Kultur | Rezension

Die My Love: Ein Film für die Magengrube

Lynn Ramsay vereint in ihrem neuen Film zwei ehemalige Teenie-Idole und dekonstruiert sie auf unbändige Art und Weise.
Eine Frau steht auf einer Tanzfläche
Foto: Ramsay
  • Lynne Ramsay ist eine Regisseurin, die nicht unbedingt für leichte Stoffe bekannt ist. Auch Die My Love, ihr neuer Film, der bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes Premiere feierte, ist keine leichte Kost, gleichzeitig auch nicht das provokante, möglicherweise schockierende Werk, das von manchen Besprechungen herbeigeschrieben wurde. Darin geht es um die Schriftstellerin Grace und ihren Partner Jackson, beide Anfang bis Mitte dreißig, die beschließen, die Großstadt New York hinter sich zu lassen und aufs Land zu ziehen. Dort besaß der Jacksons verstorbener Onkel ein Haus, das von dem Paar nun renoviert und wieder wohnlich gemacht wird. Schnell charakterisiert der Film seine Figuren, die entfremdet von der Welt wirken, gar nicht teilhaben wollen am eigentlichen Leben und sich vielleicht auch deshalb ganz bewusst abgekapselt haben. Im Grunde wollen sich die beiden nur gegenseitig auskosten, viel Sex haben, die Zeit totschlagen, nicht an die Realität denken. Als sich diese nach und nach aber doch in ihre Leben einschleicht, schlicht, da dieses Leben weitergehen muss, hält Frustration Einzug. Besonders Grace fühlt sich zunehmend allein gelassen, wenn Jackson zur Arbeit fährt und seine Seite des Bettes manchmal mehrere Tage leer bleibt. Als sie schwanger wird, ist das kein lang gehegter Wunsch, vielleicht ein Versehen, so genau wird das nicht erörtert, denn über die wichtigen Dinge im Leben sprechen Grace und Jackson nur selten. 

     

    Lynn Ramsay erhebt spätestens in der zweiten Hälfte des Films postnatale Depression zum Thema des Films. 

     

    Lieber flüchten sich beide in ihre jeweiligen Gedankenwelten und lassen einen konstruktiven Austausch vermissen. Nur selten äußern sie ihre Bedürfnisse, so wie Grace, die nach mehr Sex giert, wenn der letzte Geschlechtsverkehr schon Monate her ist. Schlimmer wird es besonders mit ihr, nachdem das Baby zur Welt gekommen ist. Lynn Ramsay erhebt spätestens in der zweiten Hälfte des Films postnatale Depression zum Thema des Films. Hier verschiebt sich der Fokus mehr auf Grace, während Jackson, ganz der Perspektive seiner Partnerin entsprechend, immer weiter in den Hintergrund rückt. Das Verhalten von Grace wird zunehmend irrationaler, sorgt für Ärger, Entsetzen, Fassungslosigkeit. Gespielt wird sie von Jennifer Lawrence, die mehr als noch in Mother von Darren Aronofsky, ein Film, der nur im Ansatz Ähnlichkeiten aufweist, ihre Rolle sehr körperlich anlegt. Der Trotz und später die Aussichtslosigkeit erzählen sich nicht anhand von schmollendem Rumsitzen, sondern durch explosive Ausbrüche, einem Sich-Winden, Sich-Spüren-Wollen, alles zu tun, um den eigenen Körper, der Grace zu viel wird, zu verlassen. Lieber zu einem Tier werden möchte sie, alles menschliche ablegen.

  • Anfangs scheint noch alles in Ordnung zu sein... Foto: Ramsay
  • Ihr gegenüber spielt Robert Pattinson wunderbar verloren. Jackson gibt sich Mühe, besonders anfangs mit der frenetischen Energie und der sexuellen Lust seiner Partnerin Schritt zu halten. Doch irgendwann lässt er sie los, widmet sich wieder seiner Arbeit und beginnt ein Leben zu führen, dass Grace vernachlässigt. Für ihre Depression hat er kaum ein Ohr, es wirkt beinahe so, als wäre es ihm sehr lange nicht bewusst, wie es Grace wirklich geht. Hier tritt das spannende Problem dieser ungewöhnlichen Beziehung hervor: Der Unwille, erwachsen zu werden. Sowohl Grace als auch Jackson wirken in vielen Momenten pubertär, ungezähmt, besorgniserregend gering an der Zukunft interessiert. Das Baby funkt ihnen dazwischen, doch während Jackson die Flucht in die Arbeit ergreifen kann, bleibt das ungewünschte Menschlein an Grace hängen – eine Problematik, die anders als die Charaktere des Films, ganz und gar in der Realität verhaftet ist. 

  • ... aber das ändert sich bald. Foto: Ramsay
  • Die Dynamik zwischen den beiden könnte das Publikum aufregen, das sich frustriert davon zeigt, oder die Darstellung von insbesondere Grace als unauthentisch bezeichnet. Doch Lynn Ramsay geht es nicht um eine realistische Darstellung, das wird schnell klar. Auch sucht sie keine Antworten unter der brachialen Oberfläche der rauen, einnehmenden Schauspielleistungen, die nur durch seltene Dialoge gestützt werden. Ramsay begnügt sich damit, darzustellen, was ist, anstatt halbgare Lösungen zu bieten, die die Wirkung des Films insgesamt abschwächen würden. Das führt zu einem Ende, das viele Zuschauer*innen vielleicht mit einem Fragezeichen über dem Kopf das Kino verlassen lässt. Doch auch mit Bildern, Szenen und menschlichen Explosionen im Bewusstsein, die erfrischend roh wirken, und mit Jennifer Lawrence und Robert Pattinson zwei ehemalige Jung-Stars bieten, die völlig konträr zum Hollywood-Glamour tief in die Abgründe ihrer Figuren hinabsteigen. Eine klare Empfehlung.