Gesellschaft | Porträt

Auf der Zielgeraden seiner Träume

Die German Bowl ist der wichtigste Wettbewerb im europäischen Football. In der Frankfurter Commerzbankarena läuft dabei auch ein Südtiroler auf: der Bozner Alex Ferrari.
Ferrari, Alex
Foto: Sarah Philipp
Es gleicht einem Traum eines jeden sportbegeisterten jungen Menschen, der seinen Lieblingssport als Berufung wahrnimmt und jede freie Minute in ihn hineinsteckt. Der Traum eines kleinen Kindes, der seine Idole im Fernseher verfolgt und dabei sich selbst das Grün hinunterlaufen und in den Gesängen der zu Tausenden angereisten Menge baden sieht. Ein kleiner Bub, der von nichts anderem träumt, als bei diesem einen Spiel dabei zu sein, um letztendlich den Pokal mit seinen Mannschaftskameraden in den Himmel zu heben und sich feiern zu lassen. Genau diese Leidenschaft und ein großes Repertoire solcher Tagträume nimmt Alex Ferrari mit – und ist drauf und dran diese zu leben.
Der Bozner spielt seit dieser Saison bei den Schwäbisch Hall Unicorns in der deutschen American-Football-Liga DFL: ein Team, das seit nunmehr drei Jahren ungeschlagen ist, umgerechnet 50 Spiele in Folge – ein Unikum in der gesamten bundesdeutschen Sportlandschaft. Mit diesem Team verfolgt Ferrari an diesem Samstag genau nur ein Ziel: seine bisher abstrakten, so weit entfernten Träume wahr werden zu lassen und sich als erster Südtiroler diesen Titel zu holen. „Ich bin fast schon nervös. Es werden immerhin rund 20.000 Zuschauer in Frankfurt dabei sein“, sagt der 25-Jährige mit einer für einen vermeintlichen Nervenbündel fast schon stoisch anmutenden Ruhe zu salto.bz. „Aber in so einer großartigen Stadt vor so einer Menge aufzulaufen ist genau das, wofür ich so viel Herzblut gebe.“
 

Eine Serie von Höhepunkten

 
Ein Gefühl, dass er offensichtlich so nicht kennt. Da reicht auch nur ein kurzer Blick auf seine sportliche Vita, um diese Gelassenheit und Abgeklärtheit zu erklären. Seit Jahren ist Ferrari ein integraler Bestandteil der hiesigen Serie-A-Mannschaft Bolzano Giants. Der Linebacker hat sich in der Landeshauptstadt als eines der größten Defense-Talente Italiens profiliert und mittlerweile auch schon den Sprung in die Nationalmannschaft geschafft. Gerade mit den Azzurri durfte er erst letzten Sonntag wohl einen der größten Triumphe seiner Karriere feiern. Gegen auf dem Papier übermächtige Österreicher gewann man nach einer packenden Schlussphasemit 21-14 und darf sich nun Hoffnungen machen, in den Top-4 um den EM-Titel ein Wörtchen mit zu reden. Als letzte Hürde wartet die Schweiz. „Die Schweizer sind ein starkes Team, wir brauchen uns aber auf keinen Fall verstecken. Ich kann keine Prognose abgeben, dafür ist American Football als Sport zu launisch.“
 
