Bezirksgericht Bruneck: Tränen beim Aktenpacken
Update: Während das Gericht in Meran definitiv schließt, gibt es für das Bezirksgericht Bruneck eine sechsmonatige Übergangsfrist. Kanzleileiter Herbert Niederkofler hatte am gestrigen 13. September diese Hoffnung ausgesprochen, am Nachmittag kam die Bestätigung. Zumindest die "volontaria" kann in Bruneck vorläufig belassen werden. Heißt konkret: Das Grundbuchsamt und der Dienst für Vormundschaftsfragen werden weiterhin über eine sogenannte Anlaufstelle in Bruneck geregelt. Wie die personelle Besetzung aussieht, ist noch unklar. "Der politische Schein wird damit gewahrt", hatte Niederkofler sarkastisch bemerkt. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. "Dann ist halt einer da, der die Stempel auf die Papiere raufdrückt", formuliert es ein Anwalt im Hintergrund. Ein Bezirksgericht ist etwas anderes.
Bezirksgericht Bruneck - der 13. September ist da. Aufbruchstimmung, Kartone in den Gängen, offene Türen, Bürger, die ihre Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung abholen. "Die rennen uns schon seit einer Woche die Türen ein", sagt der Kanzleileiter Herbert Niederkofler. Alle sind beschäftigt, im Büro von Anna Maria Engl sind die Regale leer geräumt. Sie sitzt hinter dem Schreibtisch. Irgendwann, im Laufe des Gesprächs, kommen die Tränen, die Anspannung war groß in den letzten Wochen, das Kämpfen auch. Die Gerichtskanzlistin sitzt am Schreibtisch, versucht sich zu konzentrieren, erzählt von dem was war, will bei den Fakten bleiben. Doch die Enttäuschung über „die Art, wie mit den Leuten umgegangen wird“, kann sie nicht verstecken. „Als Nummer gesehen zu werden, tut weh?“, ist die Frage. „Ja“, antwortet Engl. „Ja.“ Und dann schaut sie weg. „Die Leute sollen wissen, dass sie nicht mehr zu uns kommen können“, sagt die Gerichtskanzlistin. „Erst heute morgen hat mir jemand zugerufen: 'Fein, noa kenntas jo in Bruneck bleiben. Und ich muss sagen, nein, es stimmt nicht, was ihr in den Zeitung gelesen habt.“
Im Brunecker Bezirksgericht werden am 13. September die Kartone gepackt. Faszikel verschnürt, Ordner verstaut, Schreibtische leer geräumt. „Die Kopiermaschine haben sie gerade im Lastwagen verpackt“, sagt eine Mitarbeiterin. „Freitag der 13.“, eben, fügt Niederkofler hinzu, „die Emotionen schwappen bei uns allen immer wieder über.“ Seit Jahren arbeiten die Angestellten an der Gerichtsstelle zusammen, eine eingeschworene Gemeinschaft, die mit gebrauchten Möbeln der Gemeinde haushaltete. „Wir sind nicht anspruchsvoll“, sagt Engl, „wir haben immer versucht, unsere Sache gut zu machen und wir kamen gut miteinander aus. In Bozen muss man für eine Kaffeepause eine Begründung vorlegen.“ Von dort her weht der Wind der Zentralisierung und von dort her kommt auch die nicht explizit ausgesprochene Botschaft, wir sollten „nicht jammern, sondern froh sein, dass es eine Arbeit gibt.“ Bis zum 11. September bangten die neun Mitarbeiter am Brunecker Bezirksgericht, wie und wo sie stationiert werden können. Bis heute ist nix fix.
Der Feind sitzt in Bozen
Was fest steht, ist die Leerräumung der letzten Pustertaler Gerichtsstelle.„Se ce la facciamo, andiamo a Bressanone questo pomeriggio“, sagt einer der Lastenträger. Voll bepackt verlassen die Arbeiter das Gerichtsgebäude, „arriviamo anche la prossima settimana, c'é ancora tanto da portare via.“
Mit der Aktenfülle hatte wohl niemand gerechnet. Genauso wenig wie die Angestellten im Bezirksgericht wissen, wohin ihre Akten geräumt werden, genauso wenig wissen sie, wo sie arbeiten werden. „Mit Hilfe des Interpello, der als Stellenwahl bezeichnet werden kann, haben wir uns bei den verschiedenen Gerichtssektionen gemeldet: Oberlandesgericht, Staatsanwaltschaft, Staatsanwaltschaft am Jugendgericht“, erklärt Niederkofler. Und Anna Maria Engl unterstreicht: „Nein, zum Landesgericht will niemand. Da krieg ich es eher zu hören, dass wir uns für den Erhalt des Bezirksgerichtes eingesetzt haben.“ Schlechte Stimmung für einen Neubeginn, die Historie der Bezirksgerichte belegt immer wieder Beschneidungen und Zentralisierungsgedanken.
