„Ich vertraue meinem Bauchgefühl“
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SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?
Adina Guarnieri: Als kleines Mädchen liebte ich die Kinderbücher meiner Mutter und meiner Tante aus den 50er und 60er Jahren. Am besten gefiel mir „Der glückliche Löwe“ von Louise Fatio und Roger Duvoisin. Es war aber nicht unbedingt die Geschichte, die mich geprägt hat, sondern die Zeichnungen. Die jonglierenden Seehunde oder die Szene, wenn der kleine Löwe das Himmelbett der feinen Dame zerstört. Heute noch geht mir das Herz auf, wenn ich Illustrationen im Stil der 50er sehe, weil ich sofort an die Küche meiner Großmutter denken muss, wo das Buch immer griffbereit lag.
Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?
Das ist eindeutig der letzte Satz von „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez. Ich habe das Buch auf Italienisch zu Hause und schreibe den Satz von dort ab: „Tuttavia, prima di arrivare al verso finale, aveva già compreso che non sarebbe mai più uscito da quella stanza, perché era previsto che la città degli specchi (o degli specchietti) sarebbe stata spianata dal vento e bandita dalla memoria degli uomini nell’istante in cui Aureliano Babilonia avesse terminato di decifrare le pergamene, e che tutto quello che vi era scritto era irreperibile da sempre e per sempre, perché le stirpi condannate a cent’anni di solitudine non avevano una seconda opportunità sulla terra.”
So ein Gerät kommt mir nicht ins Haus.
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Gesprächsrunde zu Gottfried Solderer: Adina Guarnieri am Podium mit Georg Mair, Christoph Franceschini und Hans Heiss. Foto: Tessmann/RaetiaReimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?
Ich muss gestehen, dass ich mich mit Lyrik oft schwertue. Und als wir in der Oberschule zum ersten Mal Rilke durchgenommen haben, seinen „Panther“ und „Das Karusell“, da waren meine Mitschülerinnen und Mitschüler alle ganz entzückt, während mir das Ganze einfach nur ungemein übertrieben vorgekommen ist. Seine Prosa hingegen finde ich toll.
Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?
Ich würde ihm einen guten Rat geben, damit er wenigstens nichts Banales liest: Die Fälle des Tschonnie Tschennett von Kurt Lanthaler. Fällt vielleicht nicht gerade in die Sparte der Lokalkrimis, aber Spaß machen sie allemal.
Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?
Oft gehe ich ohne jegliche Vorstellung in einen Buchladen und lasse mich „anhupfen“. Das erstaunliche dabei ist, dass es meist wahre Glückstreffer sind. Deshalb lautet die Antwort: Ich vertraue meinem Bauchgefühl.
Künstlerin Camilla Prey und Galerieleiterin Adina Guarnieri: Eröffnung der Ausstellung "How many scales on the eye?" im Kunstforum Unterland. Die Ausstellung bleibt bis 20. Dezember zu sehen. Foto: Galerie UnterlandWas für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?
„Der letzte Sessellift“ von John Irving. Normalerweise schätze ich seine Bücher sehr, aber bei diesem hier musste ich mich fast durchkämpfen. Es hatte keine erzählerische Tiefe, die Handlung fühlte sich erzwungen an. Schade.
Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?
In dieser Hinsicht bin ich dogmatisch: So ein Gerät kommt mir nicht ins Haus.
Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?
Die kanonischen Antworten: „Schöne Welt, böse Leut“ von Claus Gatterer, „Die Walsche“ von Joseph Zoderer, „Eva dorme“ von Francesca Melandri, „Ein Hund kam in die Küche“ von Sepp Mall und die Bücher des bereits erwähnten Kurt Lanthaler (und das nicht nur, weil wir beide Unterlandler sind). Vor einigen Monaten habe ich „Maddalena geht“ von Margit Weiss gelesen und es hat mich tief berührt. Das kommt auch noch auf die Liste.
Adina GuarnieriStudium der Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Slawistik in Innsbruck und Trient. Sie ist freischaffend im Kulturbereich tätig, u. a. als Kuratorin, Autorin und Filmemacherin. Seit 2024 ist sie Vorsitzende des Vereins „Geschichte und Region/Storia e regione“. Seit 2025 leitet sie das Kunstforum Unterland in Neumarkt. Mitarbeit an zahlreichen Publikationen, u.a. „Die Zeit dazwischen/Il tempo sospeso. Südtirol 1918–1922. Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum faschistischen Regime / L’Alto Adige tra la fine della Grande Guerra e l’ascesa del fascismo (1918-1922), Edizioni Alphabeta Verlag, Meran 2020 (Hg. Ulrike Kindl, Hannes Obermair) und „Wilde Jahre. Tourismus in Südtirol 1961–1983“, Edition Raetia, Bozen 2025 (Paul Rösch, Patrick Rina). Von ihr zuletzt erschienen: „Gottfried Solderer. Ein Leben für die Vielfalt“, Edition Raetia, Bozen 2025.
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