Politik | Rechtsextrem

Der Gemeinderat und die SS

75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz gedenkt Andrea Bonazza nicht der Opfer, sondern der Täter. Bei einem Neonazi-Aufmarsch in Budapest.

Wir schreiben das Jahr 2020. Die ganze Welt gedenkt der Opfer des Holocaust, der 75 Jahre, die seit der Befreiung des Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau vergangen sind, und sagt sich “Nie wieder!”. Die ganze Welt? Nein. Einige gefährliche Geschichtsverdreher ziehen es vor, die gefallenen Soldaten der Nazi-Terrororganisation SS zu erinnern, jene, die für die Opfer des Holocaust maßgeblich verantwortlich sind. Mittendrin: ein Vertreter des Gemeinderats von Bozen.

 

Gedenken an Gräueltäter

 

Im Bozner Rathaus ist Andrea Bonazza seit der Ankündigung seiner Partei, sich als solche aufzulösen, kaum mehr aktiv. Doch abseits des institutionellen Politiktreibens ist der “coordinatore regionale” der selbsterklärten “Faschisten des 3. Jahrtausends” von CasaPound rührig wie eh und je – weit über die Landesgrenzen hinaus. Das ist auch den Beobachtern des “Tag der Ehre” nicht verborgen geblieben. Jedes Jahr pilgern hunderte Neonazis und Rechtsextreme aus ganz Europa dafür nach Budapest. Es ist eine gruselige “Gedenkveranstaltung”, um die Mitglieder der Waffen-SS und die ungarischen Soldaten, die an ihrer Seite kämpften, zu feiern. Diese hatten sich vor 75 Jahren, am 11. Februar 1945, an einem aussichtslosen Gemetzel gegen die vorrückenden russischen Streitkräfte beteiligt. Zehntausende Soldaten der Waffen-SS und der Wehrmacht waren daran beteiligt. Insgesamt rund 150.000 Menschen kamen in den letzten Kriegstagen ums Leben.

Mit dem “Day of Honour”/“Tag der Ehre” und dem anschließenden “March of Honour”, einem “Marsch der Ehre” lädt der ungarische Ableger des rechtsextremen Netzwerks “Blood and Honour” seit Jahren am zweiten Februarwochenende nach Ungarn. Und die Neonazis kommen zu Hunderten: aus allen Himmelsrichtungen, mit Hakenkreuzen, SS-Runen oder dem Symbol der ungarischen Pfeilkreuzler, die mit Nazi-Deutschland kollaborierten – zum Teil gekleidet in historische Uniformen der faschistischen Armeen und mit Waffen, von denen nicht immer sicher gesagt werden kann, ob es Imitate sind.

Anderswo verboten: Teilnehmer des "Marschs der Ehre" 2020, teilweise in SS-Uniformen gekleidet (Fotos: Twitter/Presseservice Wien)

 

Besonderes Highlight: An jeder Etappe des “Marschs der Ehre” erhalten die Teilnehmer einen Stempel für die zurückgelegte Strecke – mit nationalsozialistischen oder ungaro-faschistischen Emblemen:

(Fotos: Twitter/Presseservice Wien)

 

Bozner Beteiligung

 

Ob auch Andrea Bonazza fleißig Stempel gesammelt hat? Der CasaPound-Gemeinderat in Bozen war jedenfalls am vergangenen Samstag (8. Februar) beim “Tag der Ehre” in Budapest. “In Erinnerung an die jungen Ungarn, die gegen die kommunistische Invasion der Roten Armee gefallen sind”, schreibt er stolz auf Twitter und Instagram:

Bonazza in Budapest

Kranzniederlegung von Faschisten aus ganz Europa: vor dem Denkmal “WWI. Mountain Riflemen Memorial” im Városmajor-Park gedachte auch Andrea Bonazza der Täter des Holocaust (Screenshot: Twitter)

 

Mehrere Fotografen, die den Aufmarsch der hunderten Rechtsextremen am Samstag begleitet und dokumentiert haben, haben auch Andrea Bonazza eingefangen.

