Gesellschaft | Fachkräftemangel

Adieu mein Südtirol

Immer mehr junge Südtirolerinnen und Südtiroler gehen ins Ausland um zu arbeiten oder zu studieren. Was ist der Grund für den „Brain-Drain“?
Abwanderung
Foto: Pixabay
  • 60 Prozent aller Südtiroler Maturaabsolventen führen ihre Ausbildung weiter und inskribieren sich an einer Universität, das zeigt eine Studie der Beobachtungsstelle für den Arbeitsmarkt Südtirol aus dem Dezember 2023. Vor allem die Gymnasiasten entscheiden sich für genannten Weg. Sechs Monate nach der Reifeprüfung gehen nur etwa 15 Prozent der Gymnasiumabsolventen einer unselbstständigen Beschäftigung in Südtirol nach. Anders sieht es hingegen bei den Fachoberschulen aus. 40 Prozent der Schüler sind unmittelbar nach der Matura in einem unselbstständigen Arbeitsverhältnis tätig. Der Anteil der Universitätsstudenten ist im Vergleich zu den Gymnasiumabgängern geringer

    Sieht man sich die Maturaabsolventen der Jahre 2005 bis 2012 von allen Arten von weiterführenden Schulen an, so zeigt sich, dass 14 Prozent aller Abgänger zehn Jahre nach Abschluss der Reifeprüfung, Südtirol für das Ausland verlassen haben. In andere italienische Regionen zogen nur 2 Prozent. Wenn man dann noch zwischen den Jahrgängen 2005 bis 2008 und 2009 bis 2012 unterscheidet, zeichnet ich ein starker Anstieg in fast allen Bildungseinrichtungen und Fachrichtungen ab. Die Abwanderungssteigerung ist vor allem bei den Gymnasiasten erkennbar. Mit 24 Prozent haben die Jahrgänge 2009 bis 2012 der Realgymnasien, Südtirol am stärksten verlassen. 

  • Die Erhebung: In allen Gymnasien ist ein Anstieg der Abwanderungsquote zu erkennen. Foto: Beobachtungsstelle für den Arbeitsmarkt Südtirol
  • Auch bei der Unterrichtssprache gibt es Unterschiede. So geht aus der Studie hervor, dass es vor allem Absolventen deutschsprachiger Oberschulen ins Ausland zieht. Die italienisch sprachigen Maturanten verlassen Südtirol gleichermaßen für andere italienische Regionen wie für das Ausland. 

  • Die Suche nach dem Schuldigen

    Toni Tschenett: „Das Verhältnis von Lohn zu Lebenshaltungskosten in Südtirol ist katastrophal.“ Foto: asgb

    Der sogenannte Brain Drain scheint laut genannten Daten zu steigen. Einer Wifo-Studie aus dem Jahr 2018 zufolge hat Südtirol bereits im Zeitraum von 2012 bis 2017 rund 800 Akademiker verloren. Toni Tschenett ist besorgt. Der Vorsitzende des Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbunds (ASGB) kennt die Ergebnisse der Arbeitsmarktstudie und ist entsetzt über die „alarmierend hohe“ Abwanderungsrate von Südtiroler Maturantinnen und Maturanten. Tschenett sieht die Gründe des Problems teils hausgemacht, da die Arbeitsbedingungen im Ausland wesentlich attraktiver seien. 

  • Schuld hätten laut Tschenett auch die Wirtschaftsverbände, die tatenlos zusehen würden und endlich spürbare Lohnerhöhungen gewähren müssten. „Denen ist teilweise nicht bewusst, dass es schon nach zwölf Uhr ist“, kommentiert der ASGB-Chef. Demnach würden die Verbände immerzu über den Fachkräftemangel klagen, jedoch wenig dagegen unternehmen. Als schuldig empfindet Toni Tschenett auch die Politik. Er bemängelt, dass die Mehrheit der politischen Entscheidungsträger in den letzten Jahren die Forderungen des ASGB und der anderen Gewerkschaften, den Arbeitsstandort Südtirol attraktiver zu gestalten, größtenteils ignoriert hätten. „Wir dürfen es nicht zulassen, dass unsere talentierten, jungen Menschen dazu gezwungen sind, ihre Heimat für bessere Möglichkeiten anderswo, zu verlassen“, erklärt der Gewerkschaftsvorsitzende. Der Fachkräftemangel schade dem Wirtschaftsstandort Südtirol nämlich enorm. 

