Kultur | Salto Afternoon

Vielsprachig viersprachig

Mit großem Andrang an Teilnehmer:innen in der vielsprachigen Vorrunde 1 versprechen die diesjährigen Landesmeister:innenschaften im Poetry Slam heiß umkämpft zu werden.
LM23, Vorrunde 1: Gruppenbild
Foto: Privat
Auf Deutsch, Italienisch, Englisch und Ladinisch wurde geslammt. Dies nur schon einmal die sprachliche Bilanz, bei welcher Dialekte noch nicht einmal mitgezählt sind. Im kleinen Keller des Waaghauses (der Slam galt zugleich als WAAG Slam Nummer 4) saß das Publikum auch auf den Treppen, die Liste der Teilnehmer:innen hatte wiederum eine Warteliste, da man in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht hatte, dass mehr als 10 Slammer:innen einen Abend zu sehr dehnen. Von diesen 10 sollten dann die besten vier noch einmal antreten und, in Summe mit der Wertung aus der Vorrunde entschieden werden, welche drei Personen einen Finalplatz bei den Landesmeister:innenschaften erhalten sollten.
Als erste stellte sich dem Publikum und den Punktwertungen außer Konkurrenz Filomena Hunglinger, welche ihr englischsprachiges Liebesgedicht „Colored Compliments“ über Farben und eine Paarbeziehung im Gepäck hatte, vielleicht auch zur Erinnerung daran, dass wieder Juni ist, wenn nicht, so doch passend. Ein bunter Text, der etwas mäandrierte und am Ende bei 26,2 Punkten zum Stehen kam.
Die aus Wertungssicht immer besonders schwere Startnummer 1 hatte Sarah Meraner, mit „Sterne lügen nicht“, einem Text der nicht an Astrologie-Fans adressiert war, sondern an einen „Machoarsch“. Es ging darum, dass Frauen zwar in der Sprache immer „mitgemeint“ seien, aber ein Sternchen (oder auch ein Doppelpunkt oder Binnen-I) es schaffen würde, sie nicht aus der Sprache selbst auszuklammern. Meraner rief das Publikum auf, gegen diese linguistische Ungerechtigkeit den Stift zu erheben, was nicht schwer ist. Schade, dass der Text mehrheitlich mit männlichen (einsilbigen) Endreimen geschrieben wurde, nur weibliche (mehrsilbige) Reime zu verwenden, hätte auch ein Statement sein können (und klingt runder).
 
LM23, Vorrunde 1: Sarah Meraner
LM23, Vorrunde 1: Sarah Meraner zeigte mit dem ersten Wettkampftext, dass wohl wenig bis keine Machoärsche im Publikum saßen. | Foto: Lene Morgenstern
 
