestehende unabhängige Beratungs- und Schlichtungsstruktur Richtlinien für die praktische Umsetzung der Neuerung in den Unternehmen und einen Ratgeber mit good practices ausarbeiten.

Wer die Elternzeit oder andere entsprechende Arbeitsfreistellungen mit einer Gesamtdauer von bis zu 26 Wochen in Anspruch nimmt, hat das Recht auf denselben Arbeitsplatz zurückzukehren. Im Falle einer zusätzlichen Auszeit besteht das Recht, auf denselben oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz zurückzukehren.

Kontaktpflege mit dem Arbeitsplatz während der Auszeit

Als sehr pragmatische Hilfestellung zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit sind die in Großbritannien üblichen „keep-in-touch“-Tage anzusehen. Mütter und Väter verfügen über im Rahmen der neuen Elternzeit über jeweils 20 Tage, an denen sie in Teilzeit an den Arbeitsplatz zurückkehren können, um sich arbeitsorganisatorisch auf dem Laufenden zu halten und mit arbeitsspezifischen Neuerungen vertraut zu machen.

Es ist nur auf den ersten Blick überraschend, dass in Sachen Gleichstellung von berufstätigen Müttern und Vätern ein Land die Vorreiterrolle übernimmt, das sich an neoliberalen Gesellschaftsmodellen orientiert. Vermutlich hat der damit verbundene Pragmatismus in der Beurteilung der Herausforderungen des Arbeitsalltags den Ausschlag dafür gegeben, einen solchen Schritt zu setzen. In einer Zeit anhaltender Arbeitslosigkeit kommt diesem auch als beschäftigungspolitische Maßnahme eine Bedeutung insofern zu, als die Verbesserung der Bedingungen für die Vereinbarung von Familie und Beruf gerade für weniger Qualifizierte einen Beitrag zur Sicherung des Familieneinkommens leisten kann: Gegenüber den mit dem Risiko der Obsoleszens behafteten Qualifikationsniveaus männlicher Fachkräfte weisen Frauen eine größere Flexibilität dabei auf, in Dienstleistungsbereichen mit steigendem Arbeitsangebot Fuß zu fassen. So wie Männer erst dafür gewonnen werden müssen, sich eine Arbeitsauszeit zur Kinderbetreuung zu nehmen, müssen sie dazu gebracht werden, die Beschäftigungschancen im Bereich der Ausbildung, Erziehung und der persönlichen Dienstleistungen für sich zu entdecken.

Umsetzung als experimenteller Prozess

Wie vielfach gilt in Sachen Gleichstellungspolitik auch bei dieser Maßnahme, dass die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen noch nicht deren umfassende Anwendung in den Unternehmen garantiert. In größeren Unternehmen ist das in erster Linie eine Planungsfrage. Für kleinere und Kleinstunternehmen wird es zu einer arbeitsorganisatorischen Herausforderung, den Ausfall von Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen infolge der Elternzeit zu kompensieren. Auf regionaler Ebene hängen Lösungen auch von der Verfügbarkeit entsprechend qualifizierter Fachkräfte und von deren Mobilitätsbereitschaft ab. Deshalb können wohl erst aus der konkreten Anwendungserfahrung und entsprechenden Pilotprojekten nachahmenswerte Beispiele abgeleitet werden. Die innerbetriebliche Umsetzungsmöglichkeit entsprechender individueller Vereinbarungen beruht auf der gemeinsamen Abwägung familiärer und betrieblicher Erfordernisse durch das Unternehmen und den/die Mitarbeiter/in. Unternehmen, die imstande sind, auf die familiären Erfordernisse der Mitarbeiter/innen einzugehen, können, wie zahlreiche Studien zur Vereinbarkeit gezeigt haben, eine höhere Produktivität erzielen, weisen geringere Fehlzeiten auf und eine höhere Verbundenheit der Belegschaft mit dem Unternehmen. Familienpolitische Rücksichten in die Personalplanung zu integrieren, bringt somit durchaus auch ökonomische Vorteile. Grundlage hierfür ist jedoch zuallererst eine entsprechende familienfreundliche Betriebskultur. Diese repräsentiert nur eine Facette der sozialen und ethischen Verantwortung der Unternehmen.

Fazit

Mit der erfolgten Weichenstellung ist seitens der britischen Regierung die Erwartung verbunden, dass es für die Unternehmen zum Normalfall wird, organisatorische Settings für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit familiären Verpflichtungen auszuarbeiten. Es ist eine Botschaft, die gerade in diesen Krisenzeiten wichtig ist, wo die Tendenz besteht, soziale Aspekte im betrieblichen und öffentlichen Handeln auszublenden oder zusammenzustreichen. Für die Frauen ist das Signal wertvoll, dass sie aufgrund der Mutterschaft keine Nachteile in ihrer beruflichen Laufbahn erfahren dürfen und auf eine stärkere familiäre Mitverantwortung ihrer Partner zählen können. Den Männern wird eine neue Dimension der Vaterschaft eröffnet: sie dazu zu bringen, diese Möglichkeiten zu beanspruchen, stellt auch keinen geringen Kultursprung dar.