  • Sicht eines Studenten

    Alexander von Walther: „Selbst manche Mitglieder der HochschülerInnenschaft Südtirol haben keine Absichten in unsere Provinz zurückzukehren.“ Foto: Privat

    Doch warum kommen im Ausland Studierende immer seltener in ihre Heimat zurück? Warum wandern junge Fachkräfte ab? Und was kann Südtirol tun, um diesen Tendenzen entgegenzuwirken? Darüber weiß Alexander von Walther, Vorsitzender der HochschülerInnenschaft und selbst Student, zu berichten: „Wer nach der Matura, ohne zu studieren direkt ins Ausland geht um zu arbeiten, tut dies meiner Meinung nach bestimmt aufgrund des Gehalts“, meint dieser. Er kenne viele, die im Sektor des Handwerks arbeiten und im Ausland mehr verdienen. Im Obervinschgau würden deshalb zum Beispiel viele in die Schweiz oder nach Österreich gehen um zu arbeiten.

  • Was die Nichtrückkehr von Studenten angeht seien die Gründe schon etwas vielseitiger: „Da wäre neben dem Gehalt zum einen der soziale Aspekt“, erklärt von Walther, „während des mehrjährigen Studiums baut man sich ein soziales Umfeld auf. Je weiter weg man studiert, desto weniger hat man mit Südtirolern zu tun“. Ein weiterer Grund, der Studenten dazu bewegt, im Studienland zu bleiben, seien die bürokratischen Hürden Italiens. Diese würden eine Rückkehr nämlich erschweren. Von Walther sieht auch die Wohnungsnot und die Wohnungspreise Südtirols als Negativfaktor für eine Rückkehr an. Des Weiteren spiele der Fakt, dass viele bereits während des Studiums Arbeitserfahrung sammeln, eine große Rolle: „Es kommt oft vor, dass den Studenten nach dem Abschluss eine Arbeit angeboten wird. Diese entscheiden sich dann häufig vor Ort zu bleiben.“, so der HochschülerInnenschaft Vorsitzende. 

     

    „Während des mehrjährigen Studiums baut man sich ein soziales Umfeld auf. Je weiter weg man studiert, desto weniger hat man mit Südtirolern zu tun.“

     

    „Ein ganz großes Problem der kommenden Jahre wird bestimmt, dass diejenigen, die sich nach dem Studium oder der Matura dazu entschließen im Ausland zu arbeiten nicht mehr zurückkommen werden. In der Mitte seiner Zwanziger wird der Mensch nämlich sesshaft, kauft sich eine Wohnung und gründet vielleicht eine Familie“, stellt von Walther fest und fügt an: „Diese Menschen dann nochmal zurückzuholen wird sehr schwer.“

    Der in Innsbruck Studierende möchte nach Abschluss seines Studiums wieder nach Südtirol zurückkehren. Damit es gelingt auch andere von diesem Schritt zu überzeugen, müssen, dem Jus-Studenten zufolge, auf jeden Fall Anreize gesetzt werden: „Es braucht eine gute Wohn- und Lebenshaltungspolitik, eine Erhöhung der Gehälter, verbesserte Steueranreize für Jungakademiker.“ Letztlich müsse auch an der Lebensqualität junger Menschen gearbeitet werden. In Sachen Kultur oder Nachtleben hinke die Provinz Bozen hier noch nach, schließt von Walther ab.