Kultur | Ausstellung

Die Erinnerung an Lärm machende Mädchen

Ausstellung von Olivia Plender in der Galerie ar/ge kunst in Bozen.

Die ar/ge Kunst Bozen zeigt derzeit in der noch bis zum 13. Februar laufenden Ausstellung einige Arbeiten der britischen Künstlerin Olivia Plender (*1977). Damit komplettiert ar/ge kunst sein Programm von 2015, das der Reflexion seiner dreißigjährigen Aktivität als Kunstverein von Bozen sowie der Bedeutung des eigenen Namens (ar/ge als Arbeitsgemeinschaft) gewidmet ist.

Thematisch kreisen Plenders Werke um die Zeitschrift "Urania" (erschienen von 1915 - 40), die von den britischen FrauenrechtlerInnen, den Sufragetten, gegründet worden war. Sie stieß einen politischen und kulturellen Diskurs zu Geschlechterfragen an und vertrat die Forderungen von lesbischen und schwulen Individuen und Gruppen. Ihre Seiten füllten Artikel aus aller Welt, ausgeschnitten aus Zeitungen, minimal kommentiert und in privaten Netzwerken an "FreundInnen" verteilt.  

Olivia Plender, die selbst fleißig v.a. Comics publiziert, hat Inhalte dieser Hefte ausgewählt und mit Textausschnitten und Zeichnungen illustriert, woraus eine Reihe an Postern entstanden sind. Das Format des Comic(buches) ist für sie ein alternativer Weg zur Verbreitung von Kunst, wobei sie seine günstige Machart und Zugänglichkeit als Möglichkeit nutzt, kulturelle Ideale herauszufordern.  

"Urania" vertrat ein queer-feministisches utopisches Gesellschaftsbild, woraus Plender folgendes Zitat entnahm und auf die Hinterseite der im Schaufenster sichtbaren Decke stickte:


TO OUR FRIENDS

URANIA denotes the company of those who are firmly determined to ignore the dual organization of humanity in all its manifestations.
They are convinced that this duality has resulted in the formation of two warped and imperfect types. They are further convinced that in order to get rid of this state of things no measures of “emancipation” or “equality” will suffice, which do not begin by a complete refusal to recognize or tolerate the duality itself.
If the world is to see sweetness and independence combined in the same individual, all recognition of that duality must be given up. For it inevitably brings in its train the suggestion of the conventional distortions of character which are based on it.
There are no “men” or “women” in Urania.

Als Uranier bezeichneten sich Personen, die sozialen und sexuellen Normen nicht genau entsprachen, insofern sie auf Vorstellungen von "weiblichem" und "männlichem" Verhalten beruhten.

Ein weiteres Motiv ist Sylvia Pankhurst, die bekannt ist für ihre Rolle im Kampf für das Frauenwahlrecht im frühen 20. Jahrhundert in England. Sie war beteiligt an der Gründung der WSPU (Women's Social and Political Union), dem militanten Arm der Kampagne für das Frauenwahlrecht.
Geschichten, wo Verkleidungen und Maskeraden eine Rolle spielen, zeigen die vielfältigen möglichen Geschlechter-Schattierungen. "Friendship between women" heißt eine weitere Zeichnung. Plender hat das Archiv bearbeitet, wobei sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt; mehr wirkt hinter den Arbeiten eine feministische Haltung durch, die sich aus vergangenen Ereignissen speist. Deren Erzählung wird u.a. im Geschichtsunterricht zu leicht übergangen und ist im öffentlichen Bewusstsein eher absent, hier aber im Nachhinein erfahrbar gemacht. Das ist auch die Krux und das Zuckerl (je nach Sichtweise) der KünstlerInnen, die derart dezidiert Recherche-basiert arbeiten: der leicht akademische Ton ist beseelt von der Erfüllung eines Bildungsauftrages.

Wir sehen weiters zwei handgenähte Stoffarbeiten, also eigentlich eine Art Fahne und ein "Quilt", die den hinteren und den vorderen Raum der Ausstellung verknüpfen.
Eine biographisch inspirierte Sound-Arbeit, zu der eine Leinwand mit Anleitungen gesellt ist, erzählt vom Stimmverlust durch eine Krankheit und des darauffolgenden mehr als ein Jahr dauernden Trainings ihrer Wiedererlangung. Darauf sind unter anderem die stark ideologisch gefärbten Sätze wie "Many men make money" oder "Many maids make much noise" zu lesen, die sie in der Zeit ihrer Rehabilitation mehrmals täglich wiederholte und vom zuständigen Stimmtrainer im Krankenhaus erhalten hatte. Die Ausstellung zeigt damit den weiblichen Kampf um die Stimme aus zwei unterschiedlichen Perspektiven, sie nutzt ein autobiographisches Narrativ, um an ein historisch-politisches zu erinnern.


Fotos: Olivia Plender, Many Maids Make Much Noise, Ausstellungsansicht in ar/ge kunst Bozen, Foto aneres, 2015