Chronik | Expo

Verkehrte Weltausstellung

Die Mailänder Weltausstellung sucht innovative Ideen gegen den Welthunger. Konzerne sind vertreten die damit nichts am Hut haben. Länder führen Pavillons um für sich zu werben.

Gemäß Daten von UN-Institutionen, die sich um Landwirtschaft und Ernährung kümmern, leiden immer noch 800 Millionen Menschen auf der Welt an Hunger. Etwa eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Kehrseite der Medaille sind rund zwei Milliarden Menschen die an den Folgen von Übergewicht zwangs üppiger, qualitativ-schlechter Nahrung leiden. Gleichzeitig verkommen jährlich cirka 1,3 Milliarden Tonnen an Nahrung oder werden weggeworfen. Es entspricht ungefähr dem Vierfachen der Nahrung, die nötig wäre, um alle unterernährten Personen auf der Welt mit Lebensmitteln zu versorgen.

Feeding the planet. Energy for life

Unter dem Motto „Den Planeten ernähren. Energie für das Leben.“ steigt dieses Jahr die Expo in Mailand, und dauert noch bis zum 31. Oktober an. Die an der Weltausstellung teilnehmenden Länder, Organisationen und Unternehmen sollen ihre Kompetenzen im Bereich der Landwirtschaft, Nahrungsmittel-Produktion und wissenschaftlichen Forschung präsentieren und als Modelle für eine nachhaltige Entwicklung Lösungsansätze finden, damit die Menschheit in ausreichendem Maße über gesunde Ernährung verfügt. Die Kosten für das Spektakel belaufen sich auf rund 1,3 Milliarden Euro, wahrscheinlich wird das Event jedoch weit mehr kosten.

Die Expo wurde im Vorfeld von mehreren Problemen überschattet. Im vergangenen Jahr wurden mehrere Expo-Manager wegen Bestechungsvorwürfen festgenommen. Zudem verzögerten sich ständig die Bauarbeiten. In der Kritik ist - wie oft bei Großveranstaltungen dieser Dimension - die künftige Nutzung des Areals: Was mit dem riesigen Gelände am Stadtrand nach der Ausstellung passieren soll, ist bisher niemandem klar. Die meisten Pavillons, die für Millionen erbaut wurden, werden abgerissen. Allein das Pavillon Italiens kostete über 90 Millionen Euro. Nur vereinzelt gibt es kreative Ideen: Die Türme des Schweizer Pavillons sollen später Gewächshäuser in der Schweiz werden. Der Lebensbaum, das Emblem der derzeitigen Expo, soll später in die Mailänder Innenstadt verlegt werden, im Stile der Weltausstellung in Paris, als der Eiffelturm nicht abgebaut wurde, und so bis heute Wahrzeichen schlechthin der französischen Millionenmetropole ist. Und einige Schuhe der Mitarbeiter im deutschen Pavillon sind kompostierbar und können zum Blumentopf umfunktioniert werden.

Lösungsansätze für den Welthunger?

Selbsternanntes Ziel der Weltausstellung Expo sind die Entdeckung und Förderung von Maßnahmen zur Bekämpfung des Hungers in der Welt, die Versorgung mit Trinkwasser, Qualität und Sicherheit der Nahrungsmittel unter Berücksichtigung des Ökosystems, Vorsorge vor den Krankheiten unserer Zeit, Innovationen in Wissenschaft und Technologie zur Erforschung neuer Nahrungsquellen, Verbesserung der Ernährungssituation, Konservierung und Verteilung, Bildung und Erziehung der Jugend zu einer gesunden Ernährung und Wiederentdeckung traditioneller Nahrungsmittel. Schön. In Wahrheit interessieren diese Länder jene Probleme nur bis zu einem gewissen Punkt. Viele Pavillons schneiden diese Bereiche gar nicht an, geschweigedenn präsentieren Lösungsvorschläge. Im hochmodernen Pavillon Angolas sieht man Videos nationaler Starköche, wie sie landestypische Gerichte zubereiten. Dass dabei ein nicht ganz unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung am Hungertuch nagt, wird ausgeblendet. In allen der insgesamt drei chinesischen Pavillons die in Mailand vertreten sind, bemüht sich das Reich der Mitte nur seinen kometenhaften Aufstieg zu stilisieren, neue hochmoderne Züge vorzustellen und Baupläne für die Zukunft zu präsentieren. Lösungsansätze für den Welthunger: Fehlanzeige.

Verkehrte Weltausstellung

Ausgerechnet Unternehmen wie McDonald's, Coca Cola, Nestle, Syngenta und Monsanto gehören zu den Sponsoren der Expo. Viele Kritiker sehen darin einen Widerspruch. McDonald's als Fastfood-Konzern eigentlich der Antiheld zu den Ambitionen der Expo, verfügt über einen riesigen Stand und trägt sicher nicht zur Stillung des Welthungers bei. Nestle, seit Jahrzehnten bemüht um die Privatisierung des Trinkwassers stellt Modelle zu einer gesunden Nutrition vor. Zu einer gesunden Nutrition die eigentlich nur in reichen Industrieländer möglich ist. Auch Nestle wird nicht zur Lösung des Welthungers beitragen. Und nicht zuallerletz Monsanto. Der US-Agrar-Riese hat bereits eine Monopolstellung und kontrolliert über 90 % aller weltweit angebauten transgenen Pflanzen. Dass diese Konzerne der Welthunger nur bis zu einem geringen Maß betrifft, ist glasklar.

Resümee

Hunderte Millionen Menschen leiden an Unternernährung und haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, in den Industrienationen schnellt die Zahl der Fettleibigen in die Höhe, Globalisierung lässt traditionelle Esskulturen verschwinden, die extensive Landwirtschaft vernichtet Biodiversität und Bodenressourcen, Lebensmittel sind Gegenstand von Spekulationsgeschäften, die Meere werden überfischt, und der Hunger der Menschheit wächst mit ihr - die Probleme sind bekannt und groß. Sie sind nicht gerade appetitlich, und sie lassen sich mit vollem Bauch eigentlich auch nicht angemessen diskutieren. Schon gar nicht auf einem riesigen Areal voller Restaurants in kurzlebiger Prestigearchitektur.