Kunst | Museion

100 Jahre Leben und 10 Jahre Tod

Reges Interesse bei Presse und Co fanden die neuen Ausstellungen in der Museion Passage „Poetry in the Box“ und „Adolf Vallazza 100“ die heute vorgestellt wurden.
Poetry in the Box, Museion
Foto: SALTO
  • Zwischen den vielen Danksagungen zur Eröffnung, die Präsidentin der Stiftung Museion, Marion Piffer Damiani, Bürgermeister Renzo Caramaschi, Direktor Bart van der Heide und weitere vornahmen, dauerte es einen Moment bis im Museion über die eigentlichen Kunstwerke gesprochen wurde. Der fast Jubilar Vallazza (am 22. September wird es soweit sein) saß sichtlich zufrieden in der ersten Reihe und überließ die Präsentation der Ausstellung anderen. Bis es zu dieser kommen sollte, war es vor allem der Bürgermeister, der aufhorchen ließ. Er habe sich angesichts divergenter Ideen im Stadtrat („von Experten, Stadträten, die alles wissen“), gezwungen gesehen zu unterstreichen, dass man nichts von den Fantasien zu „Raus mit dem Neuen“ halte und verteidigte somit das nach Ausstellungsumbau wieder eröffnete Museion.

    Beide Ausstellungen, „Adolf Vallazza 100“ und „Poetry in the Box“ werden die Besucher des Museion in der Passage, dem Erdgeschoss und damit im frei ohne Eintrittskarte zugänglichen Bereich des Museums für Moderne Kunst auffinden. Zuerst zeigt sich einem die Werkauswahl zu Vallazzas Jubiläum: große, freistehende Totems des Geschichtenerzählers, der in Holz arbeitet (ca. 1980-2009) und Auszüge aus einem reichen, oft komplementärem Grafikschatz in Vitrinen an den Wänden (ca. 1975-2015).

  • Reges Interesse: Für leere (und volle) Schachteln zog es heute einige ins Museion. Das dürfte auch mit der Anwesenheit Vallazzas selbst zu tun haben. Foto: SALTO

    Ich muss gestehen, dass es auch mir mit Anfang 30 schwerfällt, mir eine Südtiroler Kunstlandschaft ohne Adolf Vallazza vorzustellen. Bereits zu Mittelschulzeiten - als Teil der Hausaufgaben im Kunstunterricht - hatte ich das Glück, eine von Vallazzas Ausstellungen zu besuchen und darin allerhand Spannendes, wenngleich zu diesem Zeitpunkt auch noch Unverständliches zu entdecken. Vielleicht liegt auch darin eine Stärke der langlebigen Kunst Vallazzas, nämlich, dass man sich bereits bei einer oberflächlichen Betrachtung am richtigen Ort befindet.

    Elena Bini erklärte bei der von der Gruppe Museion Passage kuratierten Schau im Holz - für Vallazza „ein herrliches Material“ - auch so etwas wie eine „Himmelsrichtung“ des Schaffens des Künstlers zu sehen. Der Auswahl an Werken stehen auch zwei Dokumentarfilme zur Seite, der eine kommt deutschsprachig aus dem RAI-Archiv, der andere ist Lucio Rosas Beitrag. Der zweite, in italienischer Sprache abgedrehte Dokumentar verdient, in Anbetracht des Ablebens des Fotografen und Dokumentarfilmers im November, besondere Aufmerksamkeit. Unter anderem wird darin auch der glückliche Weg Vallazzas zum richtigen Holz erzählt, als das bevorzugte Holz noch Olive war und der Nachbar eine Lieferung an Brennholz erhielt. Seitdem setzt Vallazza auf sein wiederverwertetes Material, das sowohl Spuren von Natur- als auch Kulturgeschichte in sich eingeschrieben hat.

    Ein weiteres Kapitel soll in Zusammenarbeit mit Tanz Bozen geschrieben werden: Für den 9. Mai ist ein Exzerpt für zwei Tänzer in den Rollen Adams und Evas angesetzt, das sich um eines der Totems abspielen wird.

  • Ugo Carrega & der Mercato del Sale

    „Poetry in the Box“ präsentiert sich ein bisschen bedeckter. Die auch im Cubo Garutti als Zweigstelle anwesende Ausstellung in der Seitennische der Passage wurde in Zusammenarbeit mit dem MART in Rovereto realisiert. Anlässlich des 10-jährigen Gedenkens an Ugo Carrega sowie des 50-jährigen Jubiläums seines „Mercato del Sale“, haben Ugo Carrega und Frida Carazzato, wissenschaftliche Kuratorin des Museion und Duccio Dogheria, Kurator und Forscher am Archivio del ’900 des MART, gemeinschaftlich ein Konzept entwickelt, das die Schachtel als zentrales Element im Werk des Künstlers, Galeristen, Dichters, Verlegers und Kurators aufgreift und zu nutzen weiß.

    Das vielfältige Schaffen des, oft recht unterkühlt als „operatore culturale“ bezeichneten Künstlers, auf das 65 Schachteln aufgeteilt sind, wird durch weitere, den Maßen der Originale nachempfundenen Schachteln ergänzt und zur Ausstellungsarchitektur. Den vielen radikal-minimalistischen Bild- und Wortexperimenten gibt die Abgrenzung von einander in Boxen mehr Raum und die Möglichkeit, auch einzeln und nicht als Ensemble zu wirken. Vergleichbar wäre das vielleicht mit einer Lyrikanthologie, die beschließt, Texte einzeln aufs Blatt zu setzen, statt sie zu drängen.

  • Boxen: Mit viel Sinn für Vertikalität und mit Sinn für den Blick des Besuchers hat man aus vielen weißen, rechteckigen Schachteln gelungene Ausstellungsarchitektur verwirklicht. Foto: SALTO

    Ohnehin gäbe es viel, das sich in die Schau drängen möchte: Im Kleinstformat des Museion, dem Cubo Garutti in der Bozner Sassari-Straße findet sich sogar durch eine von Carrega realisierte „Kofferausstellung“ eine Schau in der Schau. Hinzu kommen noch rund 60 von Carrega publizierte Bücher, die durch ein Digitalisierungsprojekt des MART über einen QR-Code eingesehen werden können. Gleichzeitig gilt es aber zu betonen, dass auch der Kulturarbeiter Carrega hier eine Würdigung erfährt, da Werke von Kolleginnen und Kollegen in Konversation zu seinen eigenen gesetzt werden. Mehrfach vertreten sind dabei etwa auch Elisabetta Gut, Vincenzo Ferrari, Anna Oberto und Lilliana Landi. Allgegenwärtig ist dabei der Gedanke eines „symbolischen Schreibens“, bei dem sich Bild und Textebenen ergänzen und kein Hierarchiegefälle besteht. Auf dieser Suche nach dem „New Writing“ war die im April 1974 eröffnete Galerie „Mercato del Sale“ in Mailand Carregas. Das Ergebnis beim Schöpfen aus den Archiven bei einem gemeinsamen Schwerpunktthema von MART und Museion, der visuellen Poesie, präsentiert sich frisch. 

    Vielleicht ist die „Schachtel“ oder „Box“ als Metapher auch noch aus einem anderen Grund die richtige: sie unterstreicht, dass wir uns im Archivarischen bewegen und dass, auch angesichts aller Revolutionarität der Werke im vergangenen Jahrtausend diese mittlerweile eine gezähmte und in gewisser Weise auch eine in die Normalität eingegangene ist.