Vor einem Kreuz mit der Aufschrift "Budapest 1945" und einem Helm der Nazi-Streitkräfte: Andrea Bonazza (2.v.r. mit Glatze und grüner Jacke) am 8. Februar beim "Tag der Ehre" in Budapest (Foto: recherche-nord)

 

Da steht ein demokratisch gewählter Volksvertreter der Südtiroler Landeshauptstadt und hat keine Scheu davor, seine antidemokratische Gesinnung offen zur Schau zu stellen – auf einer mehr als dubiosen “Gedenkveranstaltung”, bei der immer wieder unverhohlen gegen Juden gehetzt, der Hitlergruß gezeigt und Reden mit Zitaten von Adolf Hitler geschwungen werden, wie das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus aufzeigt. Alles von den Behörden autorisiert – ein Gericht hatte ein zuvor erlassenes polizeiliches Verbot mit Verweis auf die Versammlungsfreiheit aufgehoben.

Neben Bonazza stehen übrigens die Mitglieder der “Green Arrows” – eine Bozner Hardcoreband, die CasaPound nahesteht und die am selben Tag bei einem Rechtsrock-Konzert mit dem Namen “Festung Budapest” in der ungarischen Hauptstadt auftritt. Der Bandleader der “Green Arrows” Christan Corda steht derzeit wegen schwerer Körperverletzung in Genua vor Gericht.

Bozner in Budapest: stramm gestanden, um der nationalsozialistischen Terrororganisation SS an einem "Tag der Ehre" zu gedenken – Andrea Bonazza ist der 2., Christian Corda der 4. von links (Foto: Presseservice Wien)

 

Ungestört Netzwerken

 

“Die Veranstaltung ist für die rechtsradikale Szene in Europa ein wichtiges Event. Denn hier können sie sich ungestört präsentieren”, erklärt Linus Pook vom Zentrum für Demokratischen Widerspruch nach dem heurigen “Marsch der Ehre”.

Beobachter hierzulande sind über die Teilnahme Bonazzas und anderer Exponenten der italienischen rechten Szene nicht verwundert. “Es ist offensichtlich, dass die Bozner mittlerweile extrem gut vernetzt sind: Es gibt nicht nur Kontakte in den Süden, sondern eben auch immer öfter – und wie man am Beispiel Budapest sieht – ins osteuropäische Ausland”, heißt es aus gut informierten Kreisen. Diese Netzwerkarbeit habe es immer schon gegeben, bestätigt die Quästur in Bozen. Die Aufmerksamkeit der dort angesiedelten Sondereinheit Digos sei ungebrochen auf die Tätigkeiten der rechten Szene – sowohl auf italienischer als auch auf deutscher Seite – gerichtet, ebenso wie auf anarchistische Kreise.

Von der Teilnahme Bonazzas am “Tag der Ehre” in Budapest haben die Ermittler allerdings nichts gewusst. Man werde Informationen sammeln und sich gegebenenfalls einschalten, heißt es aus der Quästur.

“Io mi vergogno per lei!”, ist ein Satz den Andrea Bonazza während der Gemeinderatssitzung am Dienstag Abend dem Bozner Bürgermeister an den Kopf wirft. Er schäme sich für Renzo Caramaschi, weil bei der offiziellen Gedenkfeier der Gemeinde zum Tag der Erinnerung (an die Foibe-Massaker) tags zuvor unter anderem die Partisanenvereinigung ANPI anwesend war, so Bonazza. Nach mehreren Schreiduellen muss die Sitzung frühzeitig abgebrochen werden.
“Io mi vergogno per lei!” “Ich schäme mich für Sie!” Wie viele Gemeinderatskollegen das wohl zu Andrea Bonazza sagen, der 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz nicht der Opfer, sondern der Täter des Holocaust gedenkt?