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Freunde unter sich

Vor 30 Jahren wurde der Streit zwischen Österreich und Italien um Südtirol offiziell beigelegt. Doch die Geschichte bleibt hochaktuell – und von Männern dominiert.
30 Jahre Streitbeilegung
Foto: LPA/Ivo Corrà

Das letzte Wort des Abends fällt gegen 19.30 Uhr. Mit einem “Donkschian!” verabschiedet sich Musiker Herbert Pixner von der versammelten Prominenz, die am Samstag (11. Juni) gute zwei Stunden lang im Stadttheater von Bozen ausgeharrt hat, um den Feierlichkeiten zu 30 Jahren Streitbeilegung beizuwohnen. Im Juni 1992 haben Italien und Österreich die Auseinandersetzung um die Rechte und den Status von Südtirol in hochoffizieller Form beigelegt. Es war der SPÖ-Außenminister Bruno Kreisky gewesen, der die Südtirolfrage Anfang der 1960er Jahren vor die UNO gebracht hatte. Drei Jahrzehnte später, am 19. Juni 1992, überreichte Österreich Italien vor dem UN-Sekretär Boutros Boutros-Ghali die Notifizierungsurkunde, mit der die Südtirol-Frage formell als abgeschlossen erklärt wurde. Acht Tage zuvor hatte der damalige österreichische Außenminister Alois Mock (ÖVP) die Erklärung über das Ende des Streits dem italienischen Botschafter in Wien Alessandro Quaroni übergeben – nachdem Anfang Juni die Abgeordneten zum Nationalrat in Wien (mit Ausnahme der FPÖ) ihr Sanctus gegeben hatten. 

“Österreich, Italien und den Vertretern beider Teile Tirols [ist es] nach zähen und oft harten Verhandlungen gelungen, einen internationalen Streitfall, der immerhin seit über drei Jahrzehnten bei der UNO anhängig ist, so zu lösen, daß nunmehr an die Abgabe der offiziellen Streitbeilegungserklärung gedacht werden kann.” Das teilte Alois Mock dem österreichischen Parlament am 5. Juni 1992 mit. Österreich und Italien sei es im Falle Südtirols gelungen, “der Staatengemeinschaft zu zeigen, wie ein Nationalitätenkonflikt in einem neuen europäischen Geist gelöst werden kann – im Rahmen eines Europas, das nach der Einheit in der Vielfalt strebt, im Rahmen eines Europas, das Integration mit regionaler Zusammenarbeit und Supranationalität mit dem Grundsatz der Subsidiarität zu vereinen sucht, auch wenn sich auf diesem Weg gelegentlich Rückschläge ereignen”.

 

Wie hochaktuell diese Worte 30 Jahre später noch sind, zeigt sich am Samstag. Mocks aktueller Nachfolger Alexander Schallenberg betritt um 18.21 Uhr als dritter Festredner die Bühne des Bozner Stadttheaters und sagt: “Heute ist die Südtirol-Autonomie ein Erfolgsmodell für die friedliche Lösung von Minderheitenkonflikten”, dessen Zutaten auch vor dem Hintergrund der heutigen Konflikte – der österreichische Außenminister nennt die Ukraine und den Westbalkan – alles andere als selbstverständlich seien. Schallenberg nennt Dialog- und Kompromissbereitschaft, gegenseitigen Respekt und Vertrauen als Grundvoraussetzungen, dank derer die zehrenden Verhandlungen um die Südtirol-Frage zu einem Ergebnis geführt haben, mit dem alle Seiten zufrieden waren: eine weitreichende Landesautonomie, international verankert und von Österreich als Schutzmacht überwacht.

 

“Das Südtiroler Modell gewinnt in einem historischen Augenblick wie diesem noch größere Bedeutung, weil es ein Beispiel für die friedliche Lösung eines internationalen Konflikts dank der Achtung und der Miteinbeziehung von Minderheiten und der nationalen Souveränität darstellt”, pflichtet Luigi Di Maio bei. Der amtierende italienische Außenminister betritt zehn Minuten nach Schallenberg als letzter Redner des Abends die Bühne. Den Auftakt hatte Arno Kompatscher gemacht. Der Landeshauptmann verwies – ganz im Sinne der Worte von Alois Mock – auf die Rückschläge, die die Autonomie seit der italienischen Verfassungsreform von 2001 erlitten habe. “Zentralistische Tendenzen” in Italien und Urteile des Verfassungsgerichtshof haben Kompetenzen rückgebaut und eine Weiterentwicklung der Autonomie verhindert, so Kompatscher. “Ich bin jedoch davon überzeugt, dass diese Problemstellung wie in der Vergangenheit im gemeinsamen Dialog und im Austausch überwunden werden kann.”

Die eindeutig flammendste und am wenigsten diplomatische Rede hielt nach Kompatscher der UN-Sonderberichterstatter für Minderheitenschutz Ferdinand de Varennes. Er mahnte die anwesenden politischen Verantwortungsträger aus Italien, Österreich und Südtirol an, ihre Erfahrung, die gewonnen Erkenntnisse in die Welt zu tragen. Die geteilte Verantwortung bedinge die Verantwortung, zu teilen, so de Varennes.

 

Freundschaftlich in Ton und Gesten, gelungen in der Organisation und ohne Zwischenfälle – einzig eine Fliege, die vor dem Videoprojektor herumschwirrte, vermochte die Veranstaltung zu stören – ging der Festakt am Samstag über die Bühne. Gedacht und gedankt wurde auch den vielen “Vätern” der Südtiroler Erfolgsgeschichte. Bezeichnend dafür, dass diese Geschichte in der breiten Wahrnehmung bis heute von Männern dominiert wird, ist die Tatsache, dass am Beginn der Feierlichkeiten mit Landtagspräsidentin Rita Mattei just die einzige weibliche hohe Amtsträgerin vergessen wurde, namentlich zu begrüßen. Und neben Moderatorin Karin Gschnitzer schaffte es als Frau einzig Heidi Pixner auf die Bühne – zusammen mit ihrem Bruder Herbert, Manuel Randi und Werner Unterlerchner vom “Herbert Pixner Projekt”, das am Ende für Standing Ovations sorgte. Nicht nur musikalisch vermochte die Erfolgsgruppe ein Statement zu setzen – Herbert Pixner nutzte die seltene Gelegenheit, um eine politische Botschaft zu lancieren: “Vielleicht sollten wir alle, wie wir hier sitzen, uns etwas mehr um unsere Welt kümmern. Weniger reden, mehr tun.