Gesellschaft | Freiraum

Ein Haus als Brücke

Ein Kulturzentrum nahe Udine trägt den Namen des Südtiroler Denkers und Politikers Alexander Langer. Gegründet von drei jungen Menschen, für Veränderung im Kleinen.
Foto: Casa Langer

Was würdest du anders machen? Das ist eine der Fragen, die nach seinem Tod auf Alexander Langers Computer gefunden wurden. „Sich diese Frage zu stellen und sich diese Frage etwas öfter zu stellen – das ist es, was junge Menschen von Langer lernen können“, ist Camilla Tuccillo überzeugt. Sie wurde einen Tag bevor sich der aus Sterzing stammende Denker, Aktivist und Politiker am 3. Juli 1995 das Leben nahm, geboren – und hat nun ein Projekt verwirklicht, mit dem nicht nur Langers Geist weiterleben soll, sondern das auch, so Camilla, „Orten wieder einen Wert geben soll, die von der Mehrheitskultur ins Abseits gestellt werden“.

„Casa Alexander Langer“: So heißt das Kulturzentrum, das Camilla Tuccillo gemeinsam mit Paolo Stradaioli und Giulia Guanella in Tarcento in der Provinz Udine ins Leben gerufen hat – und das auch eine Brücke zur slowenischsprachigen Minderheit in der angrenzenden Alta Val Torre/Terska dolina schlagen soll.

 

Das Kleine bewahren

 

Camilla, Paolo und Giulia – alle Jahrgang 1995 – lernen sich im Frühjahr 2022 kennen. Bei einem mehrmonatigen Lehrgang für junges Unternehmertum in Bergregionen, organisiert von der Stiftung Pietro Pittini in Triest bringt Camilla ihre Idee der „Casa Langer“ Paolo und Giulia nahe und holt die beiden mit ins Boot. „Geboren wurde das Projekt aus der Notwendigkeit und dem Willen, einem ländlichen Gebiet einen fixen und zugleich offenen Ort der Kultur zu geben.“ Das ländliche Gebiet, von dem Camilla spricht, ist die Gegend um Tarcento, einer knapp 9.000 Einwohner zählenden Gemeinde 20 Kilometer nördlich von Udine und 15 Kilometer westlich der Grenze zu Slowenien. Die italienischen Faschisten versuchten ab den 1920er Jahren, die slowenische Minderheit im Friaul, ähnlich wie in Südtirol, zu assimilieren: Orts- und Familiennamen wurden italienisiert, der Großteil der öffentlichen Stellen Italienern vorbehalten, Unterricht in slowenischer Sprache verboten. Heute leben die meisten Angehörigen der slowenischen Minderheit in Italien in den Provinzen Udine/Videm, Görz (Gorizia/Gorica) und Triest (Trieste/Trst), mit besonderen Rechten.

Tarcento
In der Grenzregion zwischen Italien und Slowenien: Die 9.000-Einwohner-Gemeinde Tarcento am Eingang der Alta Val Torre/Terska. (Foto: Casa Langer)

 

Die Region um Tarcento ist von der Berglandschaft der Julischen Voralpen geprägt, von Tälern mit kleinen und kleinsten Dörfern durchzogen – eine dieser Gegenden, von der junge Menschen eher weg- denn zuziehen. Anders Camilla. Die 28-Jährige stammt aus Kampanien, hat in Turin Pflanzenbiotechnologie studiert und ist jahrelang immer wieder in die alpine Grenzregion gereist. Beim Besuch des kleinen ethnografischen Museums in Lusevera/Bardo – die Bevölkerung der 600-Seelen-Gemeinde in der Alta Val Torre/Terska dolina nördlich von Tarcento spricht mehrheitlich einen slowenischen Dialekt – werden ihr zwei Dinge klar: „Wie sehr dieses Stück Geschichte von den ,Großenʻ immer vergessen wird. Dabei ist diese Geschichte, diese Kultur etwas Wertvolles, das es zu bewahren gilt.“ La voce dei piccoli ist ein Aufsatz von Alexander Langer, der es Camilla besonders angetan hat. Eine „Stimme der Kleinen“ soll auch Casa Langer werden. Und noch etwas hat die junge Frau beim Museumsbesuch in Lusevera/Bardo verstanden: Sie will hier bleiben. Doch etwas fehlt (ihr): „Der ländliche Raum und Bergregionen sind super lebendig, schnell langweilig wird dir nicht. Und doch gibt es oft keinen Ort für Kultur, der weder an Jahreszeiten noch an Traditionen gebunden ist, sondern ständig bespielt und gelebt werden kann – von allen.“

 

Utopien an der Grenze

 

Zum ersten Mal begegnet Camilla Alexander Langer bei der Lektüre des Buches Il piano Langer von Giuseppe (Pippo) Civati. Zunächst über seine Gedanken zur Umwelt und ihrem Schutz, dann auch über die zum interethnischen Zusammenleben und Minderheiten nähert sie sich Langers Ideen und seinen „konkreten Utopien“ für eine andere, bessere, freundlichere Welt immer weiter an. „Langers Worte und die Worte anderer über ihn waren 100 Prozent das, was ich selbst fühlte und dachte“, erinnert sich Camilla. Bei ihren Aufenthalten im Friaul trifft sie viele Personen, die Langer noch gekannt haben – „er war ja oft hier für Konferenzen sowohl zur Sprachen- als auch zur politischen Frage im Ex-Jugoslawien“ – und so wird es für Camilla immer offensichtlicher, ihr Projekt, das sie in Tarcento verwirklichen will – „ein Ort, der offen für Dialog sein soll, für Menschen, für die Kleinen, für alle Formen des Lebens, eine Brücke zwischen Stadt und Berg, Jungen und weniger Jungen, der italienischen und slowenischen Kultur“ – nur einen Namen tragen kann: den von Alexander Langer.

