Die andere Seite des Reichtums

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Ziemlich versteckt hinter hohen Bäumen befindet sich in Meran die Villa Freischütz, heute ein Hausmuseum. Lange Zeit wohnte hier eine wohlhabende Familie, die dem klassischen Bild einer feinen Obermaiser Familie entsprach. 1921 zog der Kunstsammler Franz Fromm mit seinen vier Kindern und dem Reichtum seiner verstorbenen Ehefrau Luisa Vernal in die Villa. Die Kuratorin der neuen Ausstellung im Museum, Ariane Karbe, möchte dieses heile Bild durchbrechen: „Wir möchten gegen diese ‚Hübschigkeit‘ arbeiten. Viele Menschen verbinden Reichtum automatisch mit Glück. Wir zeigen hingegen das Bild einer ganz normalen Familie, die auch nicht von Angst, Krankheit und Tod verschont wird.“ Gemeinsam mit dem Historiker und Kurator Hannes Obermair zeigt sie in der Ausstellung die andere Seite dieses Reichtums.
Die Geschichte, wie diese Familie durch Ausbeutung zu ihrem Vermögen gekommen ist, beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts. -
Das Gold in der Wüste
1854 zog der deutsche Geschäftsmann Johann Georg Christian Hilliger, Schwiegervater von Franz Fromm, in die Stadt Iquique in Peru. Von da an nannte er sich „Jorge“. Diese Zeit markierte den Beginn des Salpeterhandels in dieser Region: Das sogenannte „weiße Gold“ war als Düngemittel und später für die Sprengstoffproduktion stark gefragt. Hilliger erkannte die Gelegenheit und stieg in das Salpetergeschäft ein. Die größten Vorkommen lagen in der Atacamawüste, heute im Norden Chiles. Teile dieser Region gehörten zu Bolivien und Peru.
Im Pazifikkrieg von 1879 bis 1883, bei uns auch Salpeterkrieg genannt, eroberte Chile das Gebiet und hatte danach das weltweite Monopol auf den Abbau des wertvollen Metalls. Nach der Annektion von Iquique durch die chilenische Regierung verließ Jorge mit seiner Frau Rosa Vernal und ihren Kindern das Land und zog nach Barcelona.
Die Arbeitsbedingungen beim Salpeterabbau waren hart, meist waren es indigene Völker, die in der heißen Wüste schufteten. Der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter für bessere Arbeitsbedingungen in den Salpeterwerken eskalierte am 21. Dezember 1907. Das chilenische Militär erschoss bei friedlichen Protesten in Iquique Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter. „Dieses Massaker ist bis heute ein wichtiges Thema für die chilenische Arbeiterbewegung“, erklärt die Kuratorin.
Die argentinische Dichterin Ana Rocío Jouli und der peruanische Dichter Juan Ignacio Chávez ergänzen die Ausstellung mit ihrer „dokumentarischen Poesie“. Eine Textcollage aus Berichten sowie einer Arbeiterzeitung der damals Streikenden zeichnet ein eindrückliches Bild der Situation.
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Ein Haus mit Geschichte: 1921 kaufte Franz Fromm die Villa im Zentrum von Obermais Foto: Seehauserfoto
Nach seinem Höhepunkt Anfang des 20. Jahrhunderts endete der Salpeterabbau durch die Möglichkeit der industriellen Erzeugung von Kunstdünger.
Jorges und Rosas Tochter Luisa lernte in der Zwischenzeit Franz Fromm kennen und verliebte sich. Die beiden heirateten, nach ihrem frühen Tod zog es den Weinhändler mit den Kindern in die Kurstadt Meran. Die einzige Nachkommin der Familie, Rosamaria Navarini, lebte bis zu ihrem Tod 2013 in der Villa Freischütz.
100 Jahre nach dem Höhepunkt des Salpeterabbaus wiederholt sich die Geschichte. Wieder ist es die Atacamawüste mit ihren Bewohnerinnen und Bewohnern, die unter dem Abbau von Wertstoffen leidet. Nun ist es jedoch Lithium, welches als „weißes Gold“ verkauft wird.
Das Gold in unseren HandysDas Leichtmetall Lithium wird gebraucht, um Batterien herzustellen. Vor allem in der Elektromobilität und somit der Energiewende spielen Lithium-Ionen-Batterien eine große Rolle. In dem Akku eines Tesla-Autos befinden sich bis zu 80 Kilogramm Lithium. Abgebaut wird das wertvolle Metall hauptsächlich in der Region zwischen Chile, Bolivien und Argentinien. Hier wird das Lithium aus Salzseen gewonnen.
Die Maschinen durchwühlen beim Abbau den Untergrund und kontaminieren dadurch das Süßwasser in der Region. Dadurch werden die Wasserreserven immer knapper. Das gefährdet Völker wie die Lickan Antay, die Ureinwohner der Atacamawüste. Lange hat das Volk von der Landwirtschaft und der Lama-Haltung gelebt, heute profitieren sie auch vom Tourismus. Sie haben bereits die dunklen Seiten des Salpeterabbaus in Form von schlechten Arbeitsbedingungen miterlebt. Nach zwei Jahrzehnten Lithiumabbau in der Region sind nun ihre Lebensweisen bedroht.
Eine kleine Menge Lithium trägt jeder und jede von uns tagtäglich mit sich, in Form von Handybatterien. Für den nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen können ab Sonntag, 14. September in der Villa Freischütz alte Mobiltelefone abgegeben werden. Die Südtiroler Informatik AG kümmert sich um die Löschung der Daten, anschließend werden die wertvollen Rohstoffe aus den Batterien weiterverwertet. Die Abgabe ist bis zum Ende der Ausstellung im Juli 2026 möglich.
Ariane Karbe möchte mit der Ausstellung dazu anregen, die Geschichte aus zwei Perspektiven zu betrachten. Die Besucherinnen und Besucher könnten in der Villa die wunderschönen und wertvollen Kunstwerke bewundern. Doch Fotos der namenslosen Arbeitskräfte erinnern daran, wo der Reichtum herkam und regen dazu an, kritisch über den europäischen Kolonialismus nachzudenken.
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