 
Doch das ist momentan nichts anderes als Zukunftsmusik. Bei Ferrari zählt das Hier und Jetzt, das große Spiel am Samstag: „In den letzten Wochen dreht sich alles im Verein nur um dieses Spiel. Ob ich nun in Bozen bin oder in Schwäbisch Hall, macht keinen Unterschied. Entweder ich trainiere aktiv mit oder bin zuhause am Spielzüge Pauken und am Drohnenvideos Studieren.“ Sogar der Trainer oder sonst jemand im Betreuerstab stünden momentan nicht für die kleinste Frage der Medien zur Verfügung, „da gibt es keine Chance. Die erreicht man nicht. Die Coaches sind fokussiert, es geht um sehr viel“. Wie in jeder Sportart, bedarf es bei einem Finale einer Prise Extra-Aufmerksamkeit, zumal es sich bei diesem Event um kein kleines Wochenendturnier handelt.
„Es wird hier nichts dem Zufall überlassen“
Die German Bowl ist das europäische Pendant zur alles überstrahlenden Super Bowl der amerikanischen National Football League. Zwar kann der kleine abendländische Bruder dem in Übersee stattfindenden Super-Event besonders in Puncto Reichweite und sportlichem Niveau nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen; nichtdestotrotz handelt es sich hierbei um das Nonplusultra des europäischen Footballsports, bei dem der Sieger der wohl stärksten Liga des Kontinents ermittelt wird.
Da der italienische Football dem Level des deutschen nur hinterherhinkt, war der Wechsel für Alex Ferrari nach Schwäbisch Hall  eine Art sportlicher Kulturschock. „Es wird hier nichts dem Zufall hinterlassen. Jedes Training wird aufgezeichnet. Viele Spieler haben sich von der Arbeit frei genommen, auch ich bin schon früher hergekommen, um mich richtig vorzubereiten.“ Die große Umstellung manifestiert sich besonders bei den Erwartungen, die an jeden Spieler gestellt werden. Während sich der Sohn des ehemaligen Spielers Remo Ferrari bei den Giants auf seiner Position als Allrounder sieht, wurde seine Spielweise in Baden-Württemberg auf den Kopf gestellt. „Ich bin hierhergekommen und dachte, ich würde meine Spielweise verfeinern. Dem war nicht so; mein Spiel wurde total umgestellt.“ Denn im Gegensatz zu Bozen braucht man ihn hier nicht als defensiven Alleskönner, sondern als Spezialisten. Darauf wurde auch seine Technik abgestimmt, sodass er mit seinen Kollegen ein Konglomerat bildet, das für unterschiedliche Spielsituationen auf der gleichen Position verschiedene Fähigkeiten mitbringt. 
Da der italienische Football dem Level des deutschen nur hinterherhinkt, war der Wechsel für Alex Ferrari nach Schwäbisch Hall eine Art sportlicher Kulturschock
Daher rührt auch die Tatsache, dass er das Halbfinale zum Großteil von der Seitenlinie beobachtet hat. „Ich war da als Typus wohl einfach nicht gefragt. Im Viertelfinale zum Beispiel bin ich öfters aufs Feld beordert worden. Aber im Halbfinale war ich eher Teil der Special-Teams. Das hängt unter anderem vom Gegner ab.“
 

Romantik gegen Moderne

 
Und bei diesem Gegner dürfte das Trainerteam auf Nummer sicher gehen. Denn genau die New Yorker Lions waren es, die den Einhörnern ihre letzte Niederlage beschert haben. Zwar war das im mittlerweile weit entfernten 2016; aber es war eben ein German Bowl – und Statistik ist bekanntlich nur ein Wegweiser, der die Gegenwart und Zukunft nur bedingt beeinflusst. Die Unicorns treten sogar als Titelverteidiger an, aber Endspiele folgen ihren eignen Gesetzen.
 
 
Als viel interessanter als diese Überstatistik erweist sich bei diesem Spiel die spielerische Ausgangslage: Es ist ein Kampf der Spielsysteme, brachiale Romantik trifft auf filigrane Moderne.  
Die Niedersachsen aus Braunschweig setzen auf Football alter Schule, auf eine Spielweise, durch die sich American Football seit seiner Entstehung definiert und die es bis heute als Inbegriff des Kontaktsports zeichnet. „Die Lions kommen über ihre Physis und Athletik. Tatsächlich werden wir am Sonntag einer körperlich sehr gut vorbereiteten Mannschaft gegenüberstehen“, erklärt Ferrari. Schwäbisch Hall verfolgt einen moderneren, feineren Ansatz: „Unser Spiel entspricht mehr dem modernen American Football. Bei uns zählt die Technik und kleine Feinheiten, es ist weniger brutal“, erläutert er weiter und fügt treffend hinzu: „Wir sind Teil eines gut orchestrierter ‚Casinos‘.“  
In diesem gut strukturierten Durcheinander wird also auch Alex Ferrari seinen Teil beitragen, um Deutschlands American-Football Spitze zu erklimmen. Am Samstag hat der junge Bozner die Chance, seinen Träumen endlich Substanz zu verleihen und sie in die Welt der Tatsachen zu verfrachten. Er wird rennen, hitten, wühlen, kämpfen und vielleicht – wie es als kleiner Junge vor seinem geistigen Auge schon des Öfteren geschehen ist – am Ende in der Menge badend den Pokal in den Himmel heben.