Turmhoch überlegen

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„Am Ende gibt es keine Erlösung, sondern eine prosaische Verwirrung. Dies versuchen wir mit einer klaren Ästhetik wieder geradezurücken, um dann mit einer barocken Farbgestaltung alles erneut ins Wanken zu bringen“, sagte die Künstlerin Raphaela Aurelia Sauer gegen Ende ihrer Rede bei der heutigen Präsentation der Arbeit The Golden Mean auf dem NOI-Areal in Bozen und zitierte die Hamburger Punkband Slime mit der Zeile: „Goldene Türme wachsen nicht endlos, sie stürzen ein.“ Optimistisch fügte sie hinzu: „Um dies noch hinauszuzögern, sollten wir versuchen, mithilfe von Wissenschaft und Forschung eine solidarische Welt zu schaffen.“
„Damit greifen wir die von den Faschisten vereinnahmte Bauweise des Rationalismus zwar auf, führen sie jedoch ad absurdum.“
[Schwarzenfeld] -
Der Turm, den sie gemeinsam mit dem Künstler Michael Meraner als das unter dem Namen Schwarzenfeld agierende Künstlerduo präsentierte, war selbstverständlich nicht plötzlich aus dem historisch und politisch belasteten Boden der Industriezone Bozens emporgewachsen. Im Vorfeld gab es einen Wettbewerb und es galt, sich mit über „hunderttausend Fragen und Problemen“ auseinanderzusetzen. Doch nun stehe er hier, meinte Sauer glücklich, und strahle „mit einer Leichtigkeit und Scheinheiligkeit in die Welt“.
Sauer erinnerte kurz an die 1930er-Jahre, als das faschistische Regime die Industrialisierung Südtirols vorantrieb und das Gelände des heutigen NOI Techpark als metallverarbeitende Fabrik genutzt wurde. Dies sei für Schwarzenfeld Grund genug gewesen, die Installation aus Metall als Anerkennung und Würdigung der dort tätigen Arbeiterinnen und Arbeiter – nicht der Machthaber – zu schaffen. Ihre metallene Vierkantsäule nehme Bezug auf die rationalistische Architektur der historischen Bestandsgebäude. „Wir beziehen uns auf den abstrahierten, stilprägenden Säulentypus“, erklärte Sauer, „verweigern diesem konstruktiven Element jedoch die von den Rationalisten so vehement geforderte Funktionalität. Damit greifen wir die von den Faschisten vereinnahmte Bauweise des Rationalismus zwar auf, führen sie jedoch ad absurdum.“Aufstellung im Zeitraffer: Die fast 28 Meter hohe Säule fix und fertig (bei Sonnenaufgang) mithilfe von zwei riesigen Kränen durch die Luft gedreht und in ihre Verankerung gehoben.(c) SchwarzenfeldDie goldene „Schwarzenfeld-Säule“ besteht aus einzelnen runden Rohren, die zusammen eine quadratische Grundfläche bilden. Die Rohre haben einen Durchmesser von 16 Zentimetern und eine Länge von knapp 28 Metern. Bei näherer Betrachtung verjüngt sich die Spitze des goldenen Turms perspektivisch nach oben hin und wird so zu einem Obelisken – obwohl die einzelnen Rohre kerzengerade in den Himmel ragen. Doch damit nicht genug: Eine zweite Ebene eröffnet sich den Neugierigen, denn auf der Rückseite befindet sich ein Eingang, durch den man in das Innere der Säule gelangen kann. Beim Betreten des tempelartigen Innenraums richtet sich der Blick wie durch ein Fernrohr auf einen kleinen Ausschnitt.
„Warum Waldmeister, wieso Mäusedorn – und was machen eigentlich die Schlangeneier da in der Ecke?“
[Schwarzenfeld]Legen und Reden: „Wir schaffen Assoziationsketten und legen Fährten“, meinte Raphaela Aurelia Sauer von Schwarzenfeld. Foto: SALTODas von oben einfallende Licht stehe stellvertretend „für Wissen und Erkenntnis“, so Sauer. Der kleine, spärlich beleuchtete Innenraum ist eine Anlehnung an die Cella antiker Tempel – den Ort des Allerheiligsten, „dort, wo die Götter wohnen und Menschen nichts zu suchen haben.“ Im NOI sei das anders: „Hier kann der Mensch in das dachlose Gebäude eintreten.“ Die Basis dieser Installation bildet ein 2,5 Quadratmeter großer Mosaikboden. Die darin verewigten Motive zeigen Darstellungen aus der Natur – ein kleiner Garten Eden, entworfen von Künstlicher Intelligenz und von Menschen in Stein übersetzt. „Wir haben die KI als gleichberechtigte Entwurfspartnerin gesehen – sie war unsere Komplizin über Wochen hinweg. Wir haben jede einzelne Pflanze und deren Position diskutiert.“
Einen roten Faden gibt es nicht...
Schwarzenfelds künstlerische Arbeiten wollen keine Antworten geben. „Wir schaffen Assoziationsketten und legen Fährten“, sagen Sauer und Meraner. „Einen roten Faden gibt es nicht – aber Hunderte rote Fäden, die zu einem Wollknäuel verknüpft werden.“ Ein weiteres Kunstwerk – ebenfalls in Gold – wird im Herbst auf dem archäologischen Areal der Sonnenburg bei Bruneck eröffnet. Der Aufbau ist bereits abgeschlossen.Weitere Artikel zum Thema
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