Vergütung und Personal „verlagert“
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SALTO: Herr Messner, Hausärztinnen und Hausärzte äußerten die Sorge, dass ein relevanter Teil ihrer Tätigkeiten zukünftig in die Gemeinschaftshäuser verlagert werden soll. Diese Zusatzleistungen machen einen bedeutenden Teil ihres Gehalts aus. Bedeutet diese Umstellung also eine indirekte Gehaltskürzung für Hausärztinnen und Hausärzte?
Hubert Messner: Ich kann bestätigen, dass es einen Vorschlag gibt, der vorsieht, den derzeitigen Dienst der sogenannten ‚Betreuungskontinuität‘, also den allgemeinmedizinischen Dienst in den Nachtstunden, an Feiertagen und am Wochenende, sprich: außerhalb der 'normalen' Ordinationszeiten der Hausarztpraxen, über die neuen Gemeinschaftshäuser abzudecken. Bisher war die Regelung so: Allgemeinmediziner (Hausärztinnen und Hausärzte) sind nachts, an Feiertagen und am Wochenende dazu verpflichtet, für ihre Patienten telefonisch erreichbar zu sein oder sich mit den Kolleginnen und Kollegen im Einzugsgebiet so zu organisieren, dass eine Ärztin oder ein Arzt diese telefonische Rufbereitschaft abwechselnd übernimmt. Für diesen Dienst erhalten die Allgemeinmediziner eine Pauschalvergütung.
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Die Krux mit den Gemeinschaftshäusern
Mit dem Ministerialdekret 77/2022 schreibt Rom allen Regionen den Umbau der territorialen Versorgung vor. Ein grundlegender Aspekt dieses Dekrets sind die sogenannten Gemeinschaftshäuser. Die von der Landesregierung geplante Umsetzung des Konzepts in den geplanten zwölf Gemeinschaftshäusern in Südtirol sorgt seit Monaten für Debatten. Während viele Ärztinnen und Ärzte vor Einkommenseinbußen, zusätzlicher Belastung und einem Verlust an Patientennähe warnen, sieht Gesundheitslandesrat Hubert Messner in den neuen Strukturen einen zentralen Baustein für eine entlastendere, strukturiertere und zugänglichere Grundversorgung.
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Die Zahlen, die uns auf der anderen Seite insbesondere von den Zugängen zu den Notaufnahmen im Land vorliegen, zeigen uns jedoch, dass dieses System nur bedingt zu funktionieren scheint – und das nicht nur gebietsbezogen, sondern auf dem ganzen Landesgebiet mehr oder weniger gleich: Viele Patientinnen und Patienten wissen gar nicht, dass sie ihren Hausarzt außerhalb der regulären Zeiten kontaktieren können – oder möchten ihn nicht stören und fahren direkt in die Notaufnahme. Die Daten sprechen für sich: Wir haben in Südtirol – gemessen an der Wohnbevölkerung – den höchsten Anteil Italiens an unangemessenen Notaufnahmebesuchen, also von Fällen, die der Hausarzt hätte lösen können. Das führt zu überfüllten Notaufnahmen und langen Wartezeiten, ein Problem, das wir dringend angehen wollen.
Soll diese Reform also bewusst einen Anreiz dafür schaffen, dass Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner zusätzlich zu ihren Praxistätigkeiten Dienste in den Gemeinschaftshäusern übernehmen?
Eine Idee ist es, die sogenannte Betreuungskontinuität zwar nicht als solche abzuschaffen, aber sie mit einem wirksameren Betreuungsangebot durch die Gemeinschaftshäuser gewissermaßen zu verlagern: Nämlich indem ein Allgemeinmediziner nachts und an Sonn- und Feiertagen dort aktiv Dienst tut und für die Patienten aus dem Einzugsgebiet da ist. In den größeren Häusern sehen wir sogar die Möglichkeit vor, dass ein zweites Ärzte- und Pflegerteam bei Bedarf sogar Hausbesuche übernimmt. Ergänzt wird das Ganze mit der neuen europäischen Gesundheitshotline 116 – 117, die als einheitlicher Zugangspunkt für die Bürgerinnen und Bürger gedacht ist und an die sie sich rund um die Uhr für Auskünfte zu allen möglichen Fragen im Zusammenhang mit Gesundheit wenden können. Sowohl für einfache Auskünfte als auch für medizinische Fragen.
Welche Auswirkungen hat dies auf den Verdienst von Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern?
Für die Vergütung der Hausärzte dürfte sich somit ebenfalls eine Art ‚Verlagerung‘ ergeben, wobei ich vorausschicke, dass dieses Thema Gegenstand der derzeit laufenden Vertragsverhandlungen zum neuen Landeszusatzvertrag mit den Allgemeinmedizinern ist und wir somit nichts vorwegnehmen möchten oder können. Es wäre in der Theorie jedoch denkbar, dass jene Allgemeinmediziner, welche durch den Wegfall der Betreuungskontinuität Gehaltseinbußen befürchten, künftig die Möglichkeit haben, Dienste im Gemeinschaftshaus zu übernehmen, um das eigene Gehalt gezielt aufzubessern. Wie viel für die Dienste im Gemeinschaftshaus bezahlt werden soll, müssen wir auf dem Verhandlungstisch noch vereinbaren. Hier gibt es sicher einigen Spielraum, um die Dienste möglichst attraktiv zu machen. In Summe würde dies also auf den Punkt gebracht bedeuten: kein Gehaltsverlust, sondern eine Umstellung auf planbare Dienste. Es geht insgesamt um mehr Planbarkeit und Wahlfreiheit.
Ebenso besteht die Sorge, dass Ärztinnen und Ärzte aus den Krankenhäusern abgezogen werden könnten, um die Gemeinschaftshäuser zu besetzen. Stimmt das?
Kerninhalt der neuen Gemeinschaftshäuser ist die Betreuung chronisch kranker Menschen, besonders auch im fachärztlichen Bereich. Die Idee dahinter ist, Menschen mit chronischen Erkrankungen künftig den oft mühsamen Gang ins Krankenhaus zu ersparen und die fachärztlichen Visiten – ob periodisch oder Kontrollvisiten – in den Gemeinschaftshäusern wohnortnah anzubieten. Auch hier greift im Grunde die Logik der Verlagerung von Diensten und in der Folge auch der entsprechenden Ressourcen, auch personeller Natur. Ich darf hier allerdings auch anmerken, dass dieses Bestreben, ambulante fachärztliche Visiten vom Krankenhaus ins Territorium zu bringen, bei meinen ehemaligen fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern durchaus auf fruchtbaren Boden fällt, weil auch diese hier die Chancen für eine Entlastung der Fachabteilungen in den Krankenhäusern erkennen.
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