Yomer dramatisierte in „L ultimo bus della fine del mondo“ seine Erfahrung, in pandemischen Zeiten zu Jahresende einen Flixbus vom Süden in den Norden Italiens zu nehmen und lieferte den ersten Italienischen Text inklusive Dialektelementen ab. Über Infrastruktur, die nur die Notizen einer Autobahn seien die nie fertig gestellt wurde, klatschende alte Damen und den Umstand, dass scheinbar niemand über Kopfhörer verfügte, hatte er humoristisch viel auszusetzen. Um den Startpositionen 1 und 2 bessere Chancen zu bieten wurden die Texte im „Vergleichsvoting“ bewertet, also nicht wie sonst üblich direkt nach der Performance. Es gab für Meraner 25,2 und für Yomer 25,1 Punkte. Bei beiden starken Auftritten reichte dies um eine Runde weiter zu kommen.
Verena Clara schrieb vom Schreiben, ein Hoch auf Kreativität und das Menschsein mit seinen Schattenseiten, die zum Teil Ringe unter unsere Augen zeichnen können. Die Augen funkeln dennoch und sie sprach auch, in schönen, vollen Reimen vom „Gefühl, dass wir uns selbst oft fehlen“. Ein Text mit Tiefgang und leichtem Kitschfaktor, welcher den Finaleinzug denkbar knapp verpasste: Mit nur 0,1 Punkten Rückstand hätte sie sich einen zweiten Auftritt verdient gehabt.
Den zweiten englischen Text lieferte Eleonora Conte ab, die in ihrem Antrittsstatement nicht weniger versprach als einen Text, der das Leben der Zuhörer verändern könne. Dabei pochte sie auf den Unterschied nicht ein „human being“ zu sein, sondern einfach ein „human“. Mit dem „sein“ sei aufzuhören und mit dem „leben“ zu beginnen. Auch eine Botschaft zum rücksichtsvollen Umgang mit unserem Planeten fand noch Platz in dem Text.
Auf dem fünften Startplatz trat Nathan Laimer mit seiner Vorstellung für „Eine fast perfekte Zukunft“ an. Erstaunlich war dabei auch das Maß an Routiniertheit in der Performance, welches der Oberschüler an den Tag legte, während er sich mit performativem Pathos von einer sozialen Ungerechtigkeit zur nächsten slammte und überraschende Wendungen ablieferte. Dabei radikalisierte sich sein sprachlicher Widerstand gegen den Status quo, in welchem alle gleich, aber manche gleicher sind und Krisen auf die lange Bank geschoben werden. Laimer endete subversiv mit einem abgelesenen Statement (der Rest des Vortrags war frei, womit es sich um ein Stilmittel handelte), welches den Aufruf zum gewaltsamen Aufstand zur künstlerischen Provokation erklärte. Punktlandung in allen Belangen bei verdienten 29,4 Punkten hieß für Laimer, auf in Runde 2.
Mit Adam Dalpiaz folgte ein weiterer Schüler, der in überspitzt lethargischer und niedergeschlagener Manier dem Schreibauftrag seines Griechischprofessors folgte. Seine Fantasie ließ ein skurriles, junges Freundespaar - der ödipal angehauchte Protagonist auf der einen, ein von fahrenden Minnesängern und Poesie Besessener auf der andere Seite - in Vierschach aufeinandertreffen. Leider wurde die Zeit seines Auftritts zu knapp, so dass die Geschichte nicht wirklich zu einem Ende fand.
Als siebte betrat Silva Manzardo die Bühne, die wie bei vergangenen Auftritten erst mit dem Publikum auf Italienisch quatschteum dann zu einem kurzen Gedicht überzugehen. Da beides im 5-minütigen Zeitlimit unterkam, eine zulässige Option. Diesmal ging es ihr um die Liebe und ihren persönlichen Astigmatismus in Beziehungsfragen, aber auch darum, wie eine Frühjahrsliebe den Alltagstrott aufzubrechen vermag, selbst wenn kein Happy End dabei rausschaut. Humoristisch hatte die Lehrerin das Publikum (mit hohem Schüleranteil) dabei rasch auf ihrer Seite und kam, exakt wie Meraner, auf 25,2 Punkte. Damit stand die Konstellation für Runde zwei nach dem siebenten Auftritt, es folgten jedoch weitere solide Auftritte.
 
LM23, Vorrunde 1: Silva Mazardo
LM23, Vorrunde 1: Silva Mazardo dachte über Liebe und die eigene Lernresistenz in Beziehungsfragen nach. | Foto: Lene Morgenstern
 