Casa Alexander Langer
Eine Brücke: Die Verbindungsfunktion der Casa Langer findet sich auch im Logo des Kulturvereins wieder. (Foto: Casa Langer)

 

Mit ihrem Projekt eines „offenen Raumes für Junge, aber auch Erwachsene und ältere Generationen“ überzeugen Camilla, Paolo und Giulia die Stiftung Pittini, die ihnen 15.000 Euro für die Realisierung zuschlägt. Hoch motiviert gehen die Drei ans Werk, unterstützt von der Alexander Langer Stiftung in Bozen und angetrieben von der Überzeugung, als junge Menschen, die sich für ein Leben fern der Städte entscheiden, keineswegs „sfigati“ zu sein. Sondern, im Gegenteil, abseits der urbanen Räume viel mehr Möglichkeiten zu haben.

 

80 Hektar für eine bessere Welt

 

„Die Veränderungen, die wir in der Welt sehen wollen, können nicht stattfinden, wenn wir sie nicht dort stattfinden lassen, wo wir sind und wo wir wirklich konkret handeln können.“ So fasst Camilla sinngemäß die Überzeugung von Alexander Langer zusammen, nach der sie auch ihr Projekt in Tarcento ausrichtet. Der amerikanische Autor Kurt Vonnegut habe es einmal in einem Vortrag vor Studierenden passend auf den Punkt gebracht, meint die 28-Jährige: „Man nannte euch Generation X. Aber ihr gehört genauso zur Generation A wie Adam und Eva. Nach dem, was ich im Buch Genesis gelesen habe, hat Gott Adam und Eva nicht einen ganzen Planeten gegeben. Er gab ihnen ein Grundstück von überschaubarer Größe, sagen wir, nur um des Arguments willen, achtzig Hektar. Und ich würde Ihnen, Adams und Evas, raten, sich zum Ziel zu setzen, einen kleinen Teil des Planeten zu nehmen und ihn in Ordnung zu bringen, ihn sicher, vernünftig und ehrlich zu machen. Es gibt eine Menge Aufräumarbeiten zu erledigen. Es muss viel wieder aufgebaut werden, sowohl geistig als auch materiell.“

Camilla Tuccillo & Paolo Stradaioli
Junge Köpfe: Camilla Tuccillo und Paolo Stradaioli bei der Eröffnung am Wochenende (im Bild fehlt Giulia Guanella, die nicht vor Ort war). (Foto: Casa Langer)

 

In der Casa Langer soll es neben Angeboten wie Fotografie- und Schreibworkshops, Sprachkursen, Musik- und Kunstveranstaltungen auch viel Frei- und Spielraum geben, zum Experimentieren, Denken, Träumen, Arbeiten an „konkreten Utopien“. Casa Langer versteht sich, wenn auch nicht explizit, als Bindeglied zwischen der Mehrheits- und der Minderheitsbevölkerung – denn das Zusammenleben sei auch heute nicht immer friedlich, sagt Camilla: „Der Ort soll ein Fenster und eine Brücke zwischen Tarcento, das außerhalb des slawophonen Tales liegt, und dem Tal selbst sein – zwischen Orten, die sich geografisch nahe liegen und doch so fern sind.“

Ihre ganz eigene Utopie hat Camilla bereits – wider der Ohnmacht, die auch und vor allem junge Menschen angesichts der globalen Herausforderungen und Konflikte oft verspüren: „Wir dürfen das Große nicht aus dem Blick verlieren, am effizientesten und machbarsten aber ist Veränderung in der kleinen, lokalen Dimension. Wenn sich jede und jeder um ein kleines Stück kümmert und Verantwortung dafür übernimmt, können wir die Welt, 80 Hektar für 80 Hektar, zu einem besseren Ort für alle machen, insbesondere für die Kleinen und das nicht menschliche Leben – und für alle, die in Zukunft auf dem Planeten leben werden.“

Eröffnung Casa Langer
Viel Interesse für den neuen Raum: auch Giuseppe Civati (ganz hinten stehend) war bei der Eröffnung der Casa Langer anwesend (Foto: Casa Langer)

 

Seit einem Jahr lebt Camilla Tuccillo nun in Lusevera/Bardo. Paolo Stradaioli begleitet die Casa Langer als Szenograf von Turin aus. Giulia Guanella wohnt nahe Como und kümmert sich um den grafischen und künstlerischen Part. Am vorigen Wochenende wurde Casa Langer offiziell eröffnet. Der Geist, mit dem sie die Gegend beleben wollen, scheint fruchtbaren Boden gefunden zu haben. „Während der Reinigungsarbeiten haben wir die Tür offen gehalten“, berichtet Camilla, „allein das hat vielen signalisiert: Dies ist ein einladender Ort. Ganz viele Menschen blieben stehen und freuten sich über diesen Raum. Ich hoffe, das bleibt so.“

 

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Josef Fulterer Do., 14.09.2023 - 05:59

Die "Brett vor dem Kopf Generation um Magnago, Zelger, Benedikter & diversen COs," hätte den "Südtirolern aller drei Landessprachen sehr VIELES ersparen können," wenn sie nicht bei jeder Wort-Meldung vom Alexander Langer & anderer zur Vernunft mahneden Exponenten, so r a d i k a l abgeblockt hätte.

Do., 14.09.2023 - 05:59 Permalink
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Karl Trojer Fr., 15.09.2023 - 13:00

Alexander Langer war ein begnadeter Vordenker fürs Gemeinwohl. Ihm müsste in Südtirol seitens der Behörden und der "influencer" bedeutend mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Fr., 15.09.2023 - 13:00 Permalink