Die Niederlage bei den Gemeindewahlen und der schmerzliche Verlust der Großstädte Rom und Turin haben Matteo Renzis ausgeprägtem Selbstbewusstsein einen deutlichen Dämpfer versetzt. Die Gewissheit, die Volksabstimmung über die Verfassungsreform zu gewinnen, ist beträchtlicher Skepsis gewichen. Die Ankündigung, er werde im Falle einer Niederlage zurücktreten und seine politische Laufbahn beenden, hat der Premier bereits zurückgenommen: "Ora non apro più bocca." Ein klassisches Eigentor.
Jetzt bastelt der Regierungschef am Versuch, das bedrohliche Referendum zu entschärfen, bei dem ihm eine unheilige Allianz von den Faschisten der Casa Pound bis zur äußerten Linken den Garaus machen will. Erster Schritt: Um die kritische Situation zu meistern, will Renzi Zeit gewinnen. Und nachdem kein Zwang besteht, das Referendum im Oktober abzuhalten, soll es verschoben werden. Als möglichen Termin nennt der Regierungschef jetzt den 6. November.
Zweiter Schritt: Statt über die gesamte, äußerst komplexe Verfassungsreform mit Nein oder Ja abzustimmen, könnte der Stimmzettel mehrere Fragen zu deren wichtigsten Teilbereichen enthalten. Der Partito Radicale sammelt derzeit mit mäßigem Erfolg im Parlament Unterschriften für eine solche Differenzierung der Fragestellung. Renzi selbst äußert sich dazu vorerst skeptisch. Dritter Schritt: Um den wachsenden Widerstand der Opposition gegen seine Person zu brechen, will er der Forderung nachkommen, das umstrittene Wahlgesetz Italicum zu ändern. Ein Schritt, der von allen Parteien mit Ausnahme der Fünfsterne-Bewegung begrüßt wird.
Mit diesem politischen Tauschgeschäft könnte Renzi seinen wackeligen Koalitionspartner Angelino Alfano zufriedenstellen und in der zunehmend bröckelnden politischen Mitte punkten. Bei Parlamentswahlen könnten in Zukunft nicht die zwei stärksten Parteien zur Stichwahl antreten, sondern die siegreichen Koalitionen. Diese Lösung wird vor allem vom Rechtsbündnis begrüsst. Gleichzeitig hofft man damit den Sieg der Fünfsterne-Bewegung zu verhindern, die nach Umfragen klar in Führung liegt.
Renzi selbst hält sich in dieser Angelegenheit ausnahmsweise zurück: "Jede Entscheidung obliegt dem Parlament."
Italien ist das einzige Land Europas, in dem ständig am Wahlrecht gebastelt wird. Seit 1992 hat es bereits vier Änderungen erfahren. Jetzt steht die nächste bevor - eine politische Anomalie, die der zersplitterten Parteienlandschaft Rechnung trägt.
Ob der Regierungschef im Senat überhaupt noch über eine Mehrheit verfügt, wird sich am morgigen Mittwoch erweisen, wenn für das Haushaltsdekret der Regionen die absolute Mehrheit erforderlich ist. Dabei wird sich zeigen, ob Renzi auf Gedeih und Verderb auf die Gruppierung des abtrünnigen Forza Italia-Mannes Denis Verdini angewiesen ist.
Zweifellos war es ein schwerer Fehler des Premiers, das Referendum über die Verfassungsreform zu einer Volksabstimmung über die eigene Person umzufunktionieren. Die Hoffnung auf ein Plebiszit ist längst geschwunden. Es steht ohnedies zu erwarten, dass äußere Umstände die Entscheidung vieler Wähler stärker beeinflussen als der schwer verständliche Text der Verfassungsreform – etwa die Frage, ob Renzi die Sicherung des Bankensystems gelingt oder die Zahl der Migranten, die im Sommer übers Meer nach Italien kommen. Ein hauchdünner Sieg, wie er von Demoskopen derzeit prognostiert wird, könnte Renzis politisches Überleben bis zum Ende der Legislatur im März 2018 schwerlich sichern.