Die zweitälteste Slam Dame Südtirols, Helga Stockreiter sinnierte tagesaktuell, wenngleich inhaltlich plaudernd im Dialekt - wer ihren Stil kennt weiß, was damit gemeint ist, „gell?“ - zu ungewünschten Gästen im Land. Ein Zuviel an Touristen, sowie Wolf und Bär machte sie dabei aus. Ihre ironische Aussicht, dass letztere zu Veganern werden würden, wenn die Bauern keine Schafe mehr auf die Alm treiben könnten, teile ich nicht.
Franzi Patzleiner performte, inklusive pantomimischer Darstellung eines unsichtbaren Schlüssels, was wohl nicht als unerlaubte Requisite gilt, eine Öffnung ihrer Innenwelt, mit leicht schrägen Metaphern aber großem emotionalem Mut. Am Ende öffnet sie die Tür, an welche ihr Weg sie führt und wirkte sichtlich erleichtert.
Ja, auch einen ladinischen Text hatte die Publikumsjury am Ende von Runde 1 zu werten: Rut Bernardis auf Diphthongen (ein Laut mit mehr als einem Vokal innerhalb derselben Silbe) aufbauender Text, hatte aber auch Nichtsprecher:innnen wie mir etwas zu bieten. Die Musikalität, welche durch die mal polternde, mal singende Prosodie der Sprache entstand, war nicht nur unterhaltsam, sondern auch schön. Für den Text gab es unter anderem eine 8,9 mit eingeklammerter 15, wenn es nur um die Musikalität gegangen wäre von einer der Jurorinnen.
In Runde 2 entschied das Los, dass Nathan Laimer den Anfang machen sollte, welcher sich Gedanken zum „Sauhaufen“ seines Lebens machte, in einem Text, der sehr gute 28,2 Punkte erzielte, aber ein gutes Stück schwächer war, als sein erster. Es ging Laimer um die Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass seine Kreativität aus schweren Zeiten und Problemen in seinem Leben resultierte und er in „guten“ Zeiten Schwierigkeiten mit dieser Kreativität hat. Ein für häufiger Slams beiwohnenden Personen etwas verbrauchtes Thema.
 
LM23, Vorrunde 1: Nathan Laimer
LM23, Vorrunde 1: Nathan Laimer versteht das Format und slammt trotz junger Jahre wie ein alter Hase. | Foto: Lene Morgenstern
 
Yomer ließ das Publikum zwischen einem Text zu einem „gatto“ oder zu einem „culo“ wählen und schlußendlich waren mehr Katzenfans als Popofans anwesend. Humorvoll und ohne Tabus legte er die Vorteile eines Katzen- gegenüber einem Hundelebens offen, und ließ es sich nicht nehmen, nach einer kurzweiligen Performance dem Publikum „Miau“ zu sagen.
Silva Manzardo kam wieder ins Plaudern, erklärte, wie es zu ihrem dann doch sehr überraschenden Gedicht kam. Die Italienisch-Lehrerin an einer deutschsprachigen Schule wagte sich an ein Dialektgedicht heran, das einfach aber glaubhaft vom Gefühl sprach, nicht ganz dazu zu gehören. „Dechtersch“ erhielt sehr gute 29,2 Punkte, die nicht nur, aber auch auf Sympathien zurückzuführen sein dürften.
Sarah Meraner, welche den Abend eröffnet hatte, schloss ihn mit einem gänzlich anderen Text: Sie verdichtete fesselnd die Erfahrung einer Freundin mit häuslicher Gewalt zu einem Text, der sich wie ein Kloß im Hals anfühlte. Das Publikum schenkte ihr dafür nicht nur Applaus und 28,1 Punkte, sondern auch die vollkommenste Stecknadelstille des Abends.
Nach mehrfachem Nachrechnen (es wurden Runde 1 und 2 summiert) stand fest: Nathan Laimer gelang der Tagessieg (für den es eine Kiste voll Zitronen gab), Silva Manzardo und Sarah Meraner lösten als zweite und dritte ihr Finaltiket. Yomer hätte sich, wie mindestens zwei weitere starke Kandidat:innen etwas mehr Wertungsglück verdient gehabt.
Es war ein schöner Abend, auch wenn am Ende etwas bitter ist, dass die Anzahl der Finalplätze aus nachvollziehbaren Gründen derart limitiert ist, gerade wenn es bei einem Slam wieder einmal „um etwas geht“. Aber, wie sagte schon der Dichter Allan Wolf, der das Format im Südosten der USA etablierte: „The points are not the point; the point is poetry.“