Der Eindruck entsteht bald, mit dem Interpello setzen die Brunecker, aber auch die Meraner Angestellten am Bezirksgericht ein Zeichen. Der Pfeil soll sie treffen: die Bozner Richterschaft und mit ihr Elisabeth Roilo. Ihr Gutachten, das vor zwei Wochen beim Richterrat in Trient hinterlegt wurde, hatte jegliche Illusion begraben. Für die Außenstellen hatte sie sich nicht stark gemacht, ihr Antrag vom Juni 2013 war „halbherzig“, treu verfolgte sie die Linie Zanons: „Alle Außenstellen müssen geschlossen werden.“
In Bozen sitzen die Verräter, um es platt auszudrücken, „in Bruneck die Mafia, ja, so wurden wir bezeichnet“, sagt Engl verbittert. Peripherie gegen Zentrum. Einsparungswut gegen Bürgernähe.Der Rekurs der Anwälte hat nicht gegriffen.
Witze in der Not
Im Gang stehen vier Rechtsanwälte, sie witzeln „wenn wir das Gebäude schon für zwei Jahre verwenden können wie die Cancelliere sagt, dann können wir ja unsere Büros hierher verlegen.“ Sie lachen, einer meint: „Ein bisschen mehr Organisation wäre nicht schlecht. Ich hab nächste Woche eine Verhandlung in Meran.“ Meran? Die Gerichtsstelle wurde schon aufgelassen, obwohl ein Einzugsgebiet von über 100.000 Menschen den Bestand dort mehr als rechtfertigen würde.
Lesen Sie mehr zur Schließung der Meraner Gerichtsstelle in der Südtiroler Tageszeitung.
Wo die Verhandlung des Rechtsanwaltes aus Bruneck nun statt findet und ob überhaupt, wer weiß das schon? Chaotische Zustände, „so geht es Anwälten im ganzen Land“, erzählt Othmar Walde, er hat eine eigene Kanzlei in Bozen, wohnt in Bruneck. Pendeln ist für ihn nichts Ungewohntes. „Typisch Italien halt, ein Gesetz wird durchgeboxt, über die Durchführung, die Sinnhaftigkeit und die tatsächliche Einsparung hat sich niemand Gedanken gemacht. Alle Akten kommen jetzt nach Bozen, doch wer hat dort schon Zeit, diese zu sortieren?" Er nimmt es gelassen und fügt hinzu: "Und vielleicht sind die Akten in einer Woche wieder in Bruneck.“
Der Transport der Kartone geht indes über die Bühne, für eine Beschriftung bleibt keine Zeit: „Hätten sie uns wenigstens eine Übergangszeit von sechs Monaten gewährt, um eine ordentlich Übergabe in Bozen zu vollziehen“, sagt Niederkofler, „bis jetzt war ja die Hoffnung da, dass wir vielleicht doch bleiben können.“ Ganz begraben ist eine Sache noch nicht: „Archivbelange und Vormundschaftssachen sowie Grundbuchdekrete könnten in Bruneck bleiben, das liegt jetzt im Ermessen des Landesgerichts.“ Bis zum 16. September weiß man in Bruneck mehr. Ob das Gebäude des Gerichts, welches für zwei Jahre genutzt werden darf, auch wirklich genutzt werden kann. „Das ist der Schein, den die Politik wollte, dann steht vorne nicht mehr Gericht drauf“, sagt Niederkofler sarkastisch, „sondern eben Anlaufstelle.“ Der Anwalt aus Bruneck bleibt nüchtern: "Es ist alles gelaufen, so wichtig sind wir in Rom wirklich nicht. Die wissen ja zum Teil nicht mal wo Südtirol ist."
Engl relativert: „Die Politiker haben sich schon eingesetzt, aber wir waren spät dran.“ Verantwortlich sind ihrer Meinung nach die Richter in Bozen, „denen ist es lieber, wenn wir drinnen arbeiten, dann können sie sich ihre Arbeit besser einteilen.“ Rücksicht auf Bürgeranliegen oder Mitarbeiterbefindlichkeiten wird nicht genommen. „Mit der Frau Roilo hab ich persönlich nie gesprochen“, sagt Anna Engl, „wir sind ja nur Personal.“ Eine Mitarbeiterin kommt aus dem hinteren Teil der Büroanlage, "vor anderhalb Jahren hab ich von unserem Büro geträumt. Es war verschimmelt und leer." Träumen gehen manchmal in Erfüllung.